Elena Guseva, Komparserie © Brinkhoff/Mögenburg
Der Frust der alten Männer in Hamburg: „Aufhören, wir sind hier in der Oper!“
Staatsoper Hamburg, 15. März 2023
Giacomo Puccini, Il trittico (PREMIERE)
Gianni Schicchi – Il tabarro – Suor Angelica
von Andreas Schmidt
Die Inszenierung von Axel Ranisch an der Staatsoper war eigentlich gar nicht so modern, dass sie ältere und alte Zuschauer in Rage hätte bringen müssen. Sie ist ästhetisch, witzig bis düster, mit ausgezeichneter Personenführung, mit Tiefe, mit Raum, mit Psyche, mit Ästhetik.
Primär ging es um drei Filmclips, in denen bekannte Schauspieler ein fiktives Setting entwarfen.
Das dauerte manchen der betagteren HERRschaften (nur Männer schrieen sich den Frust vom Halse, Frauenstimmen waren nicht zu vernehmen) zu lange. „Aufhören!“, „Wir sind in der Oper!“ und „Das ist ja wie eine Generalprobe“ skandierten Rentner und Pensionäre – vor allem von den etwas preiswerteren Plätzen.
Ruheständler machen sich Luft in der Staatsoper der zweitgrößten deutschen Stadt.
Rentner rocken die Oper!
Der bestens aufgelegte Regisseur Axel Ranisch, kürzlich interviewt von klassik-begeistert-Autor Patrik Klein in Lyon, erklärte mir auf der Premierenfeier: „Wir brauchten diese Film-Längen für den Umbau.“ Zu den Störungen sagte er en bref: „Es war nicht zu überhören.“
Interview von Patrik Klein mit Axel Ranisch, Opéra de Lyon, 18. März 2022
Trotz des Ruheständler-Affronts: klassik-begeistert.de empfiehlt allen Opernfreunden, diese drei Kurzopern im Haus an der Dammtorstraße in Hamburg zu genießen.
Die Musik ist wie von einem anderen Stern. Ein reifer Puccini in Bestform – von lustig-launig wie bei Verdis „Falstaff“ bis zu düster-dämonisch.
Wunderbar! Sie werden diese Musik nicht vergessen!
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg zeigte sich von seiner feinsten Seite, angestachelt durch das einfühlsam bis feurige Dirigat von Maestro Giampaolo Bisanti. Der agile Italiener wurde in Mailand geboren und studierte dort Dirigieren, Klarinette, Klavier und Komposition am Conservatorio Giuseppe Verdi. Das war Italianità pur, liebe Musikerinnen und Musiker… bitte spielen Sie auch mal so hingebungsvoll, wenn Ihr Noch-Musikchef Kent Nagano dirigiert.
Der Chor der Staatsoper Hamburg überzeugt in allen Nuancen nach Einstudierung durch den großen Motivator Eberhard Friedrich, der ja auch den Chor der Bayreuther Festspiele zu Höchstleistungen trimmt. Die Alsterspatzen singen dank Luis de Godoy zum Mitfühlen schön.
Die Sängerinnen und Sänger boten allesamt gute bis sehr gute Leistungen.
„Umgehauen“ hat mich keine Darbietung. Am meisten Applaus bekam zurecht der Bariton Roberto Frontali (geboren in Rom 1958) als Gianni Schicchi und Michele für seine männlich-virile Stimme mit höchstem Wiedererkennungswert.

Sehr stark aus dem Ensemble der Staatsoper Hamburg sang die Mezzosopranistin Katja Pieweck, die in allen drei Opern mit ihrer warm-weiblich timbrierten Stimme zu hören war (Zita / La Frugola / La Zia Principessa).

Die beste schauspielerische Leistung bot die Koreanerin Hellen Kwon in Part 1 (Nella) und 3 (La suora zelatrice). Sie war bei bester Stimme extrem agil, energiegeladen und präsent – das bezeugen auch drei wunderschöne Bilder im Programmheft.

Eine Sopranistin auf sehr hohem Niveau ist die Russin Elena Guseva als Giorgetta und Suor Angelica. Es macht einfach Freude ihr zuzuhören, Sie vermag immer wieder zu berühren, allein, ihre Stimme möge noch mehr Vielfalt an Farben und Formen offenbaren.

Leider wurde diese denkwürdige Premiere bei zahlreichen Buhs (für die Regie) und einigen Bravi (für den Gesang) mehr oder minder artig abgeklatscht von einem Publikum mit einem Altersdurchschnitt um die 70. Gewiss: Die ursprüngliche Premiere war ausgefallen wegen Streiks am Sonntag. Dass der Beifall bereits nach einem Vorhangsdurchgang verebbte, zeugt nicht von der Begeisterungsfähigkeit der anwesenden Damen und Herren.
Andreas Schmidt, 16. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Selten war klassik-begeistert.de so d’accord mit einer Kritik wie mit jener von ndr.de an diesem Mittwoch.
Deswegen bringen wir sie ungekürzt heute in diesem Blog.
ndr.de berichtet am 16. März 2023 online:
https://www.ndr.de/kultur/buehne/Zuschauer-stoeren-Puccini-Premiere-Il-trittico-in-Hamburg,iltrittico100.html
Zuschauer stören Puccini-Premiere „Il trittico“ in Hamburg
An der Hamburgischen Staatsoper hat Puccinis dreiteiliges Werk „Il trittico“ Premiere gefeiert. Regisseur Axel Ranisch hat die drei grundverschiedenen Stücke mit einer von ihm erfundenen Rahmenhandlung verbunden. Diesen Kniff fanden aber nicht alle im Publikum gelungen.
Da war was los in der Staatsoper: „Aufhören!“, „Wir sind in der Oper!“ und „Das ist ja wie eine Generalprobe!“. Mit solchen Zwischenrufen haben einige Zuschauer die Puccini-Premiere von „Il trittico“ in der Hamburgischen Staatsoper gestört. An dieser Inszenierung scheiden sich wirklich die Geister. Eigentlich haben die drei Mini-Opern „Gianni Schicchi“, „Il tabarro“ und „Suor Angelica“ inhaltlich nichts miteinander zu tun. Puccini wollte einfach drei Genres und Stimmungen an einem Abend auf die Bühne bringen. Der Regisseur Axel Ranisch hat jetzt aber einfach eine Rahmenhandlung erfunden, um die drei komplett unterschiedlichen Stücke miteinander zu verbinden.
Sitcom mit Arien-Hit-Gedudel
Dabei hat er eine clevere Idee: Die drei Opern werden zu Stationen aus dem Leben der fiktiven Schauspielerin Chiara di Tanti. Mit Hilfe der Opern erzählt Regisseur Ranisch von ihrem Aufstieg, ihrem Absturz und ihrem Tod. Die drei Stücke werden zu Filmsets. Aus der Erbschleicher-Komödie „Gianni Schicchi“ macht Axel Ranisch zum Beispiel ihren ersten Fernsehauftritt – eine Sitcom mit einem Vorspann wie aus dem Fernsehen, in dem die E-Gitarre schon mal die Hit-Arie „O mio babbino caro“ andudelt. Die zweite Oper „Il tabarro“ wird zum tiefschürfenden Arthouse-Film, zum Höhepunkt von Chiaras Karriere.
Gute Idee – schlecht dosiert
Der Clou: Als Rahmenhandlung zeigt der Regisseur ein Video mit einer Fake-Doku. Angebliche Kollegen und Weggefährten erinnern sich an Chiara di Tanti. Dafür hat Axel Ranisch echte Prominente aus der Filmwelt gewonnen. Minutenlang erzählen Devid Striesow, Gustav Peter Wöhler, Tom Tykwer, Gayle Tufts und Rosa von Praunheim von der Arbeit mit der erfundenen Schauspielerin. Die Idee ist gut, aber schlecht dosiert. Die Einspieler sind zu lang. Viel zu lang. Die Liebe zum Einfall war offenbar zu groß, Axel Ranischs Telefonbuch mit den vielen Prominenten zu verlockend.
Narzisstisches Pöbeln
Einige im Publikum verlieren die Geduld. Die Zwischenrufe gehen los. Als es nach der Pause wieder nicht mit Musik, sondern mit der Pseudo-Doku losgeht, hört man Aufstöhnen, Gelächter und Häme im Publikum. Kurz fühlt es sich an, als stünde der Abend auf der Kippe.
Das unappetitliche Mitteilungsbedürfnis einiger weniger gefährdet so den ganzen Opernabend. Die Zwischenrufer halten ihre eigene Meinung tatsächlich für so maßgeblich, dass sie sich erlauben, alle anderen zu stören. Wann hat dieses narzisstische Wüten eigentlich Einzug in die Opernwelt gehalten? Einfach nicht zu klatschen oder still zu gehen, wenn einem der Abend missfällt, scheint heutzutage leider keine Option mehr zu sein.
Drei Hingucker-Bühnen
Auch die dritte Oper aus dem Puccini-Triptychon, das Nonnen-Drama „Suor Angelica“, wird bei Axel Ranisch zum Filmset. Hier verschmilzt die Schauspielerin Chiara mit der Rolle. Wie die Nonne im Stück leidet sie unter dem Tod ihres Sohnes. Sie entgleitet in einen Wahn und nimmt Gift. Was vorher nur freche Regie-Spielerei war, erfährt in diesem Moment eine erschütternde, zutiefst einleuchtende Wende und einen ungeheuren Sog. An den drei Bühnen von Falko Herold, der detailverliebten Sitcom-Wohnung, dem Filmset auf dem Wasser und dem Friedhof in Nebelschwaden kann man sich nicht sattsehen. Am Ende stimmt alles.
Jubel für die Musik
Zum Finale nehmen die Inszenierung und die Musik noch einmal dermaßen an Fahrt auf, dass der Abend abhebt – mit Puccinis himmlischen Nonnengesängen unter den Flügeln. Wen Elena Gusevas Sopran hier nicht rührt, der hat wahrscheinlich kein Herz. Das Ensemble ist grandios. Roberto Frontali, Katja Pieweck, Hellen Kwon und Narea Son werden zurecht bejubelt – wie auch die Chöre der Staatsoper. Dirigent Giampaolo Bisanti und das Philharmonische Staatsorchester bringen Puccinis Musik, seinen Humor, seine Farben und seinen Kitsch so richtig schön zum Funkeln. Herrlich war’s! Am Ende gab es viele Buh-Rufe für die Regie, allerdings auch genau so viel Begeisterung und Applaus, Jubel aber vor allem für die Sängerinnen und Sänger und das Staatsorchester.
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Giacomo Puccini, Suor Angelica, Kirill Petrenko, Philharmonie Berlin, 2. Februar 2020