Karah Son: Ihre stimmlichen Kräfte als Madama Butterfly sind überragend. Sie singt mit einer herrlichen Strahlkraft, schön, stark und präzise und lässt sich auch musikalisch nie auf pathetischen Schwulst ein. Eine ideale Premierenbesetzung. Auch der Pinkerton des sizilianischen Tenors Angelo Villari verzichtete auf tenoralen Schmelz und setzte an dessen Stelle kraftvoll-männlichen Ausdruck: Ein Macho, kein Sentimentalist.
Teatro Comunale di Bologna, 20. Februar 2020 (Première)
Giacomo Puccini, Madama Butterfly
Foto: Karah Son (c)
von Charles E. Ritterband
Auf der Bühne des einmaligen – 1763 eröffneten – Teatro Comunale di Bologna, einem der bedeutendsten Opernhäuser Italiens, durften wir eine Madame Butterfly erleben, welche die meisten Inszenierungen dieser populären Oper in den Schatten stellt. Die herausragende Qualität dieser Produktion liegt nicht nur an der Titelfigur Cio-Cio-San, hervorragend verkörpert und fantastisch gesungen von der südkoreanischen Sopranistin Karah Son, sondern gleichermaßen an der ausgezeichneten Regie (Damiano Michieletto) und dem frappierend realistischen Bühnenbild (Paolo Fantin).
Dieses zeigte nämlich nicht die auch heute immer noch oft praktizierte Kirschblütenromantik mit dem traditionellen japanischen weißen Häuschen mit seinen papierbespannten Schiebetüren und dem gepflegten Gärtchen – sondern die harte Realität der Vergnügungsviertel japanischen Großstädte mit ihrem unübersichtlichen Wirrwarr an grellen Reklameschildern; Tristezza jenseits aller japanischen Ästhetik. Mitten in diesem Inferno steht nicht das idyllische Häuschen, das der amerikanische Marineoffizier Pinkerton als Liebesnest für seine Ehefrau auf Zeit erwirbt, sondern eine Art gläserner Käfig, in dem junge Prostituierte wie gefangene Tiere im Kreis herumgehen und auf Kunden warten.
Cio-Cio-San ist zwar nicht eine von ihnen, sondern sie stammt aus einer einst wohlhabenden Familie und muss sich als Geisha über Wasser halten. Aber als Paar auf Zeit hält auch sie mit Pinkerton in diesem Glaskäfig Einzug – was das nicht gut gehen kann, verheißt uns bereits das starke Bühnenbild.
Auf einem der riesigen Plakate sind die für die japanische Halbwelt typischen, puppenhaften Kindfrauen abgebildet – mit ihren riesigen Kulleraugen. Eine solche Kindfrau ist auch „Butterfly“, denn sie ist ja erst 15. Dass Pinkerton mit Puppen spielt, statt sich mit ihr zu beschäftigen, hat eine unzweideutige symbolische Aussage – ist aber wohl allzu dick aufgetragen. Jenes Plakat hätte als Illustration vollauf genügt – und zudem sehr realistisch ein Stück (sehr dubiose) japanische Realität der unterdrückten bzw. fehlgeleiteten Sexualität in dieser Gesellschaft wiedergegeben.
Raffiniert wird eines dieser Plakate hochgezogen, als Pinkerton sein „dovunque al mondo“ (überall in der Welt) singt, das ja bekanntlich mit dem Zitat von „Stars and Stripes“ beginnt, und eine große Filmleinwand wird freigelegt: Darauf werden Collagen amerikanischer Militäreinsätze in verschiedenen Kriegen weltweit projiziert, während Pinkerton mit pathetischem Patriotismus Amerika preist – „America forever“, ein Slogan in den sofort auch der Konsul Sharpless einstimmt.
