In allen Registern ragen herrliche Stimmen heraus, allen voran die Soprane lassen engelsgleiche, schwebend-schwerelose luzide Töne hören, die lyrische Opernsänger seltsamerweise nur noch selten aufbieten.
Foto: https://www.forumaltemusik.de (c)
Kaisersaal im Römer Frankfurt, 18. November 2018
Forum Alte Musik
Solistenensemble Barock vokal
Gutenberg-Kammerchor der JGU Mainz
Neumeyer Consort
Leitung: Felix Koch
von Kirsten Liese
Das Frankfurter Konzertleben erschüttern gerade unfassbare Nachrichten: Mit den stark nachgefragten Kaisersaalkonzerten auf dem Römerberg, die zum Besten zählen, was die Stadt im Bereich der Alten Musik zu bieten hat, soll zum Jahresende Schluss sein.
Zehn Jahre lang hat der Frankfurter Verein Forum Alte Musik diese Konzerte bestritten, stets waren sie ausverkauft.
Die Gründe, die zu diesem überraschenden Ende führten, hängen offenbar an gewissen Personen in der Protokollabteilung (!) der Stadt Frankfurt und sorgen, fadenscheinig und absurd, für Kopfschütteln. Demnach wurde dem Verein im Sommer mitgeteilt, dass es für die Kaisersaalkonzerte keine „Rechtsgrundlage“ geben würde und es mithin nicht zulässig sei, den Raum für Konzerte zu nutzen. Man würde bis Juli noch einmal von sich hören lassen, ob die Stadt Frankfurt bereit sei, diese Rechtsgrundlage zu schaffen, hieß es, aber noch nicht einmal dieses Versprechen wurde eingelöst.
Ein Skandal, an dem sich wieder einmal zeigt, wie schlecht es in heutigen Zeiten an allen Ecken und Enden um die Politik bestellt ist, die eine so einzigartige, erlesene Reihe in keiner Weise zu schätzen weiß und sie schamlos eingehen lässt. Noch zu Zeiten der Oberbürgermeisterin Petra Roth, die sich für die Konzertreihe an diesem Ort eigens stark gemacht hat, wäre eine solche Ignoranz, wie sie nun ihre Nachfolger an den Tag legen, undenkbar gewesen!
Aber kommen wir zum Konzert selbst, das mit selten aufgeführter geistlicher Vokalmusik von Heinrich Schütz (1585-1672) das gewohnt hohe Niveau dieser Reihe belegte. – Und das, obwohl einige anspruchsvolle Soloparts aufgrund von Erkrankungen kurzfristig den Einsatz von Einspringern erforderte.
Den Hauptblock bildeten die „Musikalischen Exequien“ op.7, entstanden 1635 im Dreißigjährigen Krieg anlässlich der Trauerfeier für Schütz’ Landesfürsten Heinrich Posthum Reuß. Sie stellen den frühesten Versuch einer kirchlichen Trauermusik auf landessprachliche Texte in der Musikgeschichte dar. Ihr voraus gingen Sätze aus der „Geistlichen Chormusik“ op. 11 und den kleinen „geistlichen Konzerten“ op.9
Die mit einer Kyrie-Paraphrase eingeleitete Begräbnis-Missa verbindet Bibelverse und Liedtexte, die Reuß bei Lebzeiten in einer Textssammlung zur Beschriftung seines Sarges zusammengestellt hatte. Einige raffinierte Doppelchöre darin sind der venezianischen Mehrchörigkeit verpflichtet.
Unter der Leitung von Felix Koch formierten sich in Frankfurt der Mainzer Gutenberg Kammerchor, das Solistenensemble Barock vokal und das Neumeyer Consort zu einer imposanten Phalanx, von der Heinrich Schütz, der über weitaus weniger Musiker verfügte, zur Uraufführung nur träumen konnte.
Alle singen und musizieren aufs Trefflichste, stilsicher, mit guter Textverständlichkeit und homogen.
In allen Registern ragen herrliche Stimmen heraus, allen voran die Soprane lassen engelsgleiche, schwebend-schwerelose luzide Töne hören, die lyrische Opernsänger seltsamerweise nur noch selten aufbieten.
Zwei dieser wunderbaren Sängerinnen, Madeline Claire de Berrié und Elisabeth Scholl als Einspringerin, hatten sich zuvor schon in ausgewählten Einzelsätzen („Ich will den Herren loben allezeit“, „Du Schalksknecht“) mit der überirdischen Schönheit ihrer Stimme und der berührenden Zärtlichkeit im Ausdruck empfohlen.
Dank einer abwechslungsreichen Programmgestaltung zwischen kleinen solistischen und größeren Besetzungen und aufschlussreichen Moderationen mit kurzen Hinweisen zu den jeweiligen Stücken umschiffte der Abend bei alledem jegliche Gefahr jedweder Eintönigkeit.
Dank der im Neumeyer Consort versammelten Blockflöten und Gamben wurde die Musik dann und wann – abgestuft zu den prachtvollen Chören – intimer und filigraner, besonders freilich in einer rein instrumentalen sechsstimmigen Canzona von Johann Hermann Schein.
An keinem anderen Ort in Frankfurt kommt gerade diese zarte Musik so ideal zu Ehren, im Sendesaal des Hessischen Rundfunks ebenso wenig wie in der Alten Oper oder im Dom.
Es kann, es darf einfach nicht sein, dass der Kaisersaal aus dem Frankfurter Musikleben ausscheidet! Gleichermaßen begeistert von der künstlerischen Leistung und betrübt ob die Hiobsbotschaft zog das Publikum von dannen. Ob einzelne Protestbriefe was nützen, scheint ungewiss. Aber einen Versuch ist es wert.
Kirsten Liese, 20. November 2018, für
klassik-begeistert.de