Aida in Paris: Wann wird endlich wieder ein gelernter Opernregisseur engagiert?

 Giuseppe Verdi (1813-1901), Aida  Opéra Bastille, Paris, 24. September 2025

Ève-Maud Hubeaux, Piotr Beczała, Saioa Hernández © Bernd Uhlig / Opéra national de Paris

Als erste Neuinszenierung der Saison 2025/2026 kann man an der Opéra Bastille in Paris “Aida” von Giuseppe Verdi erleben. In einer von den Salzburger Festspielen übernommenen Produktion von Shirin Neshat singen Saioa Hernández, Ève-Maud Hubeaux und Piotr Beczała, unter der Leitung von Michele Mariotti mit guten, festen Stimmen die fatale Liebesgeschichte.

Giuseppe Verdi (1813-1901)   AIDA
Oper in vier Akten (Libretto: Antonio Ghislanzoni)

 Musikalische Leitung: Michele Mariotti

Inszenierung & Video: Shirin Neshat
Bühnenbild: Christian Schmidt
Kostüme: Tatyana van Walsum

 Orchester und Chor der Opéra Bastille

Opéra Bastille, Paris, 24. September 2025

 von Jean-Nico Schambourg

Die zum Saisonanfang an der Opéra Bastille gezeigte Produktion ist eine Übernahme der Inszenierung der Fotografin und Publizistin Shirin Neshat von den Salzburger Festspielen aus dem Jahre 2017, die allerdings für Paris neu überarbeitet wurde. An der visuellen Konzeption hat sich nicht viel geändert. Mittelpunkt des Bühnenbildes von Christian Schmidt ist ein riesiger, sich drehender Würfel, zu einer Seite hin offen, auf den Shirin Neshat in verschiedenen Momenten der Oper ihre Videos projiziert.

 So wird während des instrumentalen Teils des Triumphmarsches ein Film gezeigt, in dem “Äthiopier” von den Soldaten niedergeschlagen und die Frauen vergewaltigt werden. Auch während verschiedener Arien wird sich der Flimmerkiste bedient. Dies alles macht zum Teil Effekt, lenkt aber stark vom musikalischen Part ab. Der stärkste visuelle Moment ist für mich die Gerichtsszene, in der die Hohenpriester in riesigem Format auf den Würfel projiziert werden und Amneris vorne auf der Bühne winzig erscheinen lassen. Hier zeigt sich die Macht der spirituellen Führer im Staat.

Piotr Beczała © Bernd Uhlig / Opéra national de Paris)

Auch die konzeptuelle Deutung bleibt dieselbe wie in Salzburg, ist teilweise aber den zwischenzeitlichen Änderungen der gesellschaftlichen Situation im Mittleren Osten angepasst worden. Dorthin verlegt die Regisseurin die Handlung. Die Priester erinnern mit ihren langen Bärten und ihren Gewändern an die iranischen Führer. Auch die Soldaten stammen aus dieser Umgebung und heutiger Zeit. Die “Äthiopier” tragen schwarze Hemden und Hosen. Nur der König erinnert an einen “ägyptischen Pharao” (Kostüme: Tatyana van Walsum).

 Video, Bühnenbild und Kostüme: Alles zeugt von gutem handwerklichen Verständnis, und dennoch stellt man sich die Frage: Was bringt es, wo bleibt “Aida”?

Viel störender sind eigentlich einige unverständliche Eingriffe in die Handlung. So wird Amneris, die Königstochter (!!) von einfachen Soldaten (!!) gezwungen, sich während der Szene mit ihren Freundinnen ein rotes Kleid anzuziehen! Und am Ende des 2. Aktes nach dem Triumphmarsch werden alle Äthiopier, außer Aida und Amonasro natürlich, erschossen! Anstatt sich an der Originalgeschichte zu orientieren, zeigt die aus dem Iran stammende Regisseurin hier immer wieder ihre an sich absolut gerechtfertigte Kritik am iranischen Regime auf.

