Grandy entfacht ein musikalisches Beben und die Bühne stolpert hinterher

Giacomo Puccini (1858–1924) Tosca  Oper Frankfurt, 20. September 2025

Foto: Copyright by Barbara Aumüller 

Giacomo Puccini (1858–1924)
Tosca

Melodramma in drei Akten
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Uraufführung 1900

Premiere vom 16. Januar 2011
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Musikalische Leitung: Elias Grandy

Chor und Kinderchor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Oper Frankfurt, 20. September 2025

von Dirk Schauß

Repertoirevorstellungen haben den zweifelhaften Ruf, auf Autopilot zu laufen: ein paar solide Stimmen, ein routiniertes Orchester, dazu die gefühlt hundertste Wiederholung der alten Regieideen. Man kennt das und rechnet längst nicht mehr mit Funkenflug.

Die Frankfurter Tosca am 20. September strafte diesen Verdacht gleich doppelt Lügen: Die Musik loderte, als hätte Dirigent Elias Grandy Puccini höchstpersönlich den Taktstock geführt, während die Bühne zwar nicht in Flammen aufging, aber doch mehrfach ins Stolpern geriet. Wer ins Haus kam, um große Musik zu hören, wurde königlich bedient; wer eine szenische Sternstunde erwartete, musste Abstriche machen.

Andreas Kriegenburgs Inszenierung sucht die Reduktion. Wenige Gesten, viel Raum, karge Flächen, ritualhafte Strenge. Das funktioniert zu Beginn sogar recht überzeugend: das schmale Kapellenfensterkreuz in der hohen Holzwand, Toscas Auftritt im Trockeneis bei fallender Rückwand vor dem Altar, die Magdalena-Malerei, die aus Projektion zur Leinwand wird. Auch das Te Deum beeindruckt, opulent im Klang, feierlich in der Bildsprache, überwältigend in seiner Massivität.

Tosca Copyright Barbara Aumüller

Und doch: je länger der Abend, desto deutlicher das Handwerkliche, das nicht trägt. Sciarrone bleibt auf der Bühne und weiß trotzdem plötzlich von Napoleons Sieg, als hätte er einen Kurierdienst im Blut. Spoletta soll die Tür schließen, obwohl er sichtbar neben Scarpia steht – eine falsche Übersetzungsentscheidung macht aus „chiudi“ kurzerhand „im Geheimen“. Die Folterszene schließlich treibt es mit dem Kunstblut so weit, dass der arme Cavaradossi das nächste Duett bei dieser Menge kaum überleben dürfte. Solche Brüche zerstören keine Inszenierung, sie machen sie aber unbeholfen und banal. Am Ende fällt vom Bühnenhimmel eine lange rote Stoffbahn herab – ein starkes Bild, sicher –, nur ersetzt es nicht die fehlende szenische Vision. So bleibt das Stück erkennbar, verliert sich nicht im Experiment, wirkt aber in entscheidenden Momenten schwach.

Bianca Mărgean zeigte eine Tosca, die das Herz in die Hand nahm und nicht die Diva in den Vordergrund stellte. Ihre Stimme: dunkel getönt, geschmeidig, in der Höhe ohne jede Schärfe. Ihre Gestaltung: sicher, differenziert, berührend und stets mit eigener Handschrift. „Vissi d’arte“ geriet zur tief geühlten, stillen Klage, deren Wirkung gerade in ihrer Schlichtheit lag. Keine Manierismen, kein aufgesetztes Pathos, sondern eine Frau, die liebt, zweifelt, verzweifelt. Dass die Regie ihre Figur nicht immer ernst nahm, tat ihrer Präsenz keinen Abbruch.

Tosca, Margean Golinski Copyright Barbara Aumüller

Alfred Kim sang an diesem Abend in einer Liga, in der derzeit weltweit nur eine Handvoll Tenöre unterwegs sind. Wer sich zuweilen mühsam durch Puccinis Höhen kämpft, mag bewundernswert wirken – Kim sang sie, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Die Stimme ist gereift, sie trägt Wärme und Glanz gleichermaßen, sie springt von Schmelz zu Attacke, ohne Bruch, ohne Kraftakt. Die Höhen sind derart gewaltig, dass seine „Vittoria“-Rufe leicht bis nach Verona hätten tragen können. Das Mezza Voce in „Oh dolci mani“ war nicht Zierde, sondern pure Ausdruckskraft. Kim stellte sich an diesem Abend konkurrenzlos an die Spitze. Vergleiche mit bekannten Namen erübrigen sich: in dieser Vorstellung war er schlicht das Maß der Dinge.

Łukasz Goliński, mit eindrucksvoller Stimme ausgestattet, konnte Scarpia leider nicht die Präsenz geben, die diese Rolle verlangt. Seine Mittel bleiben zu eindimensional, Intonationsschwächen trübten das Bild, und darstellerisch fehlte es an jener Ausstrahlung, die Scarpia zu einem gefährlichen Gegenspieler macht. Kein Statist, gewiss, aber eben auch kein Dämon oder angsteinflößender Barone. Ohne giftige Aura verliert die Partie ihre komponierte Sprengkraft. Schade.

Aleksander Myrling gab einen kernigen Angelotti, Peter Marsh (Spoletta) und Iain MacNeil (Sciarrone) waren szenisch präsent, vokal ohne Schwächen. Franz Mayer, Frankfurter Veteran, sang den Mesner mit erstaunlicher Frische und viel Dezenz. Chor und Kinderchor unter Álvarez Corral Matute arbeiteten tadellos: präzise und satt im Klang.

Tosca Premierenfoto Copyright Monika Ritterhaus

Das eigentliche Feuerwerk entzündete Elias Grandy im Graben. Der Dirigent trieb das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu einer Glut, die den Saal in Bann schlug. Jede Phrase hatte Gewicht, jede Steigerung war geplant, ohne berechnet zu wirken. Grandy ließ die Musik schillern, donnern, flüstern – und alles so, dass Sänger und Orchester einander nicht bedrängten, sondern sich gegenseitig antrieben.

Die Streicher leuchteten, die Holzbläser artikulierten mit feiner Noblesse, das Blech setzte Attacken, die durch Mark und Bein gingen. Besonders die Celli und die Klarinette stachen hervor, so sehr, dass sie am Ende eigens gefeiert wurden. Grandy bewies, dass Puccini nicht süßlich sein muss, sondern zupacken darf. Er machte aus dem Orchester einen zweiten Protagonisten – nicht Begleiter, sondern Mitspieler. Die Kantabilität des Orchesterklanges war faszinierend. Das Publikum reagierte begeistert, mit langem, lautem Jubel.

So war dieser Abend ein Lehrstück über die Hierarchie der Oper. Die Regie stolperte über kleine Fehler, die größer wirkten, als sie sein müssten. Sie war nicht katastrophal, sie war nur zu oft unbeholfen. Das Stück blieb erkennbar, das Te Deum eindrucksvoll – und doch fehlte die große Linie. Dem gegenüber stand eine musikalische Leistung von seltener Energie und herausragender Qualität. Mărgean überzeugte, Kim glänzte konkurrenzlos, und Grandy verwandelte das Orchester in einen Vulkan der Gefühle.

Das Fazit fällt klar aus: Die Augen registrierten Unstimmigkeiten, die Ohren jubelten. Und ist es im Opernhaus nicht doch noch das Ohr, das am Ende den Sieg davonträgt?

Dirk Schauß, 21. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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