Bildquelle: Wilfried Hösl
Nationaltheater, München, 15. Mai 2023 Premiere
AIDA
Oper in vier Akten (1871)
Libretto von Antonio Ghislanzoni nach einem Handlungsentwurf von Auguste Mariette Bey und einem Szenarium von Camille Du Locle.
Komponist Giuseppe Verdi
In italienischer Sprache. Mit deutschen und englischen Übertiteln. Neuproduktion.
von Dr. Petra Spelzhaus
Beim Betreten der Bayerischen Staatsoper wird mir ein knallpinkes Programmheft in die Hand gedrückt. Als hätte ich es geahnt: Ich zücke meinen Magenta-farbenen Kuli, um auf meinem pinken Block mitzuschreiben. So viel Farbe wird es den ganzen Opernabend nicht wieder geben.
Die Münchener Erstproduktion des aus Venedig stammenden Regisseurs Damiano Michieletto lebt von Kontrasten. Verdis bombastische Monumentalmusik lässt eine große ägyptische Kulisse inclusive Elefanten erwarten. Stattdessen wird das Publikum in eine vom Krieg zerbombte Turnhalle entführt. Das Dach ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Ein altes Seitpferd, Schwebebalken und abmontierter Basketballkorb deuten ebenso wie ein gelb bekleidetes mit Gymnastikball und Reifen spielendes Mädchen darauf hin, dass dieser Raum bessere, unbeschwerte Zeiten erlebt hat.
Die Sklavin Aida, eigentlich äthiopische Königstochter, verteilt Decken an die vom Krieg gezeichneten Menschen. In der Sporthalle wird ihr Geliebter Radamès von der Göttin Isis zum Anführer der Ägypter im Kampf gegen die Äthiopier gekürt, der ägyptische Sieg nach erfolgreicher Schlacht zelebriert, ein weißer Kindersarg aufgebahrt.
Die pompöse Musik will so gar nicht zu den Bildern passen. Zerlumpte Menschen im Ascheregen jubeln verwundeten, amputierten Kriegshelden auf einem roten Teppich zu.
Wir erleben eine an Romeo und Julia erinnernde tragische Liebesgeschichte zweier Menschen, die verfeindeten Völkern angehören, kompliziert durch eine dritte im Bunde, die ebenfalls in Radamès verliebte aber unerhörte Pharaonentochter Amneris.
Die Turnhalle erfährt nach und nach eine Metamorphose, bis in der Schlussszene nur noch ein überdimensionierter Aschehaufen übrigbleibt, auf dem Aida und Radamès gemeinsam in den Tod gehen.
Brian Jagde als Radamès legt im ersten Akt mit der berühmten Arie „Celeste Aida“ die Latte gleich mal so richtig hoch. Der jugendliche Heldentenor interpretiert sie kraftvoll schmelzend, gleitet geschmeidig durch die Register und beendet sie im Fortissimo.
Der Hohepriester Ramfis, interpretiert von Alexander Köpeczi, weiß mit seinem sonoren, mit Bronzenuancen gefärbten Bass zu überzeugen.
Der Debütant in der zweiten Bassrolle, der aus Athen stammende Alexandros Stavrakakis, fügt sich wohlklingend in die Solistenriege ein.
Der aus Cluj-Napoca stammende und in München gern gesehene George Petean ist als einer der besten Verdi-Baritone eine Bank. Seine kraftvoll-bewegliche Interpretation des ägyptischen Königs zeigt das gewohnte höchste stimmliche Niveau.
Anita Rachvelishvili interpretiert die von unerfüllter Liebe und Eifersucht getriebene Amneris mit jeder Faser ihres Körpers. Beginnt sie in der Höhe, nimmt ihre Stimme ein Reibeisentimbre an, ihr Mezzosopran ist satt, warm, dicht, mal verführerisch, mal ins Furiose gesteigert. Brava!
Die von ihrem Loyalitätskonflikt zwischen Radamès und Vaterland zerriebene Aida wird von Elena Stikhina dargestellt. Ihr Sopran ist zeigt eine wunderschöne Wärme, sie changiert mühelos zwischen zarten Koloraturen und dramatischen Phrasen.
Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Daniele Rustioni zeigt keinerlei Schwächen. Es bildet einen idealen Teppich für die Sänger. Lautstärke, Tempo und Dynamik sind perfekt aufeinander abgestimmt. Und für Verdis berühmtes Paradestück, den „Triumphmarsch“ kommen endlich mal wieder die Aida-Trompeten unterhalb der Proszeniumslogen zum Einsatz, jeweils in in As und H gestimmten Dreiergruppen. Warum ich da so drauf rumreite: Die einventiligen Fanfaren wurden von Maestro Verdi eigens für diese eine Oper entwickelt und werden auch nur für die Aida aus dem Instrumentenkoffer befreit.
Der Bayerische Staatsopernchor zeigt die gewohnte bombenstarke Leistung vom magisch berührenden Pianissimo bis ins furiose Fortissimo, das uns von den Sesseln haut. So erleben wir insgesamt eine runde musikalische Darbietung aller Beteiligten auf Spitzenniveau. Passend dazu fällt der frenetische Schlussapplaus aus, der bei Chor, Orchester sowie den drei Hauptprotagonisten Radamès, Amneris und Aida höchste Lautstärkepegel erreicht.
