Anja Kampe (Minnie) und Ensemble. Foto: © Martin Sigmund
Giacomo Puccini, „La Fanciulla del West“
Staatsoper Unter den Linden Berlin, 16. Juni 2021
MUSIKALISCHE LEITUNG: Antonio Pappano
INSZENIERUNG: Lydia Steier
von Peter Sommeregger
Diese Oper Puccinis, ein relativ spätes Werk, gehört zu den eher selten gespielten Bühnenwerken des Komponisten. Vielleicht liegt es an dem ungewöhnlichen Stoff, der weit von dem üblichen „Boy- meets- Girl“- Klischee entfernt ist, vielleicht auch an der Sprödigkeit der Hauptpartien. Wer etwa die „Bohème“ liebt, wird mit dieser Oper wenig anfangen können. Dabei ist die Minnie eine der interessantesten Frauenfiguren Puccinis, die in ihrer Gebrochenheit schon an die Turandot denken lässt.
In Berlin spielt man, Corona sei’s geklagt, eine reduzierte Orchesterbesetzung, der Italo-Brite Antonio Pappano holt aber ein Optimum an Klangdichte und Italianità aus der Partitur. Eine Aufführung steht und fällt mit der Besetzung der Titelrolle. Mit Anja Kampe ist die Rolle optimal besetzt. Die burschikose, dabei aber höchst verletzliche Kneipenwirtin wird bei ihr zu einer Figur aus Fleisch und Blut. Gesanglich ist die Partie mörderisch schwer, hat schon beinahe hochdramatische Passagen, die Kampe temperamentvoll meistert. Dass der eine oder andere exponierte Ton ein wenig scharf gerät, stört den Gesamteindruck kaum.
Der von ihr so heiß begehrte Dick Johnson findet in Marcelo Álvarez einen glaubwürdigen, wenn auch etwas behäbigen Interpreten. Sein Spinto-Tenor hat nach wie vor Kraft und Schönheit. Sehr knorrig und scharfkantig agiert Michael Volle als Sheriff Jack Rance, stimmlich muss er sich manchmal zurücknehmen, so kräftig und lautstark ist seine Bassstimme. Die Besetzung der drei Hauptpartien ist klug gewählt, diese Figuren sind alle nicht mehr jung, so gesehen ist die Wahl der Sänger optimal stimmig. Die zahlreichen Nebenrollen sind aus dem Ensemble gut besetzt, der Chor singt auf erfreulich hohem Niveau.
Dass man der Aufführung trotzdem nicht ganz froh wird, liegt an der etwas ungeschickten Regie Lydia Steiers. Auf der permanent halbdunklen Bühne finden neben der eigentlichen Handlung auch Aktionen statt, die schwer einzuordnen sind. Da baumeln schon mal Gehängte vom Schnürboden, ohne Not rollt ein motorisierter Geländewagen auf die Bühne, immer ist reichlich Personal auf der Szene unterwegs. Dabei zeigt sich, dass aber gerade die Personenregie Steiers Sache nicht ist, Chor und Statisten wirken bei ihr meist dröge und unmotiviert. Warum Minnie mehrfach auf Dächer klettern muss, bleibt unklar, wie so manches optische Detail der Inszenierung. Zu Beginn treten sogar Akrobatinnen auf, was man in einer schäbigen Goldgräberkneipe nicht vermuten würde. Steier setzt auf Overacting, was permanente Unruhe auf der Bühne erzeugt.
Die Bühnenbilder und Kostüme von David Zinn sind wenig ansprechend. Die vorherrschende Optik ist mausgrau. Dick Johnson trägt den ganzen Abend einen konventionellen schwarzen Anzug mit weißem Hemd, bei Minnie und dem Sheriff überwiegen die Brauntöne.
Warum der zweite Akt, der im kleinen Haus Minnies spielt, nur in einer Guckkastenbühne sichtbar wird, bleibt unklar, ebenso wie der minutenlange Schneesturm am Ende des Aktes, der ohne Musik und Aktion als Projektion zu sehen ist. Etwas verkitscht das Schlussbild, wenn Dick und Minnie in den Sonnenuntergang schreiten. Trotz enttäuschender Optik dank der Sänger und Pappano am Ende doch eine geglückte Aufführung.
Peter Sommeregger, 17. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
MINNIE: Anja Kampe
DICK JOHNSON: Marcelo Álvarez
JACK RANCE: Michael Volle
NICK: Stephan Rügamer
SONORA: Łukasz Goliński
ASHBY: Jan Martiník
JAKE WALLACE: Grigory Shkarupa
TRIN: Siyabonga Maqungo
SID: Jaka Mihelač
BELLO: Adam Kutny
HARRY: Florian Hoffmann
JOE: Andrés Moreno García
HAPPY: Viktor Rud
LARKENS: David Oštrek
BILLY JACKRABBIT: Žilvinas Miškinis
WOWKLE: Natalia Skrycka
JOSÉ CASTRO: Frederic Jost
EIN POSTILLON: Spencer Britten