Wiener Symphoniker beim Fest der Freude
Gut gespielt trotz schlechtem Sound

Fest der Freude, Heldenplatz, Wien, 08. Mai 2018

„Fest der Freude“
Heldenplatz, Wien, 08.05.2018

von Thomas Genser
Foto: Andy Wenzel (c)

Lahav Shani, Dirigent
Julian Rachlin, Violine
Ein Wiener Sängerknabe, Mezzosopran
Konzertchor Wien

  • Kurt Schwertsik: Hier und jetzt
  • Ernest Bloch: Baal Shem oder Three Pictures of Chassidic Life (2. Satz: Nigun (Improvisation))
  • Leonard Bernstein: Chichester Psalms; Divertimento for Orchestra;
    Divertimento for Orchestra (
    2. Satz)
  • Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 (2. Satz & 3. Satz)
  • Ludwig van Beethoven: Ode an die Freude aus Beethovens Neunter Symphonie

Zum jährlichen “Fest der Freude” laden die Wiener Symphoniker und das Mauthausen Komitee Österreich auf den Wiener Heldenplatz. An diesem so zentralen Ort der österreichischen Geschichte gedenkt man dem Ende des zweiten Weltkriegs vor 73 Jahren. Trotz ungünstiger Wetterbedingungen spielt das Orchester unter der Leitung von Gastdirigent Lahav Shani ein Potpourri, das zwar wohl konzipiert ist, aber ein wenig unter schlecht klingender Tontechnik leidet.

Hier und jetzt für Orchester von Kurt Schwertsik erlebte beim letztjährigen Fest der Freude seine Uraufführung. An diesem Abend erklingt das kurze Werk des österreichischen Komponisten erneut und stellt  die musikalische Eröffnung dar: Aus einem ominösen Marsch erhebt sich eine Fanfare, die von glänzenden Einwürfen des Blechs und Holzbläserwellen lebt. Die freie Behandlung der Tonalität und die Instrumentierung erinneren stellenweise an Filmmusik, etwa jene eines John Williams.

Im Anschluss folgen diverse Video- und Wortbeiträge zum Festakt. Die Besinnung auf die Vergangenheit und Respekt vor allen Betroffenen stehen dabei im Zentrum. Zeitzeugen liefern mahnende Worte, auch in Bezug auf die Gegenwart.

Zurück zur Musik: Ernest Blochs Three Pictures of Chassidic Life ist im Grunde ein dreisätziges Violinkonzert, daraus erklingt aber nur der 2. Satz. Julian Rachlin als Solist beweist viel Gespür für die feine, teils sehr technische Linie. Über ein Bassfundament der Streicher lässt Rachlin ekstatische religiöse Gesänge erklingen. Wie so oft bei Open-Air-Konzerten von Orchestern kommt der Klang nicht voll zur Geltung: Subtile Nuancen der Dynamik sind schlecht hörbar, sowohl beim Solisten, als auch bei den Symphonikern. Dennoch: Hut ab, toll gespielt!

Passend zum Bernstein-Gedenkjahr folgen dessen Chichester Psalms für Chor, Knabensopran und Orchester, in denen er hebräische Psalmentexte vertonte. Die harschen Eröffnungsschläge der Symphoniker erschrecken Teile des Publikums, sogleich sorgt aber der Konzertchor Wien für sakrale Stimmung. Leider ist der Klang über die Lautsprecher blechern und pendelt sich nur langsam ein. Die Musik wechselt spielerisch zwischen komplex, einfach, tonal und atonal. Bemerkenswert ist die Pizzicato- und Glockenspielpassage, in der Assoziationen an eine aufziehbare Spieldose wach werden.

Im zweiten Satz wird der Knabensopran durch eine Begleitung der Harfen pastoral umrahmt, gesummte Unterstützung kommt vom Chor. Die Stimme des nicht namentlich erwähnten Solisten klingt ein wenig nervös und zittrig. Trotzdem ist die Stimmung idyllisch, fast übernatürlich. Bernstein zerstört dieses Idyll durch einen plötzlichen Einsatz des Orchesters und der Männerstimmen! Zum Ende hin gewinnt aber die himmlische Stimmung.

Um einen Zwischenapplaus wie zuvor zu vermeiden gibt Shani sogleich den Einsatz zum dritten Satz: Die Streicher intonieren die kryptischen Klänge trotz geringer Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit makellos. Entzückend sind die Chorstellen, besonders in den Solo-Passagen der Männer. Voll Eintracht verklingt das Stück über dem Heldenplatz.

Als Draufgabe gibt es den Walzer aus Bernsteins Divertimento for Orchestra. Das kurze Stück für Streicher im 7/8-Takt ist eine Lichtblick nach der ernsten Rede des Zeitzeugen Rudolf Gelbard.

Für Tschaikowskis Violinkonzert kommt erneut Julian Rachlin auf die Bühne. Wie so oft bei Potpourri-Konzerten wird auch hier nicht das ganze Werk gespielt: Statt dem virtuosen ersten Satz erklingt sofort die Canzonetta. Strenggenommen sprengt der Satz die Prinzipien eines Violinkonzertes, Rachlin duelliert sich mit einzelnen Holzbläsern, welche Gegenmelodien und Zwischenspiele liefern. Dass das Werk ursprünglich heftiger Kritik unterworfen war, ist bei aller nonverbalen Poesie nur schwer nachvollziehbar. Attacca subito kommt der Einsatz zum Finale. Rachlin galoppiert mit dem beschwingten Hauptthema über das Fundament, das ihm die Symphoniker bereitstellen. Für sein vortreffliches Spiel und die großen Gesten erhält er tosenden Beifall.

Bewegte Körpersprache beweist auch Shani am Dirigierpult in der Ouvertüre zu Bernsteins Musical-Operette Candide. Der Dirigent tänzelt zu der Mischung aus Jazz, Fanfare, Walzer und Marschmusik. Großes Lob an die Blechbläser und das Schlagwerk, beide Sektionen überzeugen hier durch haarscharfe Genauigkeit.

Abschließend ertönt – zwar klischeehaft, doch immer wieder schön – Beethovens Ode an die Freude. Für das nicht ganz textsichere Publikum erscheinen die Wörter zu diesem Evergreen der Freiheit auf einer digitalen Anzeigetafel. Ein Sängerknabe mit leicht verkühlter Stimme singt vor, einige wenige am Platz trauen sich, miteinzustimmen.

Thomas Genser, 05 Mai 2018, für
klassik-begeistert.de

Ein Gedanke zu „Fest der Freude, Heldenplatz, Wien, 08. Mai 2018“

  1. Ich wollte auch vorort sein. Doch das miese Wetter und die vermutet schlechte Tonqualität – es ist eben keine Konzertsaal – haben mich umgestimmt.

    Nächste Chance, die Wiener Symphoniker und Lahav Shani kostenlos erleben zu dürfen: Samstag, 12. Mai 2018, Museumsquartier Wien. Ebenfalls ein Open-Air-Konzert.

    Jürgen Pathy

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