Riccardo Muti und das Chicago Symphony reüssieren mit einem glanzvollen Abend in Frankfurt

Farewell Chicago Symphony Orchestra, Riccardo Muti, Dirigent  Frankfurt, Alte Oper, 18. Januar 2024

© Todd Rosenberg Photography/Chicago Symphony Orchestra

Chicago Symphony Orchestra
Riccardo Muti, Dirigent

Anatoli Ljadow: „Der verzauberte See“. Märchenbild für Orchester op.62

Igor Strawinsky: „Der Feuervogel“. Ballett-Suite für Orchester (Fassung von 1919)

Johannes Brahms: Sinfonie Nr.2 op.73

Frankfurt, Alte Oper, 18. Januar 2024

von Kirsten Liese

Das Chicago Symphony befindet sich auf seiner letzten Tournee mit seinem scheidenden Chefdirigenten Riccardo Muti, die am 11. Januar in Brüssel ihren Anfang nahm. Aber so sehr wie sich Orchester und Dirigent nahestehen, kann und will man sich noch gar nicht vorstellen, wie es ohne den Maestro weitergehen soll. Drei Musiker jedenfalls, die ich am Tag darauf noch zu Interviews traf, sagten übereinstimmend, Muti sei unersetzbar.

Diese starke Verbundenheit vermittelte sich auch beim Konzert in der Alten Oper, das Muti mit einer zarten, lyrischen Rarität aus der Feder Anatoli Ljadows beginnen ließ. Das Märchenbild für Orchester op.62 schrieb der Russe – mehr für seine Klaviermusik bekannt – just zu der Zeit, als Sergej Djagilew ihn mit einer Ballettmusik zu dem  Feuervogel beauftragte, woraus jedoch nichts wurde, weil sich Ljadow damit zuviel Zeit ließ und Djagilew ihm den Auftrag wieder entzog.  – Warum, das lässt Der verzauberte See ahnen.

© Todd Rosenberg Photography/Chicago Symphony Orchestra

Geheimnisvoll und märchenhaft mutet das kurze Orchesterstück an, das mit seinem feingewebten Klangteppich der Streicher atmosphärisch an das  Waldweben  in Richard Wagners  Siegfried  erinnert. Und sich damit als ein ideales Stück empfiehlt, mit dem das Chicago Symphony Orchestra (CSO) zeigen kann, dass es sich nicht nur auf die große sinfonische Form versteht, sondern eben auch auf eine solch eher transparente, intime, kammermusikalisch angehauchte Musik.

13 Jahre lang hat Riccardo Muti das Chicago Symphony als Chefdirigent geleitet. In dieser Zeit hat er vor allem die Sektion der Holzbläser mit neuen trefflichen Kräften stark verbessert und die Streicher dahin gebracht, noch gesanglicher zu musizieren.

Davon geben sowohl die sublime Wiedergabe des verzauberten Sees als auch der anschließende Feuervogel Zeugnis, den schließlich Igor Strawinsky im Auftrag Djagilews schrieb. Anders als im Programm angegeben, spielte das CSO indes nicht die Fassung von 1945, sondern die von 1919.

Ob im  Pas de deux von Feuervogel und Iwan Zarewitsch oder im Wiegenlied, den lyrischeren Teilen: Flöte, Oboe und Fagott,  solistisch neben dem Solo-Horn stark beschäftigt, spielen ihre Gesänge mit geradezu schmerzlicher Schönheit. Zudem beeindruckt es, wie genau Muti die Instrumente untereinander ausbalanciert, wie sich die Motive und Themen von Instrument zu Instrument wie auf einer Linie fortsetzen. Zu den schönsten Momenten zählen für mich die Lamenti von Fagott und Oboe im Wiegenlied,  im denkbar sanftesten Ton von den Solisten angestimmt. Aus dieser elegischen Stimmung wollte man gar nicht mehr heraus.

© Todd Rosenberg Photography/Chicago Symphony Orchestra

Er fühle sich noch vital wie 40, sagt mir Muti einen Tag später im Gespräch, und das vermittelt sich in den dramatischeren Momenten der Ballettmusik, dem Höllentanz und der Schlusshymne wie immer bei dem 82-Jährigen ohne spektakuläre Bewegungen in jedem Moment. Es ist die Präzision seiner Zeichen, wie genau er die Musik formt, mal mit einer leichten fallenden Handbewegung, mal mit geballter Faust. Abgesehen davon, dass es beeindruckt, wie viele Abende mit kurzen Pausen, verbunden mit Orts- und Klimawechseln, in zahlreichen europäischen Metropolen er ohne Anflüge von Müdigkeit bewältigt. In den kommenden Tagen stehen noch Konzerte in Köln, Wien, Mailand und Rom an.

Mutis Ruhe und innere Gelassenheit überträgt sich auch sehr wohltuend auf die Musiker. Er ist der Fels in der Brandung. Von wegen Muti sei ein „Diktator“, wie vielfach immer wieder fälschlich behauptet wurde: Einen Druck, wie er in anderen Orchestern herrscht, wo Hornisten zur Flasche greifen und der eine oder andere Kiekser an exponierter Stelle unterkommt, baut er trotz hoher Ansprüche an jeden einzelnen nicht auf.

Musiker des Chicago Symphony, mit denen ich sprechen konnte, bestätigen, dass hier niemand seine Töne unter Angstschweiß abliefere. Voll und klar tönt das Horn an diesem Abend, wobei ich es sehr sympathisch finde, dass beim CSO  keine fest Rangordnung besteht, reihum spielt mal der eine, mal der andere die erste, zweite oder dritte Stimme.

© Todd Rosenberg Photography/Chicago Symphony Orchestra

Den krönenden Abschluss dieses ersten Abends bescherten das CSO und Muti mit Brahms’ zweiter Sinfonie. Die gesangliche, tonliche Schönheit im Klang – hier trat sie bei den Streichern besonders exemplarisch hervor, insbesondere unter den Celli, für die Brahms in seinen ersten beiden Sätzen aus meiner Sicht die schönsten Melodien schrieb, angeführt von dem exquisiten Solo-Cellisten Richard Hirschl. Schon im Feuervogel ließ er mit seinem eleganten, noblen Ton in solistischen Passagen aufhorchen.

Als sehr angenehm erlebte ich es bei alledem, dass Muti einschließlich des Finalsatzes moderate Tempi wählte. Der klangliche Reichtum inklusive von Obertönen ließ sich so wunderbar noch in den dynamischen Höhepunkten vernehmen.

Eine Zugabe gab es nach diesem herrlichen Vortrag auch noch: das Intermezzo aus Manon Lescaut von Puccini, dessen 100. Todestag die Opernwelt in diesem Jahr feiert.  En miniature spiegelte sich da komprimiert die ganze Emotionalität der Oper wieder, von trübsinniger Resignation bis zum großen Rausch.

© Todd Rosenberg Photography/Chicago Symphony Orchestra

Vielleicht nicht ganz so enthusiastisch wie in Essen und Paris, aber doch mit stehenden Ovationen feierte das Publikum diesen facettenreich grandiosen Abend.

Die Musiker haben Recht: Es wird sehr schwer wenn nicht unmöglich, einen adäquaten Ersatz für den letzten großen Maestro zu finden.

Kirsten Liese, 20. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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