Die Bregenzer Festspiele 2023 eröffnen mit einem brillanten „Ernani“

Giuseppe Verdi, „Ernani“  Bregenzer Festspiele, Festspielhaus, 19. Juli 2023

Foto: © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Kein Stück für zart Besaitete: In dieser Oper des jungen Verdi, basierend wie „Rigoletto“ („Le Roi s’amuse“) auf einem Text des französischen Autors Victor Hugo, geht es um Rache, Macht und Liebe und den „Besitz“ einer begehrenswerten Frau, um die sich nicht weniger als drei Männer zugleich streiten. Pausenlos fließt Blut auf der Bühne, es wird gedroht, gefoltert, geprügelt und gemordet. Eine wahre Blutorgie, geradezu lustvoll exekutiert von einer zügellosen Soldateska, welche ihre überschäumende Kampfeslust in akrobatischen Saltos und Purzelbäumen Luft macht (in Bregenz aus anderen Inszenierungen wohlbekannt: „Stunt-Factory“). Manchmal wird es dem Zuschauer fast zu viel, ob all dem Morden und Blutvergießen.

Bregenzer Festspiele, Festspielhaus, 19. Juli 2023

Giuseppe Verdi, „Ernani“
Libretto  Francesco Maria Piave

Dirigent: Enrique Mazzola
Inszenierung: Lotte de Beer

Ernani: Saimir Pirgu
Elvira: Guanqun Yu
Don Carlo: Franco Vassallo
Don Ruy Gomez da Silva: Goran Jurić
Giovanna: Aytaj Shikhalizada
Don Riccardo: Omer Kobiljak
Jago: Stanislav Vorobyov

Wiener Symphoniker
Prager Philharmonischer Chor
Stunt-Factory

In italienischer Sprache

von Dr. Charles E. Ritterband 

„Ernani“ ist zweifellos die blutigste Oper, die dieser Autor je gesehen hat. Aber der Abstumpfungseffekt bei so viel Blutvergießen hat ja auch durchaus eine aktuelle Seite: Siehe den Überdruss angesichts der täglichen Kriegsmeldungen von den ukrainisch-russischen Fronten. Allerdings: die hochtalentierte niederländische Regisseurin Lotte de Beer hat in ihrer brillanten Inszenierung dem Shakespear’schen Trick des „Comic Relief“ Nachachtung verschafft.
Schon der britische Großmeister wusste, dass man – beispielsweise in „Hamlet“ oder mehr noch „Macbeth“ – dem Publikum die unerträglich blutigen Schrecknisse, zu welchen Menschen fähig sind, auf der Bühne irgendwie erträglich machen muss. Und das kann man am besten mit Humor. Der niederländische Humor ist ja dem englischen durchaus eng verwandt, und das merkt man alsbald in der Inszenierung de Beers: Im Handumdrehen wird aus der entsetzlichen eine grotesk-komische Szene, wenn beispielsweise die Wände des weiß-unschuldigen Raumes, in dem die hochbegehrte, reine Elvira ihrer ungewollten Verehrer (der unappetitliche alte da Silva, der fette König Don Carlo) und ihres herbeigesehnten  Liebhabers (Räuberhauptmann Ernani) harrt, sich als Papierwände erweisen,  durch die, ritschratsch, die Eindringlinge per Salto ins Schlafzimmer stürzen. Oder wenn Don Carlo, der sich als spanischer König outet, die kleine goldene Papierkrone gegen eine skurrile Riesenkrone vertauscht.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Elvira is „not impressed“, sie will ihren Räuberhauptmann, um jeden Preis. Die Handlung ist denn auch ziemlich grenzwertig, jeder droht jedem mit Mord und Selbstmord – und am Ende sind denn auch alle mausetot (man denkt unwillkürlich an Georg Kreisler’s unsterblichen Opernboogie, wo am Schluss auch alle tot sind aber dann, beim Schlussapplaus, wieder am Leben). Bei aller schrecklich mordlüsterner Dramatik hat denn das Ganze, fast wie bei Kreisler, seine eigene Komik – die hat die Regisseurin de Beer mit sicherer Hand und perfekter Dosierung herausgearbeitet. Das Ganze ist grauenhaft und zugleich lustig, aber nie blöde (wie etwa die Soldatenszene in Rossini’s „Barbiere“). Sängerinnen, Sängerinnen, Orchester, Dirigat – schlicht erstklassig.

Interessant am Rande der Nachhall von Verdis „Don Carlo“, beruhend auf Schiller – auch dort geht es um einen Carlos und auch im „Ernani“ ist vom verstorbenen König Karl dem Großen die Rede. Nur dass bei Schiller und Verdi der Don Carlos ein schöner, begehrenswerter junger Mann ist, der seine geliebte Elisabetta nicht kriegt – hier ein eher unappetitlicher König, der sie erst recht nicht kriegt.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Der junge Verdi – zwischen Belcanto und Romantik

 Der italienische Dirigent, Enrique Mazzola, Conductor in Residence bei den Bregenzer Festspielen, hat eine anspruchsvolle Doppelfunktion im diesjährigen Programm: Er steht im Festspielhaus bei „Ernani“ und auf der Seebühne (genauer: im Orchestergraben des Hauses mit Direktübertragung ins Freie) bei der „Butterfly“ am Pult. Den Ernani hat er mit fulminanter Souveränität dirigiert, und die Wiener Symphoniker waren bei der Intonierung der mitreißenden Musik von Altmeister Verdi in Premieren-Hochform: Man darf sich auf heute Abend, die Premiere der Butterfly, zweite Runde freuen – die erste Aufführungsrunde letztes Jahr war ein durchschlagender Erfolg bei ausverkauften Publikumsrängen. Auch dieser „Ernani“ wurde vom Premierenpublikum mit geradezu frenetischem Applaus gefeiert. Zu Recht. Die Inszenierung der niederländischen Regisseurin Lotte de Beer war ein Volltreffer, Sängerinnen und Sänger gleichermaßen Weltklasse. Das kann man weder an der Wiener Staatsoper, der Londoner Royal Opera oder der New Yorker Met auch nur einen Deut besser hören.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

„Ernani“ ist eine schwer inszenierbare, ja geradezu uninszenierbare Oper. Trotz ihrer eingängigen Tonfolgen ist sie daher an den großen Opernhäusern relativ selten zu hören – das mag auch an der erforderlichen Höchstqualität des sängerischen Personals liegen. Dennoch darf nicht vergessen werden: Bevor Verdi seinen überaus erfolgreichen „Trovatore“ auf die Bühne brachte, war dieser „Ernani“ seine beste und daher auch berühmteste Oper; sie wurde überall aufgeführt. Doch die „Traviata“ und der „Rigoletto“ haben ihre dann, bis heute, den Rang abgelaufen. Man spürt den jungen  Verdi in jeder Note; der Komponist studierte aufmerksam das reine Belcanto Bellinis und des späten Donizetti. Doch Schritt für Schritt entfernte er sich vom reinen Belcanto und schuf das „Drama parlante“, ein innovatives Mittelding zwischen Sprechen und Singen – Verdis historischer Aufbruch in Richtung romantische Oper.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Die unbestreitbaren Stars dieser Aufführung waren: die großartige Elvira der chinesischen Sopranistin Guanqun Yu – eine raumfüllende, unglaublich melodisch-harmonische Stimme. Und der begehrte Räuberhauptmann Ernani, mit tenoralem Schmelz und gewinnender Glätte verkörpert vom albanisch-italienischen Tenor Saimir Pirgu. Der Don Carlo, seines Zeichens spanischer König gegeben vom humorbegabten und stimmgewaltigen Mailänder Bariton Franco Vassallo. Der kroatische Bass Goran Jurić gab den unglücklichen Don Ruy Gomez da Silva, der ältliche Onkel und Vormund und Möchtegern-Liebhaber Elviras mit sonorer, tiefer Stimme.

Premierenfeier (c) Dr. Charles Ritterband

Ein glänzender Start in die diesjährigen Bregenzer Festspiele!

Dr. Charles E. Ritterband, 21. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Down Under lebt die Kultur, Giuseppe Verdi, Ernani, Sydney Opera House

Giuseppe Verdi, Rigoletto Staatsoper Hamburg, 25. März 2023

Giuseppe Verdi, Don Carlos Wiener Staatsoper, 27. September 2020

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