Dabei ist, und das ist der größte Kritikpunkt, anscheinend keine Zeit für Personenregie, sodass für die Sänger in dieser Inszenierung größtenteils nur Rampensingen mit stereotypen Gesten übrig bleibt: Bei “Guerra, guerra!” bitte alle die Faust oder die Waffe in die Luft strecken und sehr grimmig gucken!

Die Gesangsleistungen sind an diesem Abend zufriedenstellend, allerdings nicht überragend. Saioa Hernández singt sich sicher durch ihre Partie, besitzt auch alle Töne und Klangfarben,  um  die verschiedenen Gemütslagen von Aida glaubhaft zu interpretieren. Allerdings werden beim Versuch Piano zu singen, stimmliche Probleme offensichtlich: Der Ton spreizt sich und ein störendes Vibrato stellt sich ein. Schlussendlich rettet sie sich in ein ihr komfortables Mezzo-forte.

 Die Auftrittsarie “Celeste Aida” singt Piotr Beczała noch ein wenig angestrengt und muss somit den hohen Schlusston im Forte stemmen. Im Laufe des Abends löst sich diese Verkrampftheit auf und man kann sich am vollen Klang seiner Stimme erfreuen, die in seinen Duetten mit den beiden Frauenstimmen jeweils die richtigen Farben und Nuancen findet. Aber auch bei ihm muss man schlussendlich feststellen, dass an diesem Abend die Mezzo-Forte- bis Forte-Passagen eher seine Stärken sind.

Saioa Hernández © Bernd Uhlig / Opéra national de Paris

Ève-Maud Hubeaux wirft sich mit vollem Elan in die Rolle der Königstochter. Zeigt sie eine gute Höhe, so muss sie in den tiefen Lagen doch ihre Bruststimme arg anstrengen. Heraus kommt eine oft keifende Amneris, der in der Szene mit den Hohenpriestern schlussendlich die nötige Kraft abgeht, um ihre Abscheu diesen gegenüber stimmlich überzeugend vorzutragen.

Roman Burdenko singt einen wilden Amonasro, sicher, aber ohne große Feinheiten. Da zeigt Alexander Köpeczi als Ramfis eine andere Gesangsqualität. Seine kernige Bassstimme verleiht dem Ramfis die nötige Autorität und Gefährlichkeit. Seine Stimme hebt sich von der weicheren Stimme von Krzysztof Bacik als König ab.

Der Chor der Opéra Bastille (Leitung: Ching-Lien Wu) singt, dem Ruf des Hauses angepasst, hervorragend. Auch das Orchester unter der fachmännischen Leitung von Michele Mariotti spielt ausgezeichnet. Dabei gelingen die leisen, intimen Passagen ebenso gut wie die pompösen.

Im Résumé ein guter, aber nicht hervorstechender Opernabend. Das Publikum bedankt sich trotzdem mit stürmischem Applaus, besonders bei den drei zentralen Sängern, sowie bei Chor, Orchester und Dirigenten. Das Inszenierungsteam muss einige Buh-Rufe einstecken, die aber den zustimmenden Applaus nicht überdecken.

Jean-Nico Schambourg, 25. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at 

Anmerkung:

In den Pausen zwischen den Szenen werden sehr ausdrucks- und eindrucksvolle Portraits von orientalischen Menschen gezeigt. Auch wenn dies die Pausen in die Länge zieht, diese Fotos sind wirklich künstlerisch sehr sehenswert und unterstreichen eine alte Weisheit: Schuster bleib bei deinen Leisten, Fotografin bleib beim Fotografieren! Und für die Oper engagiert bitte ausgebildete Opernregisseure!

Richard Wagner,  L’Or du Rhin (Rheingold) Opéra National de Paris Bastille, 14. Februar 2025

Giuseppe Verdi, Aida Bayerische Staatsoper, 5. Dezember 2024

Giuseppe Verdi, AIDA Salzburger Felsenreitschule, 1. Dezember 2023

Giuseppe Verdi, Aida Staatsoper Unter den Linden, Premiere am 3. Oktober 2023

Giuseppe Verdi, Aida Arena di Verona Opera Festival, 2. August 2023

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