Fotos: Teatro Regio di Parma / Renzi (c)
Zwei Opernhäuser von Weltrang locken nach Norditalien
Wer Verdi liebt, der sollte mindestens einmal in seinem Leben zum Festival Verdi nach Parma in Norditalien kommen. Wer diesen weltweit am meisten gespielten Opernkomponisten, diesen Schaffer von 27 Opern von unendlicher Schönheit und Magie in dessen Heimat erleben will, der mache sich auf mit dem Flugzeug nach Mailand, fahre 50 Minuten mit dem Bus zum Hauptbahnhof und dann gemütlich eine gute Stunde weiter durch die Po-Ebene in die 192.000-Einwohner-Stadt Parma.
Parma ist wunderbar: Es hat eine warme, historische Altstadt mit zauberhaften Kirchen. Es hat wunderbare Restaurants und Cafés, wo man zu zivilen Preisen sehr gut essen und trinken kann, auch den original Parma-Schinken und den Parma-Käse. Es hat tolle Geschäfte, wo jeder ein Mitbringsel für seine Liebsten findet – meist zu günstigeren Preisen als in Deutschland und Österreich. Und Parma ist noch nicht von Touristen überlaufen. Hier sprechen viele Menschen nur Italienisch – aber die Verständigung klappt trotzdem immer, und sei es mit Händen und Füßen.
Und dieses wunderbare Parma hat zwei Opernhäuser von Weltrang: Das Teatro Regio di Parma und das Teatro Farnese. Allein der Charme und die Aura dieser beiden Häuser sind die Reise zehnmal wert: Das Teatro Regio di Parma, 1829 von Maria Luise eingeweiht. Und den Palazzo della Pilotta aus dem 16. Jahrhundert mit dem Teatro Farnese aus dem 17. Jahrhundert.
(Sehr sehenswert in Parma sind auch das Geburtshaus des Dirigenten Arturo Toscanini mit vielen einmaligen Exponaten aus seinem Leben, das Haus des Klangs, Casa del Suono, sowie das kleine, aber feine Museo dell’Opera.)
Die Opernproduktionen in diesem Jahr waren für jeden Verdi-Liebhaber ein Leckerbissen: Zwei Werke des Meisters, die fast nie zu hören sind, obgleich sie von unfassbarer Schönheit und Vollendung sind: „Jérusalem“ und „Stiffelio“. Verdis auch nicht so oft aufgeführte letzte, heitere Oper „Falstaff“, uraufgeführt 1893. Und „La Traviata“ in Verdis Geburts- und Wohnort Busseto.
Wer auf der Suche nach Weltstars ist, ist in Parma fehl am Platze. Einer kam in diesem Jahr: Ramón Vargas als Gaston in der phantastisch und opulent inszenierten Oper Jérusalem – Verdis erste französische Grand opéra aus dem Jahre 1847; sie entstand als Umarbeitung der Oper I Lombardi alla prima crociata aus dem Jahre 1843 und besteht wie das Original aus vier Akten.
Unter der sicheren musikalischen Stabführung von Daniele Calligari sangen Ramón Vargas als guter, aber nicht strahlender Tenor (Gaston) und Annick Massis melodiös als seine Geliebte Hélène. Stars des Abends waren der im Timbre sehr angenehme Bariton Pablo Galvez als Graf von Toulouse und als sein Bruder Roger der imposante Bariton Michele Pertusi. Die musikalischen Leistung des feinfühlig bis kraftvoll singenden Coro des Teatro Regio die Parma war überragend, oft zum Weinen schön – „doch geradezu überwältigend“, wie klassik-begeistert.at-Autor Charles Ritterband trefflich schrieb, „war die Inszenierung (Hugo de Ana, der auch für das grandiose Bühnenbild und die prachtvollen Kostüme verantwortlich war) mit ihren phänomenalen illusionistischen Effekten und atemberaubenden Wüstenszenen.“
Die einmalige, umwerfend schöne Messa da Requiem Guiseppe Verdis, vielleicht seine reifste und beste Kompositon, wurde im wunderbaren Teatro Regio di Parma am zweiten Abend recht gut, aber nicht wirklich überzeugend dargeboten. Der gute Coro del Teatro di Parma stand recht hoch über dem Orchester. Somit war er im Parkett in Reihe 6 teilweise sehr schwach und undeutlich zu hören. Viele Piani-Stellen himmlischster Schönheit waren somit fast gar nicht zu hören.
Die Solo-Leistungen war sehr unterschiedlich: Riccardo Zanellato war angenehm zu hören mit einer sehr väterlich, warmen Bariton-Stimme. Die Mezzosopranistin Veronica Semeoni war mit ihrer umwerfend schönen Tiefe die beste im Bunde. Und, sorry, die Sopranistin Anna Pirozzi, war eine Fehlbesetzung. An diesem Abend war der Lack ab in ihrer Stimme, sie sang mit viel zu stark übertriebenem Vibrato, wirklich unangenehm ihr Timbre.
