Hubert Kowalczyk (Pistola), James Kryshak (Dr. Cajus), Kristina Stanek (Mrs. Quickly), Andrii Kymach (Ford), Elbenita Kajtazi (Alice Ford), Wolfgang Koch (Sir John Falstaff), Narea Son (Nannetta), Granit Musliu (Fenton), Katja Pieweck (Mrs. Meg Page), Thomas Cilluffo (Bardolfo) (Foto: RW)
Alles was Verdi ausmacht, fehlt hier, das Ariose, das dramatische Klangbild, die mitreißende, nach vorn drängende Leidenschaft auf der Bühne sowie im Orchester. Da kann die Liste der Sänger noch so gut sein.
Falstaff, lyrische Komödie in drei Akten
Musik: Giuseppe Verdi
Libretto: Arrigo Boito nach William Shakespeare
Inszenierung: Calixto Bieito
Bühnenbild: Susanne Gschwender
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung: Valerio Galli
Hamburgische Staatsoper, 2. Oktober 2025
Meinungsbeitrag von Dr. Ralf Wegner
Verdis letzte Oper gilt als Meisterwerk. Aber auch mein fünfter Besuch hat nichts an meiner negativen Einstellung diesem Werk gegenüber verändert.
Der Schluss erinnert an Wagners Meistersinger. Aber ansonsten berührt mich diese Oper nicht. Wenig bleibt im Ohr haften, 4 Sängerinnen und 6 Sängern singen durchgehend rezitativähnlichen Text. Es bleibt weitgehend im Parlandostil.
Alles was Verdi sonst ausmacht fehlt, das Ariose, das dramatische Klangbild, die mitreißende, nach vorn drängende Leidenschaft auf der Bühne sowie im Orchester. Da kann die Liste der Sänger noch so beachtlich sein, wie an diesem Abend. Nur Fenton und Nannetta dürfen gegen Ende kurz zeigen, wozu sie stimmlich in der Lage sind; er lyrisch feinstimmig, sie stimmgewaltig. Er wird bei ihr später wenig zu melden haben.
Das Bühnenbild von Susanne Gschwender, ein zweigeschossiges Haus mit Pub, sah recht ordentlich aus, wurde aber auf der Bühne oft unmotiviert umhergedreht.
Die Inszenierung von Calixto Bieito zeigte Falstaff als eine Mischung aus Proll und Penner. Warum sich die Frauen diesem Typen überhaupt nur auf mehr als 5 Meter nähern, bleibt rätselhaft. Denn immerhin fühlen sich Alice Ford und Meg Page von Sir John Falstaffs Einladung ja zunächst angetan; bis ihnen auffällt, nicht die jeweils allein Begehrte zu sein.
Irgendetwas muss an Falstaff doch dran sein. Und wenn es nur die hohe Stellung eines Landadligen ist, die den Damen schmeichelt. Doch ohne die von Bieito weginszenierte gesellschaftliche Dynamik wird die Handlung unglaubwürdig. Und der Gruppenüberfall auf Falstaff am Ende des dritten Aktes ist Mobbing und Lynchjustiz in übler Form. Bieito nimmt dem alternden Hedonisten die Menschenwürde.
Dem Publikum im nur knapp zur Hälfte gefüllten Haus gefiel es trotzdem, gemessen am mit Jubel vermischten Beifall.
Dr. Ralf Wegner, 6. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Falstaff Teatro alla Scala, Milano, 7. Februar 2025
Giuseppe Verdi, Falstaff, Komische Oper Berlin, 29. April 2022 Premiere
Ich bin fassungslos, wie sich jemand, der offenbar an Oper interessiert ist, so negativ über Verdis Falstaff äußern kann. Verdis letzte Oper ist ein Geniestreich, man muss halt die Ohren spitzen und darf nicht verlangen, von schönen Melodien eingelullt zu werden. Niemals kam Verdi dem Geist Shakespeares näher als in diesem Werk, nicht einmal in Otello, und schon der war ein großer Wurf. Wie hier Wort und Musik zusammenfinden ist einfach nur großartig, ebenso der Witz dieser Musik, der Elan in den Ensembles und vieles, vieles mehr. Nein, wer Falstaff nicht zu schätzen weiß, hat meiner Meinung nach von Oper nichts verstanden!