Man erinnert sich daran, dass Butterfly – und das ist eine zufällige Fügung – aus einer ganz bestimmten japanischen Stadt stammt: Nagasaki. Die Hafenstadt wurde am 9. August 1945, drei Tage nach Hiroshima, durch eine amerikanische Atombombe namens „Fat Man“ zerstört. Dies waren die beiden einzigen Atombombenabwürfe der Weltgeschichte – und sie zeigen, Jahrzehnte vor diesem Geschehen, die andere Seite des von Pinkerton, Sharpless und auch Butterfly idealisierten Amerika. Ein brutaler Zufall – aber eben: ein Zufall.
Durch die gnadenlose Aktualisierung des Geschehens in dieser Inszenierung (in der es übrigens, im Gegensatz zu anderen Produktionen) keine Anspielung auf den Atombombenabwurf auf Nagasaki gibt, wird die (von Pinkerton und Sharpless personifizierte) Verherrlichung Amerikas ad absurdum getrieben. Der naive Glaube der Butterfly an die Überlegenheit der amerikanischen Zivilisation und der christlichen Religion, der sie sich ja, um ganz mit ihrem geliebten Pinkerton vereint zu sein, zuwendet, wird brutal enttäuscht. Das böse Erwachen kommt bekanntlich am Schluss der Oper, als der sehnsüchtig erwartete Pinkerton in seinem weißen Kriegsschiff tatsächlich zurückkommt – doch aus dem Auto des Konsuls, das ihn zum Glashaus der Butterfly bringt, steigt das Unheil in Gestalt einer fremden Frau, einer „typischen“, geschmacklos im Florida-Stil aufgedonnerten Amerikanerin. Insensibel pirscht diese durch die Heimstätte der Butterfly und hat nur ein Ziel: Das gemeinsame Kind ihres Mannes und der Butterfly nach Amerika mitzunehmen und zu adoptieren.
Konsequenterweise legt Cio-Cio-San den bereits in Anschlag gebrachten „Tanto“, den traditionell für den rituellen Selbstmord (Harakiri) benützten und von ihrem Vater ererbten Dolch beiseite, als unvermittelt der nichtsahnende kleine Sohn eintritt und sie umarmt – und greift zur Pistole (mit der sie zuvor den widerlichen Zuhälter Goro bedroht hatte). Das ist eine weitere stimmige Aktualisierung in dieser Inszenierung. Karah Son verkörperte die Butterfly äusserst glaubhaft – ohne Kitsch und Sentimentalität, aber ausdrucksstark: Als Mutter eines Sohnes – genau wie Cio-Cio-San in dieser Oper – könne sie die Gefühle der „Butterfly“ sehr gut nachempfinden, sagte Karah Son in einem Interview.
Ihre stimmlichen Kräfte sind überragend. Sie singt mit einer herrlichen Strahlkraft, schön, stark und präzise und lässt sich auch musikalisch nie auf pathetischen Schwulst ein. Eine ideale Premierenbesetzung. Auch der Pinkerton des sizilianischen Tenors Angelo Villari verzichtete auf tenoralen Schmelz und setzte an dessen Stelle kraftvoll-männlichen Ausdruck: Ein Macho, kein Sentimentalist.
Exzellent Chor und Orchester des Teatro Comunale unter der herausragenden Stabführung des namhaften israelischen Dirigenten Pinchas Steinberg. Auch er verzichtete auf jegliches musikalisches Pathos, sondern hob die musikalische Schönheit von Puccinis genialer Partitur gebührend hervor.
Dr. Charles E. Ritterband, 26. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Der Schweizer Publizist Dr. Charles E. Ritterband, Bestseller-Autor und langjähriger Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) , berichtet trotz des Coronavirus‘ seit Tagen für klassik-begeistert.de aus Nord-Italien.
Dirigent: Pinchas Steinberg
Regie: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Chorleitung: Alberto Malazzi
Madama Butterfly (Cio-Cio-San): Karah Son
Suzuki: Cristina Melis
F.B. Pinkerton: Angelo Villari
Sharpless: Dario Solari
Goro: Cristiano Olivieri
Prinz Yamadori: Luica Gallo
Chor und Orchester des Teatro Comunale