Aber Kritiker hören oft „kritischer“ als das Publikum: Frau Pirozzi bekam großen Beifall.
„Reine Freude und Heiterkeit hingegen bescherte der ‚Falstaff’ im Teatro Regio unter der Regie von Jacopo Spirei (vitales Dirigat: Riccardo Frizza)“, schrieb Charles Ritterband auf klassik-begeistert.de trefflich. „In der Herberge im Tudor-Stil, wo Falstaff abgestiegen ist, erblickt man auf der Wand ein Bild der Queen – klein genug, um nur dem aufmerksamsten Besucher aufzufallen, groß genug, um eindeutig die Silhouette Ihrer Majestät zu identifizieren. Das Bühnenbild ist phänomenal: Alice Ford und Meg Page, die identische Liebesbriefe vom fetten Ritter erhalten haben, treffen sich auf einem Platz einer englischen Kleinstadt, deren Atmosphäre den Zuschauer sofort nach Britannien transportiert. Und für die berühmte Szene im Park von Windsor werden die Häuser teilweise in den Schnürboden hochgezogen und geben den Blick auf den magischen Garten frei, in dem sich die turbulente Maskerade abspielt. Alles sehr lebendig und humorvoll.
Unter den Darstellern ragte Roberto de Candia als korpulenter, lebenslustiger und von Durst, Hunger, unstillbarer Liebeslust sowie unerschöpflichem Selbstmitleid geplagter Falstaff hervor. Ein sehr überzeugender, sonorer Bariton, doch der Star des Abends war Ford, der Gatte von Alice: Giorgio Caoduro, ein wunderschöner Bariton, dem der Applaus des Publikums sicher war.“
Am Abschlussabend genauso glänzend wie Caoduro war die junge Sopranistin Damiana Mizzi mit ihrer umwerfend bezaubernden Höhe – eine Stimme mit absolutem Wohlfühlcharakter. Von dieser Sopranistin werden wir noch viel hören! Das Orchester Filarmonica Arturo Toscanini spielte noch einmal richtig überzeugend auf – Grazie!
Die Oper – und vor allem der Lokalheld Verdi – sind so zentral für die Identität und Kultur Parmas, dass die Leute allerorten mit der Hingabe und dem Sachverstand darüber debattieren wie sie über das aktuelle Fußballspiel diskutieren. Und die Oper ist bis heute ein Statussymbol: Mit der Mitgliedschaft im exklusiven Club dei 27, einer Gruppe von 27 Vereinen, die nach den Opern von Verdi benannt sind, oder in den Logen des Teatro Regio, die wohlhabenden Familien gehören und einen angrenzenden privaten Raum für Unterhaltung während der Pausen bieten.
Die Generaldirektorin des Teatro Regio di Parma, Anna Maria Meo, sagt, dass 70 Prozent der 20.000 Tickets während des Festivalmonats an Opernliebhaber außerhalb Italiens verkauft werden. „Die meisten Gäste kommen aus Deutschland, an Nummer 2 steht Österreich“, sagt Donna Meo. „Das Festival Verdi ist ein nicht wegzudenkender Tourismusfaktor für die Region. Jeder Euro, der hier in Kultur investiert wird, wird vierfach wieder verdient.“
Über die Inszenierung von „La Traviata“ im 300 Plätze zählenden Busseto-Theater (40 Kilometer von Parma entfernt), das 1868 mit Verdis „Rigoletto“ eingeweiht wurde, decken wir am besten höflich den Mantel des Schweigens. Die Inszenierung auf der kleinen Bühne war einfach zu simpel und fad. Das war mehr Kreisliga als Verdi-Meisterklasse. Das Orchestra del Teatro Communale di Bologna passte sich im winzigen Graben mit einer befriedigenden Leistung dem Bühnenbild und der Inszenierung an – da spielte nur die B- bis C-Garde des Orchesters; am Samstag, beim „Stiffelio“ in Parma, zeigten die Musiker aus Bologna, was sie drauf haben.
An diesem Abend standen nur junge Sänger im Rampenlicht. Die Sopranistin Julia Muzichenko als präsente Violetta Valéry und der angenehme Bariton Gocha Abuladze als Giorgio Germont waren gut an diesem Abend, der Tenor Fabian Lara hingegen gab einen schwachen Alfredo.
So eine Traviata-Darstellung sieht man in einem deutschen Provinztheater genauso gut, eher besser. Busseto ist eine Reise wert – wegen Verdi, siehe unten, aber nicht wegen „La Traviata“ im schönen Minitheater.
„Stiffelio“ im Teatro Farnese, das war es dann: das Salz in der Suppe in Parma.
