Foto: © Monika Rittershaus
Oper Frankfurt, 12.Mai 2019
Georg Friedrich Händel, Rodelinda (Premiere)
von Kirsten Liese
Eine herrschaftliche Villa nimmt die Drehbühne ein. Mal schaut man von außen auf ihre monumentale Fassade, mal auf karg möblierte, weiße Innenräume in zwei Stockwerken und das Eingangsfoyer samt Treppenhaus. So stelle ich mir den idealen Schauplatz für Dramen von Ibsen oder Strindberg vor. Aber wer Operninszenierungen des gefragten, viel beschäftigten Regisseurs Claus Guth gesehen hat und seine Handschrift kennt, weiß, dass er gerne auch Musikdramen aus früheren Jahrhunderten in Bühnenräumen ansiedelt, die ähnlich ausgestaltet sind wie diese von Christian Schmidt.
Wiewohl ich Barockopern im szenisch-historisch informierten Aufführungsstil bevorzuge, muss ich Guth konzedieren, dass er Händels „Rodelinda“ an der Oper Frankfurt, eine Koproduktion mit Madrid, Lyon und Barcelona, ästhetisch ansprechend und mit schlüssiger Psychologie zu einem packenden Opernkrimi ausgestaltet.
Dabei erweist es sich als ein starker Kunstgriff, die Handlung, in der es im Gefecht um Macht und Liebe äußerst grausam zugeht, aus der Perspektive eines kleinen Jungen zu erzählen. Dieser Flavio, Sohn des langobardischen Königspaars Rodelinda und Bertarido, sieht aus wie David Bennent als Oskar Matzerath in Schlöndorffs „Blechtrommel“-Verfilmung (starke kindliche Körpersprache und Mimik: der kleinwüchsige Schauspieler Fabián Augusto Gómez Bohórquez) und begleitet unentwegt als quirliger Beobachter und Mitleidender das Geschehen. In dem Haus seiner Eltern herrschen wahrlich barbarische Zustände: Sein Vater ist geflohen, nachdem er seinen Bruder ermordet hat, und wird seither für tot gehalten. Seine Mutter findet kaum Raum für ihre Trauer, weil sie von dem sie umwerbenden Usurpator Grimoaldo (virtuos, aber stimmlich etwas eng: Martin Mitterrutzner) zur Liebe und Ehe gedrängt wird, der den Platz ihres Gatten einnehmen will. Am Schlimmsten freilich trifft es Flavio, dass seine eigene Mutter gegenüber Grimoaldo zur Bedingung macht, er müsse ihren Sohn ermorden, wenn er sie heiraten wolle. Dass sie das nur zum Schein sagt, kann der Junge in seinem zarten Alter nicht ahnen.
Zu einer solchen Tragödie kommt es glücklicherweise auch nicht, stattdessen steht plötzlich der tot geglaubte Bertarido wieder vor der Tür. An seiner Rückkehr entfesseln sich allerdings noch einmal aufwühlende Existenzkämpfe auf Leben und Tod, bis am Ende Flavio die Mordwaffe an sich reißt, diese vergräbt und damit der Utopie an ein friedliches Miteinander Raum gibt, wie es das lieto fine, also das glückliche Ende in der Barockoper gebietet.
Indem der Junge bis dahin seine Eindrücke malerisch zu Papier bringt, scheint er all die Schrecken überhaupt zu verkraften. Stark vergrößert werden seine Strichzeichnungen für den Zuschauer sichtbar auf die Häuserwände projiziert (Video: Andi A.Müller), dazu geistern allerhand Alptraumfiguren und kafkaeske Monster mit Riesenköpfen durch das Haus.
Höchst achtbar gelingt es Claus Guth bei alledem, die langen Da Capo-Arien immer wieder mit stimmigen kleinen Szenen zu illustrieren, dank denen die Produktion nie Gefahr läuft, in statisches Rampentheater abzugleiten. Das gelingt schon ganz am Anfang, wenn Grimoaldo der trauernden Rodelinda mit einem Strauß roter Rosen zu Füßen kniet und als frustrierter Zurückgewiesener alle Blätter von den Stängeln reißt. Oder wenn Rodelinda beim Festmahl einen Hummer zerlegt und dessen Einzelteile dem unliebsamen Werber und seinen Anhängern in den Rachen stopft.
Die britische Sopranistin Lucy Crowe spielt und singt die Titelpartie mit großer Hingabe. Zwar ließen sich auf den Händelfestspielen in Göttingen schon weniger bekannte Kolleginnen entdecken, die in den Spitzen schönere, glockenhellere Töne aufboten, aber das ist Kritik auf hohem Niveau, meistert doch Crowe ihre anspruchsvolle Rolle mit starker stimmlicher Präsenz und den geforderten dramatischen und lyrischen Qualitäten. Und wenn sie ganz leise singt, gelingen ihr Kopfklänge von betörender Schwerelosigkeit, wie man sie sich an den lauteren Stellen auch ersehnen würde.
Vor allem aber Andreas Scholl, den ich lange nicht mehr auf einer Opernbühne erlebt habe, entströmten in der dankbaren Rolle des heimgekehrten Gatten Bertarido die denkbar schönsten und zärtlichsten Piano- und Kopfklänge, die ein Countertenor aufbieten kann, dies gleich in der ersten herrlichen Arie „Dove sei, amato bene“. Wiewohl die 1725 in London uraufgeführte „Rodelinda“ zu den seltener aufgeführten Musikdramen Händels zählt, hat sich doch diese neben den Titeln „Ombra mai fui“ oder „Lascia che pianga“ unter den beliebtesten und anrührendsten etabliert.
Freilich war mit dem polnischen Countertenor Jakub Józef Orliński als weisem Diener Unulfo – noch dazu mit chaplinesken, akrobatischen Einlagen ein Ausnahmetalent- ein weiterer Star der barocken Opernszene an Bord. Die mit ihrem vollmundigem, dunklen Mezzo für sich einnehmende Katharina Magiera als Bertaridos Schwester Eduige und der am Attentat an Grimoaldo scheiternde Garibaldo des stimmstarken Bassisten Božidar Smiljanić – ein Brite mit serbischen Wurzeln – komplettieren das vorzügliche Ensemble.
Andrea Marcon leitet das Frankfurter Opern- und Museumsorchester stilsicher und farbenreich durch die Partitur. Dank nie überzogener Tempi, wie sie in der Alten Musik neuerdings Mode sind, kommt dabei jedes noch so kleine Solo prächtig zur Geltung- hier eine Traversflöte, da eine Blockflöte oder Barockoboe. Selbst die silbrigen Klänge des Cembalos gehen im transparenten Gesamtklang nie unter. Und wird die Musik so melancholisch und schmerzvoll wie in dem berührenden Liebesduett von Rodelinda und Bertarido, in dem sie vorübergehend voneinander Abschied nehmen, meint man, die Zeit stehe still.
Kirsten Liese, 13. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung: Andrea Marcon
Regie: Claus Guth
Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt
Licht: Joachim Klein
Rodelinda: Lucy Crowe
Bertarido: Andreas Scholl
Grimoaldo: Martin Mitterrutzner
Eduige: Katharina Magiera
Unulfo: Jakub Józef Orliński
Garibaldo: Božidar Smiljanić
Flavio: Fabián Augusto Gómez Bohórquez