Anna Goryachova (Angelina) und Lawrence Brownlee (Ramiro). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 13. Januar 2022
Gioachino Rossini, LA CENERENTOLA
48. Aufführung in dieser Inszenierung
von Manfred A. Schmid (onlinemerker.com)
Ein Märchen als Traum? Warum nicht. Sven Eric Bechtolfs in den 50er Jahren im Minikönigreich Il Sogno (Der Traum) angesiedelte Inszenierung der Rossini-Oper ist zunächst vor allem eines: grell-bunt und schrill, kann aber immer wieder mit humorvollen Gags aufwarten, die das Publikum überraschen und zum Lachen reizen. Vor allem aber steht sie nie der simplen, dennoch durchaus effektvollen Handlung im Wege. Bechtolfs Personenführung ist immer nachvollziehbar und bietet den handelnden Akteuren genügend Spielraum zur Entfaltung ihrer stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten. Und diese sind in diesem Dramma giocoso – eigentlich eine Opera semiseria und ein Juwel des Belcanto – besonders gefragt. Eines gleich vorweg: Diese Aufführung in dieser Besetzung gibt keinerlei Anlass zur Klage!
Damit gleich zu den beiden Rollendebüts dieses Opernabends: Johanna Kedzior und Patricia Nolz – Hausbesetzungen, die als Clorinda und Tisbe zum Einsatz kommen – machen ihre Sache ausgezeichnet. Stimmlich harmoniert die aus dem Opernstudio kommende Sopranistin Kedzior wunderbar mit der Mezzosopranistin Nolz, und lustvoll verkörpern beide die eitlen, verwöhnten, blasierten, etwas dümmlich-naiv daherkommenden Stiefschwestern von Aschenbrödel. Ihre Mitwirkung im grandiosen Sextett „Siete voi? / Voi prence siete?“ – „Questo è un nodo avviluppato“, in dem sie ihrer Verwunderung über den unerwarteten Aufstieg ihrer Schwester – schnatternden Gänschen gleich – Ausdruck verleihen, ist tatsächlich zwerchfellerschütternd. In Gesang, Mimik und Gestik geradezu unübertrefflich.
Die Titelpartie, die Cenerentola genannte Angelina, gehört zu den Paraderollen der russischen Mezzosopranistin Anna Goryachova, Wenn man ihre gesanglichen Interventionen im ersten Akt hört – bis auf die kurze Ballade „Una volta c’era un Re,“ in der sie – ihr Traum! – die Liebe eines Königs zu einem einfachen Mädchen besingt, hat sie fast bis zum Ende keine größere Arie zu bewältigen – ist man zunächst verwundert über die Fülle und Wucht ihrer Stimme im tiefen Register. Dass sie in ihrem Repertoire u.a. die Carmen und die Gräfin in Pique Dame aufzuweisen hat, klingt überaus plausibel. Spätestens in ihrer fulminanten Schlussarie „Nacqui all’affanno“ – „Non più mesta“ wischt Goryachova aber alle Bedenken beiseite, ihre Stimme könnte zu schwer sein für die in schwindlige Höhen kletternden Belcanto-Koloraturen und Tonleitern. Gewandt und ausgewogen sowie mit enormer Atemtechnik, entfacht sie ein stimmliches Feuerwerk und begeistert durch ihre unerwartet aufgehellte stimmliche Leichtigkeit in der Höhe, die immerhin bis zum hohen H reicht.
Der Amerikaner Lawrence Brownlee gilt als einer der weltbesten Rossini-Tenöre der Gegenwart. Er besitzt keine allzu große Stimme, diese hat dafür aber eine hell schimmernde Geschmeidigkeit aufzuweisen, die sie für das Belcanto-Fach – in diesem Fall für den Kronprinz Don Ramiro – prädestiniert: Una voce leggera, die das mehrmalig geforderte hohe C in der Arie „Sì, ritrovarla io giuro” wie ein leichtes Spiel erscheinen lässt. Chapeau!
Paolo Bordogna kann als Don Magnifico, der auf Reichtum durch die Verheiratung seiner Töchter hofft, mit einem fein timbrierten Bass aufwarten, ist in der Regie von Bechtolf aber als zu physischen Gewaltausbrüchen neigender Stiefvater unsympathischer gezeichnet als sonst. Dank seinem lustvoll ausgespielten komischen Talent kann er das allerdings weitgehend wettmachen und sorgt so dennoch für viele Lacher.
Zu den heiteren Figuren zählt auch Don Ramiros Diener Dandini, der mit seinem Herrn die Rollen tauscht. Der Bariton Vito Priante wirkt aber – ganz im Sinne des Regisseurs – eher wie ein Vorstadt-Casanova, hat aber auch so die Lacher auf seiner Seite.
Die Partie des Alidoro, der als Lehrer und väterlicher Berater dafür sorgt, dass sein Schützling Don Ramiro auf seiner Brautschau die richtige Wahl trifft, ist mit Erwin Schrott stimmlich verschwenderisch gut besetzt. Darstellerisch entspricht dieser humanistisch gesinnte, weise und dennoch taktisch kalkuliert vorgehende Mentor wohl nicht den gewohnten Rollen des Bassbaritons. Am besten liegt ihm diese Aufgabe, wenn er als Bettler verkleidet im Hause Don Magnificos erscheint und dort nach dem rechten – nach der rechten Braut – sieht.
Das bestens auf- und eingestellte Orchester unter der Leitung von Giacomo Sagripanti lässt die Gelegenheit für einen schwelgerisch ausgekosteten Rossini-Abend nicht verstreichen. Es funkt und sprüht aus allen Ecken, die berühmten Rossinische Crescendi und die mit atemberaubender Geschwindigkeit exekutierten Ensemblestücke, die die mit ihren zungenbrecherischen Tücken die Sänger extrem herausfordern, gelingen makellos. Auch der Chor trägt das Seine zum Gelingen dieses Abends bei. Erwähnenswert die vier Mitglieder des Männerchores, die – als Frauen kostümiert und geschminkt – gekonnt auf Stöckelschuhen trippeln. Passend zu Bechtolfs etwas überdrehter Inszenierung, die gewiss nicht jedem (Puristen!) gefällt, die aber – was die Reaktionen des Publikums betrifft – durchaus unterhaltsam und abwechslungsreich empfunden und mit Frohsinn und Applaus quittiert wird.
Der Hauptanteil des begeisterten Beifalls im ziemlich schütter besetzten Haus gilt aber mit Recht den gesanglichen und darstellerischen Leistungen auf der Bühne und den mitreißenden Klängen aus dem Orchestergraben.
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