Was für ein Saal – amazing! Das Teatro Farnese ist ein barockes Hoftheater im Palazzo della Pilotta aus dem 16. Jahrhundert – 1617 bis 1618 nach Plänen von Giovanni Battista Aleotti errichtet. Er besitzt einen Fassungsraum von etwa 3000 Personen. Nach weitgehender Zerstörung im Zweiten Weltkrieg durch einen alliierten Bombenangriff am 13. Mai 1944 wurde es von 1956 bis 1962 detailgetreu rekonstruiert – überwiegend aus Holz.
Der Architekt Giovanni Battista Aleotti nahm für den Bau das Teatro Olimpico in Vicenza zum Vorbild, ein Werk des Renaissance-Baumeisters Andrea Palladio aus dem Jahr 1580, dazu das Teatro all’Antica von Sabbioneta, errichtet von 1588 von 1590 von dem Architekten Vincenzo Scamozzi.
In dem 87 Meter langen und 32 Meter breiten Saal wurden u-förmige Holztribünen errichtet, die auf 14 Reihen 22 Meter Höhe erreichen. Die Bühne misst 40 mal 12 Meter. Die Holzkonstruktion wurde stuckiert, um Marmor vorzutäuschen. Auch der Figurenschmuck entsprach dem Charakter ephemerer Architektur.
Soweit die Daten. Nun das Sinnliche: Das Raumerlebnis ist umwerfend. Und erst die Akustik: Hammer! Phantastisch! Weltklasse! Allein ein Abend in diesem Teatro Farnese ist alle Mühe wert, die der Opernfreund auf sich nimmt, um nach Parma zu gelangen. Diese Akustik wird jeder Mensch, der schönen warmen, vollen Klang liebt, sein Leben lang nicht vergessen! Hier erklingen schöne Stimmen in Vollendung, hier blühen Orchester auf, hier erlebt der Opernfreund, wonach er sucht: magische Momente…
Hörerlebnisse, bei denen die Zeit verfliegt. Gänsehautminuten, bei denen der Klassikfreund betet: Augenblick, „Verweile doch! Du bist so schön!“ (Johann Wolfgang Goethe)
Dieses Teatro Farnese ist ein ebenso magischer Ort wie das Bayreuther Festspielhaus, der Musikverein und das Wiener Konzerthaus in Wien, das Concertgebouw in Amsterdam und die Elbphilharmonie in Hamburg.
Allein: Dieses Teatro Farnese ist auf der Karte der Klassikwelt ein vollkommen unbekannter Ort, weil hier nur zu Zeiten des Festivals Verdi – vier Mal – Musik erklingt.
Sonst ist dieser Zauberort Teil eines Museums – und wird nicht seiner Bestimmung gemäß genutzt. Ein Trauerspiel für jeden Musikfreund!
Verehrter Präsident der Provinz Parma in der Region Emilia-Romagna:
Führen Sie diese Perle Parmas, dieses akustische und architektonische Weltkulturerbe, wieder seiner Bestimmung zu. Hier muss (fast) jeden Abend große Musik erklingen. Hier können die besten Stimmen der Welt ertönen und die besten Orchester der Welt spielen!
Das Teatro Farnese ist ein Sehnsuchtsort für die klassik-begeisterten Menschen dieser globalisierten Welt. Es ist ein Ort, in dem die Anna Netrebkos und Elina Garancas, die Ricardo Mutis und Sir Simon Rattles liebend gerne auftreten würden. It is the magic, that counts – die Magie ist es, die zählt!
Die Oper „Stiffeleo“ ist eine Weltklasse-Komposition, ein „hidden champion“, den jeder Verdi-Liebhaber in seinem Leben einmal gehört haben sollte. Die Sopranistin, Maria Katzarava, sang als Lina an diesem letzten Abend Weltklasse mit einer wunderbaren Fülle, Varianz und einer umwerfenden Höhe. Der Tenor Luciano Ganci sang Weltklasse mit Sternchen. Von ihm – wie von Katzarava – wird die Opernwelt noch hören: Was für eine Präsenz, was für ein Volumen und was für eine selbstverständliche Strahlkraft mit Schmelz.
Geboren und aufgewachsen in Mexiko-Stadt, ist Maria Katzaravas voller Name María Alejandra Katzarava Hernández. Sie stammt aus einer Familie von Musikern und Ärzten, ist Enkelin eines professionellen Baritons und Tochter von professionellen Geigenspielern. Ihr Vater, Archil Katzarava, kommt aus Georgien (ehemalige Sowjetunion), ihrer Mutter Velia Hernández ist Mexikanerin. Während ihrer Schwangerschaft mit Maria besuchte ihre Mutter alle Konzerte des mexikanischen Nationalorchesters Orquesta Sinfónica Nacional, dessen Violinistin sie zusammen mit ihrem Ehemann war. Sie erlangte internationalen Ruhm durch den Gewinn des ersten Platzes im Wettbewerb Operalia in den Kategorien Oper und Zarzuela.
