Foto: © Marco Borrelli
Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 3. August 2019
Francesco Cilea, ADRIANA LECOUVREUR
von Klaus Billand (onlinemerker.com)
Ja, sie sang tatsächlich, welches Glück für die Festspielbesucher, die ausgerechnet die letzte der drei Aufführungen gebucht hatten. Denn es war ein Glück, ein künstlerisches Glück zu erleben, wie Anna Netrebko, offenbar völlig genesen – was einen wiederum etwas neidisch macht auf ihren Arzt, wie schnell er eine Erkältung wegbekommt – die Adriana Lecouvreur gestern Abend im Großen Festspielhaus interpretierte. In einem kupferpatina-farbenen wehenden Gewand, mit Strass besetzt, welches dann zu einem wichtigen Instrument ihres Spiels werden sollte, kam sie siegerhaft lächelnd herein. Strahlend bis in die letzten Reihen des Festspielhauses erinnerte sie mich sofort an die Freiheitsstatue in New York – es fehlten nur die Strahlen aus Kupfer wie auf dem Kopf des New Yorker Wahrzeichens.
Die Salzburger Festspiele nennen diese Produktion bescheiden „konzertant“. Was man aber erlebte, war eine klassische semi-konzertante Aufführung, denn nicht nur die Netrebko, sondern auch Anita Rachvelishvili, Yusif Eyvazov, Nicola Alaimo und alle anderen lebten diesen Abend mit intelligenter und absolut passender Gestaltung und Mimik, dass man eine Inszenierung kaum vermisste. Da gab es, wie früher, auch keine Notenpulte mehr, eine absolute Bedingung für eine semi-konzertante Aufführungsform. Ist das vielleicht eine Option für die Zukunft und gar das Überleben der Kunstform Oper, wenn das so schwierige, übertriebene und oft verquere und eben nicht aufgehende Regietheater die Zuschauer den Opernhäusern reihenweise den Rücken kehren lässt?! Man könnte mal darüber nachdenken… Oder besser nicht! Die Regisseure sollen eben gutes Musiktheater machen! Wir wissen ja, dass es geht.
Aber zurück zu Netrebko, Rachvelishvili, Eyvazov und Alaimo sowie dem wie immer bestens aufgelegten Marco Armiliato am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg. Da stimmte einfach alles, ein nie zu lautes, federndes Dirigat, das die Höhen der Partitur von Francesco Cilea zum Leuchten brachte und die Sänger voll zur Geltung, bei perfekter Koordination.
Ich benutze ja äußerst ungern die Attribute „fabelhaft“ oder „phantastisch“, um in einer Rezension die Qualität von Sängern zu beschreiben, weil dann keine Steigerung mehr möglich ist. Aber hier wäre es einmal angebracht. Als Anna Netrebko zur berühmten Arie gleich zu Beginn anhebt, lässt sie eine charaktervolle, sehr gereifte Stimme hören, deren Timbre nun etwas rauchig dunkel geworden ist, dass man meint, sie streife bereits die oberen Register des Mezzosoprans. Dass sie ein solcher nicht ist, wird kurz darauf überdeutlich, wenn sie die Höhen, und dazu noch mit Piano und einem nahezu nicht enden wollenden Atem zelebriert, denn „singt“ würde hier zu kurz greifen. Dabei zeigt sie auch noch eine Gestik, die ihren Gesang auf optimale Weise mit der Aussage und der Rolle integriert, es ist alles eins! Dazu kommt ein bezauberndes Legato, kurz, während der Arie dachte ich einen Moment, Maria Callas zu hören, als wenn sich der Opernhimmel geöffnet hätte und die stets so erwünschten Sonnenstrahlen ungehindert auf die Erde fallen würden. Schade, dass Opernsängerinnen in der Regel nach auch noch so stürmischem Applaus Arien nicht wiederholen, warum eigentlich?! Hier hätte man es sich sooo gewünscht!
In Anita Rachvelishvili als Principessa di Bouillon hatte die Netrebko aber eine ebenbürtige Partnerin und Gegnerin, die eine Mezzo-Röhre erschallen ließ, die, in der Nähe eines Friedhofs gesungen, wohl die Toten wieder auferstehen ließe… Die Mezzosopranistin verfügt über eine enorme vokale Spannbreite und kann ebenso tief ins Alt gehen wie saubere Höhen produzieren – mit unglaublicher stimmlicher Kraft und ebenfalls bemerkenswertem mimischem Ausdruck. Wenn die beiden auf der Bühne standen, gab es nichts mehr zu deuteln – es waren die Höhepunkte dieser „Adriana Lecouvreur“! Auch die Georgierin bewegte sich wie Anna Netrebko auf der gesamten Bühne und ließ so den Eindruck einer intensiven Gestaltung entstehen, die mit dem Begriff „konzertant“ nicht mehr einzufangen ist.
