Kasper Wilton, Photo Jakob Søby
Faust (Margarethe)
Oper in fünf Akten von Charles Gounod
Einführungsabend & Öffentliche Probe
Theater Lübeck, 1. November 2023
von Dr. Andreas Ströbl
Erneut lud das Theater Lübeck zu einer Soirée mit anschließender öffentlicher Probe zur Vorstellung einer Produktion, nämlich am 1. November, also zu Allerheiligen, ins Große Haus. Im protestantischen Norden fällt der Termin nicht weiter auf, aber der zweifellos religiöse Charles Gounod hätte es wahrscheinlich begrüßt, dass an ebendem Gedenktag, an dem aller Heiligen gedacht wird, zur Vorstellung seines Stückes gebeten wird. In seinem „Faust“ (die längste Zeit unter dem Titel „Margarethe“ geführt), der am 17. November im Jugendstiltheater der Hansestadt Premiere haben wird, geht es natürlich mit dem Teufel zu, aber – das hat der dänische Regisseur Kasper Wilton schon verraten – es gibt ein himmlisches Happy-End.
„Je ne sais rien!“, singt Faust, nichts weiß er und ist so klug als wie zuvor, gemäß dem Vorbild aus Goethes Drama. Um so mehr wussten Jens Ponath, Leitender Dramaturg Musiktheater und Konzert, und Kasper Wilton, Direktor des Folketeatret in Kopenhagen, als die beiden in Werk und Hintergrund einführten. Im wie gewohnt durch musikalische Einlagen strukturierten Gespräch informierten sie über die literarischen Vorlagen seit dem 16. Jahrhundert, Entstehung und Wirkungsgeschichte der Oper – „Faust“ ist in Paris seit der Uraufführung über 3.000mal aufgeführt worden und übertrifft damit Bizets „Carmen“! – sowie die Aspekte von Liebe, Erotik und Sexualität in Stoff und Rezeption. Gerade der Kindsmord war ab dem späten 18. Jahrhundert literarisches Thema und wurde von den „Sturm und Drang“-Dichtern gesellschaftskritisch bearbeitet.
Außerdem stellten beide die religiösen Aspekte heraus, die vor dem Hintergrund der strengen Zensur im Frankreich des 19. Jahrhunderts für jeden Bearbeiter besonders sensibel berücksichtigt werden mussten. Glücklicherweise war der päpstliche Gesandte, der vor allem die Kirchenszene zu prüfen hatte, mit Gounod befreundet und empfahl das Werk bedingungslos. Tatsächlich behält hier Gottvater ja das letzte Wort und das wird in Lübeck offensichtlich entsprechend umgesetzt.
Es machte Freude, den sympathischen Gastregisseur zu erleben, wie er, entflammt von der eigenen Begeisterung für Stück und Produktion, immer wieder von seinem Stuhl aufsprang, das Publikum direkt ansprach und mit skandinavischer Lockerheit von seinen Begegnungen mit dem Themenkomplex in seiner frühen Jugend bis hin zur aktuellen Arbeit sprach.
Takahiro Nagasaki, Erster Kapellmeister und stellvertretender Generalmusikdirektor, besorgte die musikalische Begleitung am Flügel und sprach humorvoll über die Verarbeitung von Kirchenmusik in dieser Oper.
Fast alle Rollen werden vom bewährten Ensemble besetzt, die Titelfigur allerdings vom philippinischen Tenor Arthur Espiritu. Der glänzte auch gleich mit seiner „Rien!“-Arie; auf den darf man sich freuen. Das gilt ebenso für Evmorfia Metaxaki, die große Sopranistin des Hauses, die als Margarethe zu sehen sein wird. Gemeinsam mit Espiritu, dem Bass Rúni Brattaberg als Méphistophélès und der Mezzosopranistin Edna Prochnik als Marthe gab sie das Quartett des „Hohen“ und des „Niederen Paares“ aus dem dritten Akt.
Laila Salome Fischer wird die von Gounod dazuerfundene Siébel singen, die hier allerdings nicht in der Hosenrolle erscheint, sondern tatsächlich eine junge Frau spielen wird; ihr strahlender Mezzosopran verhieß einiges für die Premiere.
Changjun Lee, der eigentlich den Wagner geben wird, sang mit kraftvollem Bass das Lied vom Goldenen Kalb; er studiert gerade parallel die Mephisto-Rolle ein.
Nach kurzer Pause konnte das Publikum die öffentliche Probe des ersten und eines Teils des vierten Aktes erleben. Man darf auf diese Produktion gespannt sein – in jedem Falle vermittelten die Mitwirkenden ein harmonisches Miteinander unter einem Regisseur, der keine Allüren nötig hat.
Dr. Andreas Ströbl, 2. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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