Gut ist nicht gut genug...

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor  Staatsoper Hamburg, 6. Februar 2024

Foto (RW): Daniel Kluge (Normanno, Hauptmann in Enricos Diensten), Alexander Roslavets (Raimondo Bidebent, Kaplan und Lucias Erzieher), Oleksiy Palchykov (Sir Edgardo di Ravenswood), Liv Redpath (Lucia, Enricos Schwester), Kartal Karagedik (Lord Enrico Ashton), Seungwoo Simon Yang (Lord Arturo Bucklaw)

Im Hinterkopf dachte ich dabei an die schöne, am Text entlang inszenierte Elektra-Fassung von Brigitte Fassbaender, die wir letzten Sonnabend in Lübeck sehen durften. Vielleicht wäre bei einer weniger durch, hamburgisch gesagt, Fisimatenten dominierten Inszenierung auch die gesangliche Seite der Aufführung besser und konzentrierter zur Geltung gekommen.

Lucia di Lammermoor
Oper  von Gaetano Donizetti                                                                                                  in italienischer Sprache

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
musikalische Leitung: Lorenzo Passerini

Inszenierung: Amélie Niermeyer
Bühne: Christian Schmidt, Kostüme: Kirsten Dephoff
Video: Jan Speckenbach, Choreographie: Dustin Klein


Staatsoper Hamburg,
6. Februar 2024

von Dr. Ralf Wegner

Die letzte wirklich exzellente Lucia-Aufführung habe ich 2010 gesehen, mit Elena Moșuc als Lucia und Piotr Beczała als Edgardo, Artur Rucinski als Enrico und Alexander Tsymbalyuk als Raimondo. Die danach folgenden 7 Aufführungen einschließlich der heutigen waren nur noch gut, also nicht gut genug. Tenören wie Luciano Pavarotti, José Carreras oder Luis Lima konnte die letzten Jahre auf der Hamburger Bühne niemand das Wasser reichen. Auch die Sängerinnen der Lucia erreichten nach der gesanglich großartigen Ha Young Lee und der überwältigenden Elena Moșuc (beide 2010) nicht mehr das für eine Belcanto-Oper notwendige Niveau wie früher u.a. Renata Scotto, Edita Gruberová oder June Anderson.

Die Statisterie (Foto RW)

Gestern sang die noch junge, erst 31-jährige, für Emily Pogorelc eingesprungene und mit reichlich Vorschusslorbeeren bedachte US-amerikanische Sopranistin Liv Redpath die Lucia, sauber, mit blitzenden Koloraturen und schönem Stimmklang, aber ohne den für die Partie auch notwendigen lyrisch-dramatischen Unterbau, der den Raum füllt und das Herz ergreift.

Im noch viel größeren Londoner Royal Opera House wird sie im April/Mai als Lucia auftreten. Hoffentlich reicht ihre Stimme dort überhaupt bis ganz nach oben in das Amphitheater. Gestern hatte ich ständig das Gefühl, dass ihr Stimmklang im Bühnenkasten wie gefangen blieb. Liv Redpaths Sopran ist im Gegensatz zu den Stimmen der oben genannten Sängerinnen noch zu leicht und eher für Rollen wie Oskar im Maskenball, den sie im Herbst letzten Jahres an der Metropolitan Oper in New York gesungen hat, Königin der Nacht oder Olympia bestens geeignet.

Oleksiy Palchykov (Edgardo) war für Redpath ein gleichwertiger Partner. Auch sein Tenorklang blieb im Bühnenkasten wie gefangen. Palchykovs von manchen überaus gelobte Stimme erscheint mir eher eng und mit wenig Möglichkeit zur Farbmodulation. Ganz im Gegensatz zu dem als Arturo auftretenden Tenor Seungwoo Simon Yang, der mit einer raumfüllenden, klangvollen Tenorstimme auf sich aufmerksam machte. Vielleicht wird er einmal ein herausragenden Edgardo sein.

Der Bariton Kartal Karagedik, der Bass Alexander Roslavets und der Tenor Daniel Kluge sangen als Enrico, Raimondo und Normanno rollendeckend gut bis sehr gut, von Kristina Stanek (Alisa) würde man gern mehr hören.

Das nach rechts und links verschiebbare Bühnenbild (Foto RW)

Die 2021 von mir bereits besprochene Inszenierung von Amélie Niermeyer gefiel mir diesmal deutlich weniger. Die immer wieder beim Auftreten von Lucia eingespielten Videoprojektionen lenkten vom Musikalischen ab und verhinderten innere, von der Komposition und dem Gesang ausgelöste Bilder. Den sichtbaren Meuchelmord an Arturo empfand ich jetzt als Banalisierung des sich bei Lucia entwickelnden Wahns und die beim Hochzeitsfest in mittellange grüne Kleider mit dicken Puffärmeln gekleideten, und darin zu albern wirkenden Tanz-Verrenkungen gezwungenen männlichen Statisten (die Chormitglieder waren über die unteren vorderen Logen verteilt, Corona-bedingte Inszenierungsfolge) hinterließen einen lächerlichen, der romantischen Schauergeschichte völlig unangemessenen Eindruck.

Im Hinterkopf dachte ich dabei an die schöne, am Text entlang inszenierte Elektra-Fassung von Brigitte Fassbaender, die wir letzten Sonnabend in Lübeck sehen durften. Vielleicht wäre bei einer weniger durch, hamburgisch gesagt, Fisimatenten dominierten Inszenierung auch die gesangliche Seite der Aufführung besser und konzentrierter zur Geltung gekommen.

Dr. Ralf Wegner, 7. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor, konzertante Aufführung 25. August 2022

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor, Oper Leipzig, 2. April 2022

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor Staatsoper Hamburg, 19. Oktober 2021, PREMIERE

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor Staatsoper Hamburg, Stream ins Netz gestellt am 30. April 2021

Ein Gedanke zu „Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor
Staatsoper Hamburg, 6. Februar 2024“

  1. Habe in dieser Oper noch Plácido Domingo und Joan Sutherland erlebt, bei der sehr guten Renata Scotto schrieb damals die Kritik, dass man – im Vergleich zu Sutherland – merken könne, wie schwierig die Partie sei. Bei Oleksiy Palchykov stimme ich Ihnen voll zu, ist mir auch unverständlich, was man bei dieser dünnen Stimme gut finden kann. Da lobe ich mir aus dem Ensemble doch Dovlet Nurgeldiyev. Wie lange wird man ihn wohl noch in Hamburg halten können.

    Hartmut Funke

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert