Gautier Capuçon © Gregory Batardon
Antonín Dvořák:
Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op.104
Richard Strauss:
Don Juan / Tondichtung nach Nikolaus Lenau op. 20
Till Eulenspiegels lustige Streiche op. 28
Gautier Capuçon, Violoncello
Wiener Symphoniker
Petr Popelka, musikalische Leitung
Philharmonie Berlin, 17. April 2024
von Kirsten Liese
Es ist lange her, dass mir Dvořáks Cellokonzert zuletzt im Konzertsaal vergönnt war. In den 1980er und 1990er Jahren erlebte ich es alle Nase lang mit den besten Solisten der damaligen Zeit, darunter noch Cello-Papst Rostropowitsch in schon sehr fortgeschrittenem Alter, David Geringas, Natalia Gutman, Mischa Maisky oder Yo Yo Ma. Meine Messlatte liegt insofern sehr hoch um sagen zu können: Mit Gautier Capuçon habe ich nun einen der besten heutigen Cellisten hören dürfen!
Jedenfalls hätten die Wiener Symphoniker, die sich mit ihrer jüngsten Deutschlandtournee auf ihr 125-jähriges Bestehen einstimmen, keinen besseren Solisten finden können. Capuçon hat einen Stil ausgeprägt, der einen schönen seidenen Ton mit einer Eleganz verbindet, die man in erster Linie mit den Franzosen verbindet, denke ich etwa an einen Grandseigneur wie André Navarra.
Das zeigt sich vor allem an der Leichtigkeit in den virtuosen Passagen, an der großen Beseeltheit des Spiels und der Intimität in den leisen, lyrischen Strecken.
Von großer Raffinesse sind die feinen klanglichen und farblichen Schattierungen, und die schwermütigen Melodien in allen drei Sätzen, vor allem natürlich im zweiten, berühren auch deshalb so stark, weil Capuçon, das Orchester und sein neuer Chefdirigent Petr Popelka per Blickkontakt bestens miteinander kommunizieren, alle Nuancen haarfein aufeinander abstimmen.
Wenn das Cello mit dem kantablen Thema im Adagio einsetzt, scheint für einen Moment die Zeit stehen zu bleiben. Ungemein zärtlich spielt es der Franzose, hier tönt sein Instrument am edelsten und ohne einen Anflug von Pathos. Er und Dirigent Popelka gönnen der Musik alle Zeit der Welt.
Vor allem bewundere ich, wie der Solist im Fortissimo seine rasanten, hoch virtuosen Skalen in hoher Daumenlage meistert, ungemein kraftvoll, aber ohne zu klotzen. Schon so manchen Cellisten erlebte ich da, der sich wie ein Schwerstarbeiter schweißtriefend in seine höchsten Lagen vorarbeitete.
Zu dem Raffinement dieser Gesamtdarbietung passte dann auch eine ungewöhnliche Zugabe: das Lied „Lasst mich allein“ aus „Vier Liedern für Singstimme und Klavier“ von Dvořák, in einer Bearbeitung für Violoncello, begleitet von den Cellisten des Orchesters, also mithin eigentlich ein Cello-Ensemblestück. Und so spielten es alle Beteiligten auch, mit einem wunderbar samtenen, warmen schönen Ton.
Umso bedauerlicher, dass in der Berliner Philharmonie an diesem Abend viele Stühle leer blieben. Erstaunt hat mich das allerdings nicht. Die Eintrittskarten für dieses Konzert waren viel zu überteuert.
Eigentlich wollte ich noch jemanden mitnehmen, aber selbst in Block E, wo sich die Preise in der Regel moderat bei um die 60 Euro bewegen, lagen sie exorbitant hoch bei 93 Euro. Das ist für Berliner Verhältnisse viel zu happig, allenfalls für einen etablierten internationalen Stardirigenten würde man vielleicht so tief in die Tasche greifen.
Sehr schade, zu günstigeren Konditionen hätte der Saal bestimmt voll werden können, tendenziell strömen die Berliner derzeit in die Konzerte. Vor der Philharmonie standen sogar noch zwei Enthusiasten mit dem Schildchen „Suche Karte“. Früher traf man die vor Opern- und Konzerthäusern, wenn die Veranstaltungen ausverkauft waren, nun scheint ein neuer Trend um sich zu greifen: Wenn die offiziellen Tickets zu teuer sind, darauf zu spekulieren, dass Leute, die kurzfristig nicht können, ihre billiger abgeben…
Falls es nicht klappt, geht man halt in ein anderes Konzert, das Angebot in Berlin ist erfreulich groß. Hätte ich nicht über einige Umwege eine Pressekarte erhalten können, ich wäre wohl auch nicht bei den Wiener Symphonikern dabei gewesen. Aber dafür kann das Orchester nichts, das sich sicherlich auch ein volleres Haus gewünscht hätte, dafür verantwortlich ist allein der Veranstalter.
Den Mann am Pult kannte ich noch nicht, der 38-jährige Tscheche Petr Popelka stellte sich als neuer Chefdirigent der Wiener Symphoniker vor. Die Chemie zwischen ihm und dem Orchester stimmt, die Freude beim Musizieren und die hohe Motivation, sich unter ihm zu präsentieren, war allen Beteiligten anzumerken.
Als Beleg dafür dienten die Wiedergaben zweier sinfonischer Dichtungen von Richard Strauss. Da gingen alle mit Feuereifer an die Sache. Flammende Leidenschaft durchdrang die Abenteuer des Frauenhelden Don Juan, alle spielten, was das Zeug hält an der vorderen Stuhlkante. Mir persönlich war diese Darbietung indes schon eine Spur zu überschäumend, auch seitens des Tempos. Bei aller Erotik und Dramatik gibt es doch in diesem Stück leisere Momente, die Dynamik bewegte sich weitgehend in den Fortebereichen.
Vor allem aber Till Eulenspiegels lustige Streiche kam mir ein bisschen zu laut und schnell in die Gänge, entbehrte der klanglichen Raffinesse, die zuvor Gautier Capuçons Spiel so ausgezeichnet hatte. Die Stellen, in denen sich Eulenspiegels Schalk Bahn bricht, kamen in ihrem mal tänzerischen, mal verschmitzten Gestus zu wenig zum Tragen, die allerersten Takte, mit denen die Geschichte zum Leben erwacht, fordern eigentlich zu einem weitaus stärkeren Dolcissimo heraus. Und an der Stelle, wo die Musik einmal majestätischer wirkt, müsste sie doch etwas langsamer zum Erstrahlen kommen, da fegt der Dirigent voller Kraft gerne mal hinweg.
Aber das verbuche ich jetzt einfach mal als juvenilen Überschwang, der einem unter 40-Jährigen in einer so bedeutsamen Position und achtbarer Resonanz in der österreichischen Presse zugestanden sei.
In dem zugegebenen schwungvollen Frühlingsstimmen-Walzer und der Sport-Polka von Johann Strauß war dieser Elan dann auch richtig am Platz. Auf die weitere Zusammenarbeit sind wir gespannt!
Kirsten Liese, 18. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Artist in Residence-Konzert Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin, 10. April 2024
Konzerthaus Berlin, Joana Mallwitz mit Gautier Capuçon Konzerthaus Berlin, 11. November 2023
Die Preispolitik ist generell zu hinterfragen. Im Musikverein Wien fallen mir auch Konzerte auf, die kaum Karten los bekommen. Der Grund: Mit ziemlicher Sicherheit der Preis. 109 Euro für Yundi Li scheint weit zu hoch in Kategorie 3. Würde man den Preis tiefer ansetzen, kämen mehr Zuschauer.
Jürgen Pathy
Gut, dass das Thema Preispolitik hier mal thematisiert wird. Mein Ansatz war schon immer, dass sich jeder Mensch ein Konzert leisten können sollte, und da ist die Philharmonie de Paris mit einem begrenzten Kartenkontingent zu 10€ (kommende Spielzeit: 12€) Vorreiter, auch wenn ich aus anderen Gründen nicht mehr hingehe.
In Deutschland gibt es fast immer eine Karte für um die 30€ in der günstigsten Kategorie, vielleicht auch mal 40€, wenn Frau Mutter spielt, bei der ein ausverkaufter Saal nach wie vor sehr wahrscheinlich ist (siehe Eröffnung der Spielzeit 24/25 in Dortmund am 31.8.2024, schon jetzt nahezu ausverkauft).
Natürlich muss man manchmal schnell sein, um die letzte oder vorletzte Kategorie zu bekommen. Doof und unnötig kompliziert ist dabei im Falle der Kölner Philharmonie, dass man sich für jedes Konzert einen anderen Vorverkaufstermin aufschreiben muss, anstatt dass der Verkauf für die komplette Saison an einem bestimmten Tag losgeht. (Meine Anmerkungen diesbezüglich stießen vor knapp zwei Jahren beim Intendanten auf freundliches Desinteresse.)
Es sind meist nicht die Konzerthäuser, sondern gewisse Veranstalter die die Säle für eine Tour buchen. Im Falle von Yundi handelt es sich um die Guang Hua Media (Germany) GmbH, von der zumindest ich noch nie gehört habe. Der Verkauf läuft auch für den Pfingstsonntag in Köln auffallend schlecht. Ich meine: so richtig mies. Kein Wunder, liegen die Kartenpreise doch zwischen krummen 58,45€ und 168,45€.
In Köln gibt’s allein im Mai zwei weitere sehr reizvolle Mozart-Abende als Alternativen, darunter am Vorabend von Yundis Rezital die letzten drei Sinfonien mit Simon Rattle und dem MCO sowie ein ganzer Kammermusik-Nachmittag mit dem Feingeist Kit Armstrong & Freunden.
Brian Cooper
Liebe Kollegen,
ja, Preispolitik ist wirklich ein Thema.
Ich darf fairerweise noch hinzufügen, dass ein privater Veranstalter wie in diesem Fall die Konzertagentur Adler staatlich nicht subventioniert wird und folglich anders kalkulieren muss, vor allem, wenn Gastorchester beteiligt sind. Das ist mir durchaus bewusst. Nur hilft es natürlich alles nichts, wenn sich diese Preise kaum jemand leisten kann oder will bzw. wenn die schlechtesten Plätze schon bei 55 Euro losgehen, das ist mir persönlich für einen Platz sehr weit oben in der Philharmonie dann wirklich zu teuer, da stimmen die Relationen nicht mehr. Insofern bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass alle Beteiligten bei moderateren Preisen besser fahren würden. Wenn die Karten unverkauft bleiben, hat ja auch niemand etwas davon.
Karten zu 10, 12 Euro sind natürlich traumhaft, Brian, aber interessant in diesem Zusammenhang wäre natürlich auch, was das für Plätze sind: Hör- oder Stehplätze? Gute oder schlechte?
In vielen Logentheatern sind solche billigen Plätze leider reine Hörplätze hinter einer Säule in zweiter Reihe, so einen Platz würde ich trotz günstiger Konditionen auch nicht kaufen wollen.
Kirsten Liese
Liebe Kirsten,
natürlich – die Subventionen. Wichtiger Punkt. Daran dachte ich als hedonistischer Vielhörer – und potentiell miserabler Buchhalter – zunächst nicht… Doch auch ein nicht subventionierter Anbieter könnte ein paar günstige Plätze entbehren, finde ich, zumindest für Leute unter 30. Das machen ja auch einige. Das rein privat finanzierte Klavier-Festival Ruhr hat für so gut wie jedes Konzert eine ganze Kategorie zu 20 oder 25€, und obendrein gibt es oft „2 für 1“-Angebote, wenn der Vorverkauf etwas schleppender läuft.
In der Pariser Philharmonie sind die billigen Plätze gar nicht so schlecht. (Überhaupt gibt es meiner Meinung nach in den moderneren Sälen eher wenig bis keine schlechten Plätze.) Das sind Sitzplätze mit leichter Sichtbehinderung, d.h. bei sinfonischen Konzerten sieht man nicht unbedingt alle Mitwirkenden.
Ganz hinten, en face, gibt es in der letzten Kategorie eine Handvoll Plätze mit vollständiger Bühnensicht, nahezu unmöglich zu bekommen; die letzten beiden Reihen auf der Chorempore (wo einem, wenn die Orgel spielt, Ohropax angeboten werden!) zählen auch dazu; die Mehrheit der Plätze ist aber in den seitlichen Blöcken über der Bühne, auch dort die letzten beiden Reihen.
Das ist ganz anders als etwa bei den Hörplätzen in der Laeiszhalle, die ich nun endlich buchstabieren kann, oder in den letzten Reihen der Logen (Palais Garnier, Scala usw.). Da sind die modernen Säle schon ein wenig „demokratischer“ geworden.
Brian Cooper