Das Musiktheater an der Wien wagt sich an eine Donizetti-Rarität

Gaetano Donizetti, Les Martyrs  Musiktheater an der Wien, 28. September 2023

Les Martyrs © Werner Kmetits

Das Musiktheater an der Wien wagt sich mit einer von symbolträchtigen Bilderfluten buchstäblich überquellenden Inszenierung an die weitgehend unbekannte, vieraktige „Grand Opéra“ Les Martyrs von Donizetti. Das Werk, das die brutale Unterdrückung der frühen Christen durch die römischen Herrscher in der Provinz Armenien im Jahr 257 zum Thema hat, bietet sich förmlich für die historische Parallele an: Die von der Türkei auch heute noch systematisch geleugneten Armenier-Massaker der Jahre 1915/16.

Gaetano Donizetti, Les Martyrs
Musiktheater an der Wien, 28. September 2023

von Dr. Charles E. Ritterband

Die in dieser Inszenierung (Cezary Tomaszewski) konsequent durchgezogene Parallelität zwischen den beiden Zeitebenen, zwischen der brutalen Christenverfolgung in der Antike und den genauso brutalen Massenmorden an den Armeniern stellt sehr hohe Ansprüche an die Zuschauer; die intensive, heftige Musik Donizettis, welche in dieser Oper nichts, aber auch gar nichts von der gewohnten Leichtigkeit dieses Komponisten hat, bietet weitere Erschwernis. Von „hohem Qualfaktor“ spricht da eine Wiener Tageszeitung, von einem „sinnbefreiten grellen Nichts“ – „Gravitas und Trallala“ ortet eine andere.

Wir widersprechen: Diese Oper und diese Inszenierung verlangen dem Zuschauer zugegebenermaßen einiges ab. Doch wie hier die in der Handlung vorgegebene Brutalität auf die Bühne gebracht wird ist in höchstem Masse kunstvoll – und gelungen.

Grandios die Chöre (Arnold Schönberg Chor, Leitung: Erwin Ortner), virtuos, ja gewaltig das Orchester (ORF Radiosymphonieorchester Wien unter der musikalischen Leitung von Jérémie Rhorer). Geschmeidig und sicher in den Höhen der Polyeucte von John Osborn, viril und gewalttätig der römische Feldherr Sévère, gesungen von Mattia Olivieri. Überaus kraftvoll, von geradezu metallischer Schärfe der Sopran der glänzenden Sizilianerin Roberta Mantegna als Pauline, die – obwohl Tochter zu des römischen Gouveneurs Felix – eisern-unerschütterlich zu ihrem Mann Polyeucte hält, auch als sich herausstellt, dass er überzeugt dem christlichen Glauben anhängt. Als dieser den Tod in der Arena wählt, wo schon die hungrigen Löwen lauern, erfährt sie eine religiöse Erleuchtung und geht mit ihm in den  Tod.

Les Martyrs © Werner Kmetits

Die Brutalität – Morde und Vergewaltigungen – werden vom Regisseur Cezary Tomaszewski und der Ausstatterin Aleksandra Wasilkowska ebenso subtil wie eindrücklich und mit unverkennbarer Klarheit auf die Bühne gebracht, nämlich mit gepfählten Stoffpuppen, mit weichen, abgetrennten Stoffgliedmassen. Obwohl die historischen Koordinaten vorgegeben sind, wird es weitgehend unmöglich, der Handlung dieser Oper und ihrer Inszenierung zu folgen. Die pompöse Musik macht es dem Zuschauer nicht leichter.

Dr. Charles E. Ritterband, 28. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Jérémie Rhorer
Inszenierung: Cezary Tomaszewski
Licht: Jedrzej Jecikowski
Kostüme: Aleksandra Wasilkowska
Video: Krzysztof Kaczmarek

Besetzung:

Pauline: Roberta Mantegna
Polyeucte: John Osborn
Sévère: Mattia Olivieri
Felix: David Steffens
Callisthenes: Nicolo Donini
Nearque: Patrick Kabongo

ORF Radiosymphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor
Leitung: Erwin Ortner

Gaetano Donizetti, Les Martyrs Museumsquartier Halle E (Theater a. d. Wien), 23. September 2023

Mieczysław Weinberg „Der Idiot“ Museumsquartier Halle E, Musiktheater an der Wien, 3. Mai 2023

Mieczysław Weinberg „Der Idiot“  nach dem Roman von Fjodor Dostojewski Musiktheater an der Wien, 28. April 2023, Erstaufführung

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