Das Regieteam nimmt viele Bravi und wenige Buhrufe entgegen. Die Inszenierung spaltet. Zuschauer, die eine klassische Aufführung mit großer ägyptischer Kulisse erwarten, werden enttäuscht. Diese Inszenierung legt den Fokus auf die Innensicht der durch den Krieg gezeichneten Menschen.
Wer die Diskrepanz zwischen Monumentalmusik und düsterem Kammerspielambiente nicht scheut oder sogar schätzt, wird seine Freude an der neuen Aida haben. Und da die finale Sterbeszene in Form einer Hochzeit mit sich in Zeitlupe bewegenden bunten Gästen, Luftballons, Musik und Tanz inszeniert wird, kommt ganz zum Schluss sogar noch etwas Farbe ins Spiel.
Dr. Petra Spelzhaus, 16. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung | Daniele Rustioni |
Inszenierung | Damiano Michieletto |
Bühne | Paolo Fantin |
Kostüme | Carla Teti |
Video | rocafilm |
Choreographie | Thomas Wilhelm |
Licht | Alessandro Carletti |
Chöre | Johannes Knecht |
Dramaturgie | Katharina Ortmann |
Amneris | Anita Rachvelishvili |
Aida | Elena Stikhina |
Radamès | Brian Jagde |
Ramfis | Alexander Köpeczi |
Amonasro | George Petean |
Der König | Alexandros Stavrakakis |
Ein Bote | Andrés Agudelo |
Eine Priesterin | Elmira Karakhanova |
Bayerisches Staatsorchester |
Bayerischer Staatsopernchor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper |
Giuseppe Verdi, AIDA Las Palmas de Gran Canaria, Teatro Pérez Galdós, 14. März 2023
Eine interessante Schilderung der Zustände zu AIDA. Ich hatte die blecherne Radioübertragung vor dem Triumphakt abgeschalten, der Produktionslärm war sehr störend – szenische Veränderungen?
Friedrich Krammer
Liebe Frau Spelzhaus,
in welcher Vorstellung waren Sie denn!?
Haben Sie die desaströse stimmliche Verfassung von Frau R. nicht gehört? Nach der Gerichtsszene hat sich keine Hand gerührt?
Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Herr J. über keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten verfügt? Er singt den ganzen Abend in einem unschönen Dauerforte (und steht bewegunglos rum).
Ist Ihnen die unzureichende Leistungen von Herrn P. nicht aufgefallen? Leider ist er nur optisch aufgefallen, stimmlich war von ihm nicht viel zu hören.
Wieviele Stimmfarben hat Frau S.? Eine einzige. Und das ist für den ganz Abend zu wenig. Ihre Interpretation fängt sehr schnell an zu langweilen.
Ist Ihnen aufgefallen, dass dem Regisseur zu den einzelnen Charakteren nichts eingefallen ist?
Ist Ihnen aufgefallen, wie wenig Herr R. mit der Partitur anzufangen weiß? Selten so ein unausgewogen und uninspiriertes Dirigat gehört.
Haben Sie nicht gehört, dass es massive Buhs gegen die Regie und Frau R. gab? Auch die vereinzelten Buhs gegen Herrn R. haben Sie nicht gehört?
Fazit: der gesamte Abend war ein szenisches, sängerisches und musikalisches Desaster!
Nix für ungut, liebe Frau Spelzhaus!
Hindemith
Lieber Herr Hindemith,
vielen Dank, dass Sie sich nach dem für Sie desaströsen Opernabend auch noch mit meiner Rezension beschäftigt haben. Nichts ist schlimmer, als ohne Resonanz zu bleiben.
Es ist schon interessant, dass die gleiche Aufführung so unterschiedlich empfunden wird. Da bestätigt sich die Erkenntnis „Kritik ist subjektiv“. Bewahren wir uns diese zutiefst menschliche Eigenschaft.
Beste Grüße
Dr. Petra Spelzhaus
„…. gleitet geschmeidig durch die Register und beendet sie im Fortissimo.“
Bitte was soll das? Verdi verlangte „morendo“. Wer das nicht kann, ist in der Rolle falsch. Das ff hat B.J. durch die ganze Partie beibehalten; leider.
Waltraud Becker
Liebe Frau Becker,
ich bin beeindruckt von Ihrem Fachwissen.
Meines Wissens wird das Ende der Arie „Celeste Aida“ bereits seit den ersten Aufführungen der Aida heiß diskutiert. So führte die werksgetreue „Morendo-Interpretation“ in der Vergangenheit auch schon zu Publikumsprotesten, es wurde ein ff gefordert.
Da stellt sich die interessante Frage, ob sich ein Sänger für eine Rolle disqualifiziert, weil er von dynamischen Vorgaben des Komponisten abweicht.
In meinen Augen tut er das nicht.
Schöne Grüße
Dr. Petra Spelzhaus