Wiener Stehplatzpublikum urteilt "furchtbarer Fidelio" an der Wiener Staatsoper

Ludwig van Beethoven, Fidelio  Wiener Staatsoper, 25. Februar 2023

Christof Fischesser (Rocco) und Brandon Jovanovich (Florestan). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die haben wohl alle die Philharmonikerwürdige Leonore 3 vergessen.

Ja, dieses Haus hatte sicherlich schon bessere Tage. Vor allem gesanglich ist da noch Luft nach oben. Doch eine Philharmonikerwürdige Darbietung der dritten Leonore Ouvertüre wird zum Highlight des Abends. Stehende Ovationen sind die Folge. Slávka Zámečníková darf mächtig mitfeiern. 

Fidelio
Musik von Ludwig van Beethoven
Libretto von Joseph Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke nach Jean Nicolas Bouilly

Wiener Staatsoper, 25. Februar 2023

von Johannes Karl Fischer

Stehplatztratsch nach dem Schlussapplaus. „Furchtbar“ so das Urteil eines Gastes. Gesanglich unter aller Kanone, Chor und Orchester seien vollkommen auseinander. Die Tempi obendrein eine Katastrophe. „Furchtbar, euch beim Meckern zuzuhören“, meint eine andere. „Musste halt zweimal die Woche herkommen, dann weißt du, warum das nix taugt.“ Soso, das verwöhnte Stammpublikum nimmt mal wieder das beste Opernhaus der Welt auseinander. Ausnahmsweise mal ohne Buh-Rufe. 

Ja, der sonst übliche stimmliche Siegeszug der Wiener Staatsoper bleibt aus. Weder Leonore noch Florestan können wirklich überzeugen, auch der Chor hatte sicherlich schon besser Tage. Ganz nebenbei gehört diese veraltete Otto-Schenk-Inszenierung abgesetzt – sie tut dieser dramaturgisch ohnehin misslungenen Oper mehr Schaden als Nutzen.

Trotzdem kann das Haus am Ring mal wieder mit zwei musikalischen Leuchttürmen triumphieren. Da wären zum einen die Wiener Philharmoniker – Entschuldigung, Orchester der Wiener Staatsoper – unter der herausragenden Leitung von Dirigent Axel Kober. So eine begeisternde Darbietung der Beethovensch’en Klangkunst würde selbst im Musikverein für stehende Ovationen sorgen.

Goldene Hornfanfaren füllen den Saal, ganz wie eine berauschende Bruckner-Sinfonie. Viele im Graben haben diese wortwörtlich schon hinter sich. Volkhard Steude am ersten Pult stürzt sich jubelnd in die Fluten der dritten Leonore-Ouvertüre. Das hätte auch das krönende Finale eines Philharmoniker-Tourneekonzerts sein können. Beim Applaus explodiert die Stimmung regelrecht im Saal. Da ist nix auseinander, das ist mal wieder die Wiener Staatsoper in ihrer eigenen Liga.

Leuchtturm Nr. 2: Slávka Zámečníkovás Marzelline. In himmlischen Höhen singt sie die Koloraturen hochexpressiv wie fein geschlagenen Sahne, ihre Stimme strahlt im Saal wie eine hellleuchtende Sonne. „Wie könnt ich glücklich werden“, das Publikum erlebt in diesen Worten eine namenlose Freude. Die junge slowakische Sopranistin erregt mit ihrem Gesang Gänsehaut-Feeling am laufenden Meter. Leider ist das die kleinste Partie dieser Oper…

Slávka Zámečníkovás (Marzelline) und Daniel Jenz (Jaquino) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Auch an Christof Fischessers Rocco gibt es eigentlich nichts auszusetzen. Sein tiefer, kraftvoller Bass brilliert in allen Ecken, lässt sich von allen anderen Stimmen in die Musik mit reinziehen. Das ist aber auch in der Handlung so, der Kerkermeister ist wirklich kein Strippenzieher in diesem Drama. Jochen Schmeckenbecher singt den bösen Don Pizarro mit donnernder Gewalt, steht er doch kurz davor, seinen Gefangenen umzubringen. Vor diesem Gouverneur brauchen seine Feinde viel Angst zu haben. Martin Häßlers Don Fernando sorgt für ein gutes Ende und ist stimmlich nicht weniger mächtig als sein dämonischer Gegner.

Worüber soll man sich in dieser Vorstellung also so aufregen? Ganz einfach: Die Hauptpartien. Anja Kampe ist eine tolle Sängerin, und legt zu Beginn auch heute mit viel Macht die Latte hoch. Doch vor allem in ihren wichtigen Schlager-Arien vermisst man leider die Dramatik, um so richtig vom Hocker gerissen zu werden. Das kann Elisabeth Teige besser. Auch Lise Davidsen.

Gleiches gilt für Brandon Jovanovichs Florestan. Mit starker Stimme schmeißt auch er sich in die Partie rein. Doch im entscheidenden Moment fasst der Tenor die Emotionen dieser Rolle – sei es der Wunsch nach Freiheit, das Sehnen nach Leonore – nur mit mäßigem Erfolg. Singen kann er das alles, keine Frage. Nur wenn der Gefangene in den ersten Noten scheinbar kurz vor dem Ruin steht, müsste der Ruf nach Freiheit so richtig dürsten… wie ein Tannhäuser. Tut er aber nicht. Schade.

Das alles wäre deutlich verkraftbar und an vielen anderen Häusern mehr als zufriedenstellend. Wäre da nicht diese alte Otto-Schenk-Inszenierung. Die Aufgabe einer Fidelio-Regie ist es, dieser großartigen Musik eine ebenbürtige Dramaturgie zu geben. Beethoven ist das nicht gelungen. Stadtessen steht das Publikum vor weitgehend nichtssagenden Bühnenbildern, die kaum mehr als eine offensichtliche Illustrierung der Handlung leisten. Zum Verständnis dieser Oper trägt Otto Schenk hier nicht bei.

Zahlreiche Traditionsinszenierungen hat die Roščić-Intendanz schon in Rente geschickt. Als nächstes bitte diesen Fidelio!

Auch die Wiener Staatsoper darf sich mal einen schlechten Tag leisten. Zum ersten Mal kann ich sagen: Gesanglich ging das in Hamburg besser. Doch wer in Wien einen furchtbaren Fidelio gesehen haben möchte, hat wohl die viel zu zahlreichen musikalischen Totalausfälle im Haus an der Dammtorstraße noch nicht gesehen.

Es bleibt dabei: Der Triumphzug dieses Abends findet vor allem im Graben statt. Und Slávka Zámečníková darf mächtig mitfeiern. 

Johannes Karl Fischer, 26. Februar 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Fidelio, Musik von Ludwig van Beethoven Deutsche Oper Berlin, 25. November 2022 PREMIERE

Fidelio, Ludwig van Beethoven Staatsoper Hamburg, 25. Oktober 2022

Ludwig van Beethoven, Fidelio Staatsoper Hamburg, 25. Oktober 2022

Ludwig van Beethoven, Fidelio, konzertante Aufführung Wolkenturm, Grafenegg, 13. August 2022

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