Der Abend im Teatro Farnese war ein Abend vor allem für Hörmenschen. Die Akustik ist Weltklasse – weich wie mächtig, für zarte wie für energische Töne geeignet. Dieses Teatro Farnese ist ein Weltkulturerbe, es bietet ein Hörerlebnis der Extraklasse.
Ja, dies ist ein Wallfahrtsort für Klassikliebhaber… eine Perle in der Emilia Romagna oder wie man auf Neudeutsch sagt: ein unique selling point.
Die moderne Inszenierung war sehr lebendig, in sich schlüssig, die Gesangsleistungen wurden auf den Schiebebühnen perfekt in Szene gesetzt. Das Publikum hatte zwei Mal eine Stunde zu stehen und konnte ganz bequem von Bühne zu Bühne gehen, auf denen die Solisten sangen. Arbeiter zogen die Bühnen durch den Saal – sehr belebend. Nun, die Spruchbänder auf den Rängen waren kindisch und läppisch in Botschaft und Optik, aber es war einfach wunderbar, so dicht dran zu sein an den Sängern. Das Live-Erlebnis Oper war gigantisch. Intensiv und unvergesslich.
Was für ein Sound, als der Chor, gemischt im Publikum stehend, in Akt 1 sang. Einmal stand ich neben einer Altistin des wunderbaren Coro del Teatro Comunale di Bologna – Hammer, Hammer, Hammer, was die Dame an Wohlklang herauspumpte – für den Chorsänger Andreas Schmidt ein Moment zum Abheben …
Das teils sehr junge Publikum war nach zwei Stunden hin und weg – jung wie alt. Bravi, Brava, Bravo allenthalben. Ein magischer Abend!
Ja, und zu einem Festival Verdi gehört unbedingt auch noch der Besuch im Geburtshaus Verdis in Roncole Verdi (in 4 Kilometern mit dem Taxi von Busseto aus erreichbar), im Verdi Museum Casa Barezzi, wo der Meister von seinem Förderer Antonio Barezzi ab dem zehnten Lebensjahr gefördert und erzogen wurde (Verdi heiratete später dessen Tochter Margherita) und der absolute Höhepunkt: die Villa Verdi in Sant’Agata, fünf Kilometer von Busseto entfernt (und nur mit dem Taxi zu erreichen).
1848 kauft Verdi das Landgut als Unterkunft für seine Eltern. Später zogen der Maestro und Giuseppina Strepponi, die später seine zweite Ehefrau wurde, in die Villa. Hier hatte Verdi 1200 Hektar Land und betätigte sich als Bauer, hier legte er einen wunderschönen Park mit Pflanzen und Bäumen aus aller Welt an. Zu sehen sind das Zimmer der Giuseppina Strepponi, Verdis Schlaf- und Arbeitszimmer sowie das Zimmer 157 aus dem Hotel de Milan, wo Verdi am 27. Januar 1901 im Alter von 87 Jahren starb.
Wer diesen Ort besucht, taucht in Verdis Zeit ein. Sein Zylinderhut, sein weißer Schal aus Seide, eine Kopie seines Handabdrucks, das Nachthemd, das er trug, als er einschlief; die alten Sessel, die Stofftapeten, sein Schreibtisch: alles trägt noch die Aura des 19. Jahrhunderts – und ist nicht totsaniert wie die Villa Wahnfried von Richard Wagner in Bayreuth. Zu sehen sind auch Verdis Kutschen sowie im Park die Grabessäule für seinen Hund Lulú. Ein magischer Ort, dieses Sant’Agata!
Also: Fahren Sie nach Parma und Busseto! Besuchen Sie das Festival Verdi! Sie werden es nicht bereuen!
Andreas Schmidt, 26. Oktober 2017,
für klassik-begeistert.de
Vielen Dank für den herrlich lesenswerten Artikel. Nach über 2 Jahren gefunden. Kannte diese Website
bislang nicht, bin aber recht begeistert ob der zahlreichen Infos zum Thema.
Als absoluter Verdi-Fan kann ich Ihren Worten hier nur beipflichten.
Das Teatro Regio ist bekannt, aber das Farnese kannte ich bis dato nicht.
Scheint ein Aktions- und Erlebnistheater zu sein. War sehr überrascht von der Inszenierung dort,
wie Sie es hier beschreiben.
Mir sind allerdings nur 26 Verdi-Opern bekannt; wenn man das Requiem allerdings dazuzählt
(was allemal sinnvoll ist), kann man auf 27 kommen. Oder hatte ich was übersehen?
Auf jeden Fall gilt: Verdi ist und bleibt betörend und magisch.
Lutz Uwe Hagemann