Königinnendrama in München: Schlachten in Koloraturen und Duetten

Gaetano Donizetti, Anna Bolena, Staatstheater am Gärtnerplatz, München  Premiere am 4. Dezember 2020

Anna Bolena: Premiere des Gärtnerplatztheaters in München als Stream

Gaetano Donizetti, Anna Bolena
Staatstheater am Gärtnerplatz, München, Premiere am 4. Dezember 2020

Tragedia lirica. Libretto von Felice Romani
Halbszenische Aufführung in einer reduzierten Orchesterfassung von Tony Burke
Foto: Jennifer O’Loughlin, © Marie-Laure Briane

von Barbara Hauter, München

Das war ein Ritt auf dem Gefühlsschlachtross. Die Geschichte der Anna Bolena hat es in sich. Sie bietet Macht, Intrige, Verzweiflung und Liebe. Das Gärtnerplatztheater hat die Emotionen trotz der Distanz, die das Streaming-Erlebnis nunmal gegenüber dem Live-Event im Theater produziert, aufs Wohnzimmersofa transportiert.

Das Schicksal Anna Bolenas, der zweiten Frau Heinrich VIII, hat schon viele Dichter und Regisseure inspiriert. Es muss eine große Liebe gewesen sein, der englische König bricht wegen ihr mit der katholischen Kirche. Aber ihr Ende ist tragisch. Sie gebiert ihm keinen Sohn, der König wendet sich von ihr ab. Seine neue Favoritin ist ausgerechnet ihre intimste Freundin und Kammerzofe Jane Seymour. Anna steht dieser Verbindung im Weg, eine erneute Lösung der Ehe ist nicht möglich, Heinrich schickt seine zweite Frau in den Tod.

Donizettis romantische Belcanto-Oper setzt wenige Tage vor Annas Enthauptung ein. In den kurzen Stunden von der Aufdeckung des Verrats der Freundin bis zum Tod sieht man Anna in intensivsten Liebeschwüre und in höchster Verzweiflung. Ihre Konkurrentin Jane Seymour windet sich zwischen Gewissensbissen, Verliebtheit und Ehrgeiz. König Heinrich spielt seine Macht aus und stellt seiner Frau eine intrigante Falle, um sie des Betrugs zu überführen.

Staatstheater am Gärtnerplatz © Sara Kurig

Ursprünglich war die Oper vom Gärtnerplatztheater konzertant geplant gewesen. Aber ausnahmsweise hat Corona mal etwas möglich gemacht, statt nur zu verhindern. Wegen der Abstandsregeln wurde das verkleinerte Orchester in den Graben verbannt und auf der Bühne war plötzlich Platz, so dass  Szenen ausgespielt werden konnten. So entstand eine halbszenische Version der Anna Bolena. Der Chor tritt auf mit Noten und in Konzertkleidung, Notenständer auf der Bühne dienen bei den Quartetten, Quintetten, Sextetten. Die Duette und Soli aber sind szenisch, die Sänger im Kostüm, die Notenständer werden zu Requisiten.

Da die Oper keine große Rahmenhandlung hat und es im Wesentlichen auf die psychologische Entwicklung der Protagonisten und auf ihre Interaktionen ankommt, passt der halbszenische Ansatz sehr gut zu Anna Bolena. Das Reduzierte spiegelt sich auch im Bühnenbild: einzige Requisite ist eine überdimensionale Krone, die fast drohend über den Sängern hängt. Auf die Bühnenrückwand ist ein Himmel projiziert, der mit den Emotionen der Figuren mitgeht. Mal fällt mal Schnee, mal sind düstere, tief fliegenden Wolken oder ein Wetterleuchten zu sehen. Düster auch die Kostüme, die nur angedeutet historisierend, zum Teil modern sind. Dem Regisseur geht es weniger um die geschichtliche Erzählung, als um die emotionale Bedeutung.

Die großen Emotionen in den Stimmen – ach ja, leider, leider zeigen sich da die Grenzen des Streamings auf. Das wirklich fein Differenzierte gelangt nicht über die kleinen Fernsehlautsprecher. Trotzdem packt mich Jennifer O’Loughlin als Anna schon gleich zu Beginn, ahnungsvoll gedämpft und bedrückt klingt ihr Sopran. Eine wunderbare Besetzung, kraftvoll und selbstbewusst, tief in der Rolle verwurzelt. Sie singt die Rolle der verfolgten Unschuld mit wachsender Stimmgewalt.

Ihre Gegenspielerin, die Mezzospopranistin Margarita Gritskova als Jane Seymour, ist nicht nur in Rolle sondern auch stimmlich ein Kontrapunkt. Ihre Stimme klingt so flexibel wie ihre Stimmungen zwischen Gewissensbissen und Machtgier.  Die beiden liefern sich wahre Stimm-Schlachten. Volle Frauenpower bis hin zum Pagen Smeton, gesungen von Anna-Katharina Tonauer. Schmeichelnd zu Beginn, treibend, dann ein zunehmend hilfloses Intrigenopfer – die Mezzosopranistin gibt dem Pagen ein markantes psychologisches Profil.

Die Männer stehen dem in nichts nach. Percy, Tenor Lucian Krasznec, bewegt sich scheinbar mühelos durch alle Register, gibt den ehemaligen Liebhaber der Königin dabei als Idealisten, der an die wahre Liebe glaubt. Der Bass Sava Vemić verleiht seinem Heinrich VIII eine machtvoll, düstere, unberechenbare Aura.

Foto: Juan Carlos Falcón © Marie-Laure Briane

Streaming ist besser als keine Oper. Aber das Format kann Live nicht ersetzen. Ich sehe mir ja auch nicht so gerne Arte-Aufzeichnungen von Opern an. Nicht nur, dass die Zwischentöne nicht ankommen im heimischen Wohnzimmer. Mir fehlt auch die Konzentration, die mir das Zusehen im abgedunkelten Zuschauerraum verschafft, und ja, eventuell ist es auch besser gerade auf dem Opernsessel zu sitzen, als sich bequem auf dem Sofa zu lümmeln. Nur das Pausenprogramm finde ich beim Streaming wirklich hilfreich: Statt für ein Glas Sekt anzustehen wurden uns Interviews mit den Künstlern serviert. Vielleicht bleibt uns das ja auch nach Corona im Live-Betreib erhalten?

Barbara Hauter, 6. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gaetano Donizetti, Anna Bolena, Staatstheater am Gärtnerplatz, München Premiere am 4. Dezember 2020

Dirigat: Howard Arman
Staging/Regie: Maximilian Berling
Kostüm: Inge Schäffner
Licht: Michael Heidinger
Choreinstudierung: Pietro Numico
Dramaturgie: András Borbély T.

Enrico VIII, König von England: Sava Vemić

Anna Bolena: Jennifer O’Loughlin

Giovanna Seymour, Hofdame Annas: Margarita Gritskova

Lord Rochefort, Bruder Annas: Timos Sirlantzis

Lord Riccardo Percy: Lucian Krasznec

Smeton, Page Annas: Anna-Katharina Tonauer

Sir Hervey, Offizier: Juan Carlos Falcón

Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz 
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Interview: Josef E. Köpplinger, Staatsintendant des Staatstheaters am Gärtnerplatz, München 

 

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