Offenbar fühlte sich Yusif Eyvazov als Maurizio von diesem Sängerfest animiert und sang den Conte di Sassonia mit heldischem Aplomb, alle Höhen technisch bestens meisternd, aber halt mit einem Timbre, das nicht jedermanns Sache ist und sein kann. Es verfügt über keine tenorale Wärme, keine nennenswerte Italianità, die man ja in solchen Rollen doch gern hören möchte. Darstellerisch machte Eyvazov seine Sache sehr gut. Nicola Alaimo ließ als Michonnet seinen kultivierten und bestens geführten Bariton hören, der ideal ins italienische Fach passt. Sehr glaubhaft gestaltete er die naive Hoffnung, mit Adriana doch noch eine Beziehung anzufangen. Mika Kares als Principe di Bouillon und Andrea Giovannini als Abate di Chazeuil rundeten das exzellente Sängerensemble mit hoher stimmlicher Qualität ab. Der Chor spielt zwar keine allzu große Rolle in dem Stück. Der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Walter Zeh machte sich aber in den entsprechenden Szenen äußerst positiv bemerkbar.
Ein Abend er besonderen Art, ganz sicher. Das Publikum war begeistert. Und Netrebko verabschiedete sich bis 2020 von Salzburg. Nun bin ich gespannt auf ihr Bayreuth-Debut mit der Elsa im „Lohengrin“ am 14. August. Hoffentlich ist ihr Arzt dann in der Nähe…
Klaus Billand, 4. August 2019, aus Salzburg
Heftig protestieren muss ich dagegen, dass hier überhaupt der Name Maria Callas fällt. Während die Netrebko eine sehr gute Sängerin, in der zehnten Etage wohnt, residierte Maria Callas für immer im Penthouse des gleichen Gebäudes mit 40 Stockwerken. Man glaubt Billand seien die Verstandespferde durchgegangen. Auch seine schwärmerischen fast orientalischen Einlasungen zu Netrebkos rauschendem Auftritt sind peinlich.
Ich habe hunderte Aufnahmen der Callas, aber vor allem, ich habe sie sechs Mal live gehört (bin 80 Jahre). Nichts ist mit ihr zu vergleichen. Ich hörte sie in Norma 2x mit Franco Corelli und Christa Ludwig, in Tosca 2x mit Tito Gobbi und Bergonzi sowie Renato Cioni und in Don Carlos sowie Medea. Es ist wie mit Caruso, den noch mein Großvater hörte und es ein Leben lang nicht vergaß: Die Callas ist außen vor. Kommen Sie wieder zu sich, Herr Billand
Richard Clark
Wenn überhaupt eine Sängerin auf diesem Paneten weilt, deren Timbre dem der Callas ähnelt, dann ist das Sondra Radvanovsky. Ich möchte mich jedoch hüten, Sängerinnen zu vergleichen, von denen ich eine nie live erleben durfte. Das wäre schwachsinnig, beinahe Gotteslästerung. Denn es ist nie nur die Stimme, nie nur der reine Ton, der Sängerinnen in den Olymp emporsteigen lässt: Die Aura, die Bühnenpräsenz, die Magie, die wird man nur fühlen können, wenn man live dabei gewesen ist.
Jürgen Pathy
Sehr wahr, Richard Clark, die Netrebko ist bei weitem überschätzt wie auch der Sonnyboy Jonas Kaufmann. Der ganze unernste Zirkus um diese beiden Figuren stößt mich ab. Und Kaufmann verriet seine einst sehr gute Mozartstimme. Künstliches Eindunkeln, gutturales Singen, (voce ingolata), kein echte hohes C, falsche, manirierte Piani. Das kommt von falschen Rollen im Verismo, zu vielen Auftritten und schlechten Lehrern. Man hat nur eine Stimme, sie kann nachbronzieren, ihre Farbe verändern, aber nicht den Character. Mit Gewalt ein Spinto sein zu wollen (siehe Villazon), geht grundsätzlich schief. Kaufmann trat seit dem 16. 4. nur dreimal auf.
Hat noch niemand gemerkt, dass der Mann es nicht mehr kann? Und als Krone ein Otello sein zu wollen, den er nie singen konnte und können wird.
Cordialmente
Franco Bastiano
Da bin ich total ihrer meinung!!
W.stengel