Florian Mailer
Sehr geehrter Herr Dr. Wegner,
es ehrt Sie natürlich, dass Sie fünfmal in die gleiche Oper gehen, obwohl sie Sie offenbar überhaupt nicht begeistert.
Und natürlich dürfen Sie öffentlich kundtun, was Ihnen angesichts Ihrer Opernbesuche in den Kopf kommt. Aber ich möchte doch fragen, ob Sie das auch müssen und wem Ihr Bericht nun nützen soll, welcher Debatte er hilft??
Dass der „Falstaff“ sich vollkommen von allen anderen Werken Verdis unterscheidet, dass er ein hochfiligranes Kunstgeflecht aus Text und Musik ist, ein sinnlich-intellektuelles Spiel eines ungeheueren Musiktheater-Könners am Ende seines Lebens, das ist eine Binsenweisheit, hundertmal schon geschrieben, längst erkannt und dafür gefeiert.
Frank Hilbrich
Wenn Sie den Zugang zu diesem Werk nicht finden, das ein forderndes und kein leicht zu konsumierendes ist, ist das natürlich sehr schade.
Aber könnten Sie es dann nicht dabei belassen? Warum muss die Welt das lesen? Warum geben Sie sich diese Blöße? Wie soll man Sie, nach diesem Schreiben, denn nun bei weiteren Rezensionen ernst nehmen?
Das Werk ist schwach, weil der Rezipient es nicht kapiert? Ernsthaft?
Reden ist Silber….
Lieber Herr Dr. Ralf Wegner,
Verdis Falstaff ist kein schlechter Wagner – er schlägt in dieselbe Kerbe wie die Meistersinger. Es ist also eigenartiger Verdi, wie es eigenartigen Wagner gibt. Orchestrales Geplätscher, das primär auf den Text abzielt. Daher können wir uns die Hand geben: Mich lässt ein Falstaff ebenso komplett kalt.
Zu behaupten, er sei deshalb schwach, wäre sehr wagemutig. Im Gegenteil: Es ist notwendig festzustellen, dass es Musiktheater gibt, mit dem man nichts anfangen kann. Das ist ganz natürlich. Mit dieser Wahrnehmung stehen wir definitiv nicht alleine auf weiter Flur.
Dennoch werde ich ebenso nicht müde, es immer wieder zu probieren – zumindest bei den Meistersingern. Die Hoffnung stirbt nämlich zuletzt: Es kann jederzeit „klick“ machen. Beim Falstaff konnte ich mich bisher noch nicht überwinden, obwohl Größen wie Riccardo Muti ihn als Meisterwerk bezeichnen. Jedem das Seine. Ich ziehe mir lieber eine Zauberflöte rein und gehe erfüllt aus der Oper, als dass ich beim Falstaff beinahe im Stehen einschlafe.
Jürgen Pathy
Ich gebe es ja zu, der Titel meines Meinungsbeitrags ist provokant. Zumindest was Wagner betrifft. Denn ich habe von ihm noch nie eine „schlechte“ Oper gehört. Ich maße mir aber auch nicht an, einem Meister wie Verdi seiner letzten Oper den Meisterrang abzusprechen. Ich oute mich vielmehr als absoluter Verdi-Fan. Von den 20 verschiedenen auf der Bühne erlebten Opern dieses Komponisten fand ich 19 hinreißend, nur eben Falstaff nicht. Dabei ist es nicht nur das Melodische, sondern die den anderen Werken inne wohnende Traurigkeit, eine Wehmut, die sich in Begehren wandelt, ein sich aus einem Heimwehgefühl heraus entwickelndes musikalisches Vorwärtsdrängen, welches einem das Herz zerreißen will. Deshalb liebe ich Verdi und hadere unverändert mit seiner letzten Oper, trotz über die Jahre mehrfacher Versuche. Und das umso mehr, wenn, wie in der Inszenierung von Bieito, auch noch die Würde des Protagonisten weggespült wird.
Dr. Ralf Wegner