„Flavio, Re de’ Longobardi“, Ensembleszene © Clemens Manser
Festival Bayreuth Baroque
Georg Friedrich Händel
„Flavio, Re de’ Longobardi“
von Jolanta Łada-Zielke
Die Barockmusik füllt wieder das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, während des vierten Festivals Bayreuth Baroque, das in diesem Jahr vom 7. bis 17. September stattfindet. Zur Eröffnung sah das Publikum das Dramma per musica „Flavio, Re de’ Longobardi“ von Händel, aus dem Jahr 1722, als der Komponist die britische Royal Academy of Music leitete. Das Stück ist eine Satire auf die italienische opera seria und enthält Anspielungen auf die Verhältnisse am Hof des damaligen Königs Georg I. von England.
Die Handlung der Oper spielt zu einer mythischen Zeit, als Britannien zu der Lombardei gehörte. Der König Flavio, gelangweilt von seiner Ehefrau und den Mätressen, verliebt sich in Teodata, die Tochter eines seiner Staatsmänner Ugone. Das Streben des Herrschers nach dem hübschen Mädchen verursacht eine Reihe von Unglücken: die Eifersucht zerstört die Freundschaft von zwei Adeligen, ihre Kinder lösen die Verlobung auf, es kommt zu einem Verbrechen. Die Oper endet jedoch glücklich mit der Hochzeit der zwei verliebten Paare.
Die Regie führt der künstlerische Leiter des Festivals Max Emanuel Cenčić, der ebenfalls die Partie von Guido singt. Er hat die szenische Aktion mit einigen parodistischen Akzenten angereichert. Jeder Geschlechtsverkehr des königlichen Paars dient der Zeugung des Thronfolgers, so dass der gesamte Hofstaat dabei assistiert und zusätzliche Anreize bietet. Die Mätressen streicheln ihre künstlichen Brüste, während ein Kardinal und eine Oberin Gebete sprechen. Die von ihrem Gatten vernachlässigte Königin (Eirini Petraki) amüsiert sich manchmal mit ihrem Zwerg. Diese Rolle spielt Mick Morris Mehnert, bekannt aus der neusten Tannhäuser-Inszenierung am Grünen Hügel. In der Schlussszene verkündet der Haushofmeister: „the queen is pregnant“. Die Zuschauer sind jedoch nicht sicher, von wem.
Außer SängerInnen erscheinen auf der Bühne insgesamt fünfzehn SchauspielerInnen und StatistInnen als Hofdamen, Höflinge und Pagen, die die Dekoration wechseln und Requisiten mitbringen. Der Zuschauer hat jedoch nicht den Eindruck, dass die Bühne überladen ist, und er langweilt sich keinen Moment lang. Selbst die Erotik dosiert man hier unaufdringlich und witzig, vor allem durch das vorhangverhangene, aber eindeutig wackelnde königliche Himmelbett.
Wenn es um Gesang geht, treten die Countertenöre in den Vordergrund. In dieser Besetzung gibt es drei. Der technisch hervorragende und emotional ausdrucksstarke Cenčić unterhält und bewegt, vor allem in der Arie „Amor, il mio penar“, wo sein Gesang einem Schluchzen gleicht. In der Rolle des launischen Flavio sehen wir den Franzosen Rémy Brès-Feuillet, der etwas manieriert und lässig singt, wie es sich für einen König gehört. Der ukrainische Countertenor Yuriy Mynenko spielt die Rolle von Vitige – des Adjutanten des Königs, der zugleich Teodatas Geliebter ist. Er singt schlicht, aber nicht ohne dramatische Akzente. Der hervorragende Schweizer Tenor Fabio Trümpy verkörpert den ehrenhaften Ugone. Der serbische Bassbariton Sreten Manojlović sticht nicht nur als einzige tiefe Männerstimme in diesem Ensemble hervor. Sein Lotario überzeugt vor allem in den Szenen, in denen er seine Wut und Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, dass die Stelle des Gouverneurs von Britannien an jemand anderen geht. Manojlović verleiht seiner Stimme eine Schärfe und eine gewisse Kampfeslust.
Von den Damen verdient die russische Sopranistin Julia Lezhneva als Emilia, Ugones Tochter und Guidos Geliebte, eine besondere Erwähnung. Sie ist eine wahre Koloraturkönigin, und jeder von ihr erzeugte Ton ist eine Perle. Ihre ausgedehnten Kadenzen, die sie je nach Stimmung mit Lachen oder Weinen unterstreicht, dienen nicht der Angeberei, sondern entsprechen dem Bühnengeschehen. In Arien, die Schmerz und Traurigkeit ausdrücken, setzt die Sängerin bewusst weniger Verzierungen ein. Der Höhepunkt ihres Könnens ist die dramatische Darstellung der Arie „Da te parto, ma concedi“. In der Rolle von Teodata sehen wir Monika Jägerová, die mit ihrer üppigen, dunklen Altstimme und ihrem ausgezeichneten Schauspiel eine amüsante Molière-artige Figur schuf. Am Dirigentenpult steht Benjamin Bayl, der das Orchester Concerto Köln leitet. In den gesungenen Teilen dirigiert er und in den instrumentalen Passagen spielt er Basso continuo.
Eine grenzenlose Begeisterung drückte das Publikum am nächsten Tag des Festivals (8.9.), bei dem Konzert von Valer Sabadus aus. Dieser deutsch-romanische Countertenor-Virtuose, begleitet vom polnischen {Oh!} Orkiestra unter der Leitung von Martyna Pastuszka, präsentierte einige Stücke aus den Opern von Carl Heinrich Graun (1704-1759), dem Hofkomponist des preußischen Königs Friedrich II. Das Konzert war ein Überblick über das Schaffen dieses Komponisten und umfasste daher sowohl Instrumentalouvertüren als auch Rezitative und Arien.
Man sah, dass dieses Programm für den Sänger neu ist, weil er in die Noten blickte, und an zwei Stellen aus der Tonart fiel. Trotz der unvollkommenen Beherrschung des Textes, sang er alle Koloraturen technisch richtig und mit großer Hingabe. Die Arie „Misero pargoletto“ aus der Oper „Demofoonte“ erklang sehr emotional. Diese Arie führte Sabadus noch als dritte Zugabe auf, weil ihn das Publikum längst nicht von der Bühne gehen ließ. Meiner Meinung nach, zeigte er sich von der Schokoladenseite bei den zwei ersten Zugaben – „Vedrò con mio diletto” von Vivaldi und „Crude furie degli orridi abissi“ von Händel. Diese hat er schon lange im Repertoire, kennt sie auswendig, trägt sie also frei, sehr musikalisch und mit überzeugender Interpretation vor.
Ähnlichen Beifall erhielten Martyna Pastuszka und ihr Ensemble, welche die Stücke von Graun perfekt beherrschten. Die Konzertmeisterin führte die Musiker mit Präzision, aber auch mit einer solchen Leichtigkeit und Wucht, dass die Funken von der Bühne flogen. BR-Klassik hat dieses Konzert live übertragen, den Livestream kann man unter dem Link sehen:
Bayreuth Barock stärkt die Position der Stadt als eines der wichtigsten Festspielzentren in Europa und der Welt. Es lohnt sich wirklich, weiter in diese Veranstaltung zu investieren.
Jolanta Łada-Zielke, 13. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Georg Friedrich Händel, Semele Prinzregententheater, München, 15. Juli 2023
Georg Friedrich Händel: Giulio Cesare in Egitto Oper Leipzig, Premiere, 1. April 2023