Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch im Wiener Konzerthaus, © Andreas Schmidt
Jonas Kaufmann gibt einen Festspiel-Liederabend in der Bayerischen Staatsoper, wobei ihm die Folgen seiner Corona-Infektion anzumerken waren. Dennoch kann der Abend am Ende als rundum gelungen bezeichnet werden, nicht zuletzt dank der Intelligenz des Sängers.
Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 23. Juli 2022
Münchner Opernfestspiele
Festspiel-Liederabend: Jonas Kaufmann
Helmut Deutsch, Pianist
von Michael Buba
Nachdem am Vortag der Dirigent Stefan Soltész während des Dirigats von Der schweigsamen Frau auf tragische Art verstorben ist, konnte man auf den Fluren eine gewisse Bedrücktheit verspüren. Die für die Opernfestspiele typische sommerliche Feststimmung wollte sich zunächst nicht einstellen, dies änderte sich jedoch schlagartig, als Jonas Kaufmann die Bühne betrat.
Seine herausragende Aura fesselt alle Hörer, selbst die auf den Partiturplätzen. Dieser Mann hat schlichtweg Charakter, eine großartige Stimme und Intelligenz. Oftmals wird von einer Verbindung zwischen der Mathematik und der Musik gesprochen, wobei sich bei Jonas Kaufmann beide Welten treffen und kongenial ergänzen. Albrecht Gündel-vom Hofe fasste in einem Artikel für den Tagesspiegel sehr treffend zusammen, dass die Musik auf der Logik der Mathematik beruht.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/musik-ist-mathematik-im-rhythmus-gottes/7739756.html
Bevor Kaufmann sein Gesangsstudium aufnahm, begann er ein Studium der Mathematik, wodurch seine Herangehensweise ans Singen nicht nur rein auf Emotionen basiert, sondern auch technisch und intellektuell durchdacht ist. Jede Note, jede Silbe verbirgt zahllose Gedanken, die Kaufmann auf sängerische Art stets wunderbar zu präsentieren weiß.
Der Festspiel-Liederabend gliederte sich in zwei Teilen, wobei im ersten Teil Klassiker des deutschen Lieds zum Besten gegeben wurden. Während des ersten Lieds Adelaide von Ludwig van Beethoven merkte der versierte Zuhörer jedoch, dass Kaufmann noch nicht ganz seine sängerischen Kräfte wiedererlangt hat und ihm seine Corona-Infektion weiter zusetzt. Mehrmals musste er sich räuspern und die Angst ging um, dass das Konzert jederzeit abgebrochen werden könnte. Aufgrund seines außerordentlichen musikalischen Verständnisses wusste Kaufmann wie kein anderer damit umzugehen und zog zunächst einmal die Handbremse an: kein forte, keine übertriebenen Gefühlsaufbrüche und kühlen Kopf bewahren.
Zum Schluss des ersten Teiles jedoch, während des Liedes Ich bin der Welt abhanden gekommen von Gustav Mahler, bekam man das Gefühl, dass Jonas Kaufmann seine volle Stimme wieder erlangt hatte und nun bereit war sein Maximum zu geben. Während er die ersten Töne sang, hörte man, wie ihm nicht nur der Text, sondern auch die Töne abhanden gekommen sind. Nicht, weil seine Stimme gestreikt hätte, sondern weil er die komplette Kontrolle über diese erlangt hatte und sie bis zum Extremum führen konnte. Seine sehr innige, aber teils zu schnelle Interpretation bereitete Freude auf den zweiten Teil des Konzertes, welcher sich einigen Werken von Franz Liszt widmete.
In diesem präsentierte Kaufmann Lieder, die er im vergangenen Jahr auf CD aufgenommen hatte. Man spürte, dass er sich mit diesem Thema sehr viel beschäftigt hatte und dies adäquat zu präsentieren wusste. Gleich zum Einstieg zeigte Jonas Kaufmann in Vergiftet sind meine Lieder, dass er trotz seinem dunklen Timbre jede einzelne Stimmfarbe bedienen kann. Alleine während des Ausrufes „vergiftet“ bediente er eine stimmliche Bandbreite, welche sich zwischen rau, kratzig und schrill einpendelte. Spätestens nach O lieb, solang du lieben kannst gewann er alle Herzen der Zuhörer. Kein Ton klang schrill oder gar forciert, dafür schaffte es Kaufmann mit sehr zartem Vibrato die Töne in den Saal hineinschweben zu lassen. Wundervoll! Fünf Zugaben gaben Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch zum Besten, welche allesamt Ovationen hervorriefen.
Nach diesem fulminanten Abend, der sehr schnell zu Ende hätte sein können, bleibt mir nur noch eines zu sagen: Sollten Sie einen Liederabend besuchen und nicht mit dem Verhaltenscodex eines Zuhörers vertraut sein – was ich den sehr versierten und belesenen Lesern dieses Blogs natürlich nicht unterstellen möchte –, so empfehle ich Ihnen die Lektüre eines Verhaltensknigge. Applaudieren nach jedem Stück (obwohl Helmut Deutsch bereits am Vorspiel des folgenden Stückes ist) und Zwischenrufe wie „Bitte singen Sie Wagner!“ gehören nicht in einen Liederabend und sind einfach nur peinlich.
Michael Buba, 24. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jonas Kaufmann, Tenor, Helmut Deutsch, Klavier Wiener Konzerthaus, 20. Mai 2021
Richard Wagner, Parsifal Wiener Staatsoper, 11. April 2021 (Stream bei ARTE Concert vom 18. April)
Lieber Herr Buba, beide Teile des Konzertes, nicht nur der zweite, entstammen den in der Corona-Zeit aufgenommenen CDs …….
Waltraud Riegler