Er klingt eng und gepresst: Jonas Kaufmann singt in Deutschlands bestem Opernhaus und muss sich fragen lassen, wohin er eigentlich will

Giacomo Puccini, La Bohème, Jonas Kaufmann, Rachel Willis-Sørensen , Bayerische Staatsoper, München, 30. November 2020

„Hört man noch einmal in Kaufmanns Plattenaufnahme der Butterfly hinein, die 2008 entstand, ist der Eindruck ein völlig anderer: Die Stimme strömt unangestrengt und frei, nichts vom Pressen und Quetschen, das inzwischen zu einem negativen Markenzeichen Kaufmanns geworden ist. Aber das war unzählige Auftritte früher. Der Vergleich sollte nicht zuletzt Kaufmann selbst zu denken geben.“

Trockenübung  der Bayerischen Staatsoper: La Bohème im menschenleeren Paris

„Beständig wechselt der Münchner Jonas Kaufmann zwischen stimmlicher Kraftmeierei, die er nicht ganz durchhält, und zurückgenommenen Passagen. In diesen deckt ihn der volle Sopran seiner Mimì deutlich zu. Eine recht unausgewogene Leistung, diese Rolle sollte Kaufmann zurücklegen.“

Giacomo Puccini, La Bohème
Nationaltheater München, zeitversetzter „Livestream“, 30. November 2020
Foto W. Hösl (c): La bohème: Tareq Nazmi (Colline), Jonas Kaufmann (Rodolfo), Andrei Zhilikhovsky (Marcello), Sean Michael Plumb (Shaunard)

von Peter Sommeregger

Die Nöte der stillgelegten Opernhäuser führen zu manchmal etwas schrägen Veranstaltungen, die sämtlich aus der Not geboren sind. Die Bayerische Staatsoper beschert uns also eine Live-Bohème aus dem leeren Nationaltheater. Ganz so live ist sie dann aber doch nicht, sie wurde bereits am 27. November aufgezeichnet, und wird auch noch ein weiteres Mal gezeigt: am Donnerstag, 3. Dezember 2020, um 19 Uhr für 14,90 Euro (Video on demand).

Die mehr als ein halbes Jahrhundert alte Otto-Schenk-Inszenierung (Premiere am 14. Juni 1969) besticht nach wie vor durch schlüssige Personenführung und passendes Ambiente. Kritisch wird es allerdings im 2. Bild, der Straßenszene vor dem Café Momus. Bedingt durch das allgegenwärtige Virus und die Angst vor ihm, sind in dieser Szene nur die Solisten zu sehen, der Chor kommt aus dem off (oder vom Band?). So menschenleer hat man Paris auf der Bühne noch nie gesehen. Dass hier keine rechte Atmosphäre aufkommt, ist nicht verwunderlich.

Die Besetzung der Nebenrollen ist durchaus gut, der Marcello von Andrej Zhilikhovsky überzeugt vor allem mit Spielfreude, die Musetta Mirjam Mesaks bleibt relativ dezent, ihre große Szene im zweiten Bild verpufft etwas auf der leeren Bühne.

Ein wenig befremdlich ist die Besetzung der Hauptrollen. Die US-Amerikanerin Rachel Willis-Sorensen singt als Mimì zwar ausgezeichnet und sauber, ist von ihrer ganzen Anmutung her aber eher eine reife, mütterliche Figur, die zudem entgegen der Rolle vor blühender Gesundheit zu strotzen scheint.

OPUS KLASSIK: Jonas Kaufmann mit dem Preis. Quelle: Instagram (c)

Problematisch ist die Besetzung des Rodolfo mit Jonas Kaufmann. Dieser lyrischen, jugendlichen Rolle ist der sich derzeit auf allen Ebenen tummelnde „Startenor“ doch schon längst entwachsen. Beständig wechselt der Münchner zwischen stimmlicher Kraftmeierei, die er nicht ganz durchhält, und zurückgenommenen Passagen. In diesen deckt ihn der volle Sopran seiner Mimì deutlich zu. Eine recht unausgewogene Leistung, diese Rolle sollte Kaufmann zurücklegen.

Der Sänger muss sich fragen lassen, wohin er eigentlich will. Seine Plattenfirma hetzt ihn in immer neue Crossover-Projekte, die er dann (wenn nicht gerade Corona wütet) landauf, landab auch in Live-Konzerten präsentieren muss. Dafür sagt er dann einen Siegmund (Die Walküre) in Paris inklusive Rundfunkaufnahme ab, taucht noch einmal als Senior-Rodolfo auf, an einem Haus an dem er in knapp sieben Monaten seinen ersten Tristan singen will. So eng und gepresst  wie der Rodolfo an diesem Abend wird der hoffentlich nicht klingen.

Hört man noch einmal in seine Plattenaufnahme der Butterfly hinein, die 2008 entstand, ist der Eindruck ein völlig anderer: Die Stimme strömt unangestrengt und frei, nichts vom Pressen und Quetschen, das inzwischen zu einem negativen Markenzeichen Kaufmanns geworden ist. Aber das war unzählige Auftritte früher. Der Vergleich sollte nicht zuletzt Kaufmann selbst zu denken geben.

Foto: Jonas Kaufmann via Instagram (c) mit einem Wagner-Tässchen

Asher Fisch leitet die Aufführung konzentriert und umsichtig, zu einer Sternstunde vermag er sie allerdings auch nicht zu machen.

Es ist bezeichnend, dass auf der Website der Bayerischen Staatsoper unter der Besetzungsliste dieser Aufführung Kaufmanns Weihnachts-Doppel-CD „it’s Christmas!“ beworben wird – JK auf allen Kanälen, seine eingeschworene Fan-Gemeinde wird das freuen. Gut finden muss man es deshalb nicht.

Peter Sommeregger, 30. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jonas Kaufmann auf allen Kanälen, auch im Zweiten:

ZDF: 2.12.2020, 20.15 Uhr, „Die schönsten Weihnachtshits“ u.a. mit Jonas Kaufmann

ZDF: 24. Dezember 2020, 22.15 Uhr, „Weihnachten mit Jonas Kaufmann“

Giacomo Puccini, La bohème, Jonas Kaufmann Bayerische Staatsoper, München, Stream am 30. November 2020 einer Aufnahme vom 27. November 2020

 

Mimì, Rachel Willis-Sørensen
Rodolfo, Jonas Kaufmann

Musetta, Mirjam Mesak

Marcello, Andrei Zhilikhovsky

Schaunard, Sean Michael Plumb

Colline, Tareq Nazmi

Parpignol, Andres Agudelo

Benoît, Christian Rieger

Alcindoro, Karel Martin Ludvik

Ein Zöllner, Christian Valle

Sergeant der Zollwache, Oğulcan Yilmaz
Inszenierung  Otto Schenk
Dirigent  Asher Fisch

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert