Foto: Teatro Real, Madrid (c)
Teatro Real, Madrid, 28. April 2019
Giuseppe Verdi, Falstaff.
Libretto von Arrigo Boito, nach den Theaterstücken Henry IV und The Merry Wives of Windsor von William Shakespeare
Musikalische Leitung: Daniele Rustioni
Regie, Kostüme: Laurent Pelly
Bühne: Barbara de Limburg
Licht: Joël Adam
Chor: Andrés Máspero
Sir John Falstaff: Roberto De Candia
Fenton: Joel Prieto
Dr. Caius: Christophe Mortagne
Bardolfo: Mikeldi Atxalandabaso
Pistola: Valeriano Lanchas
Mrs. Alice Ford: Rebecca Evans
Ford: Simone Piazzola
Nanetta: Ruth Iniesta
Mistress Quickly: Daniela Barcellona
Mrs. Meg Page: Maite Beaumont
Coro y Orquesta Titulares del Teatro Real
von Gabriel Pech
Nach 17 Jahren kehrt Falstaff zurück nach Madrid. Nicht nur nach Madrid, allerdings: Die Inszenierung entstand in Koproduktion mit dem Théâtre Royal de la Monnaie de Bruxelles, der Opéra National de Bordeaux und der Tokyo Nikikai Opera. Ein überlebensgroßes Projekt also, das darüber hinaus auch diversen TV-Ausstrahlungen und einem DVD-Release entgegensieht. Die Neugier trieb auch uns in den Süden, um diese vermeintliche Jahrhundertinszenierung einmal aus der Nähe betrachten zu können.
Es liegt im Kern der Oper Falstaff, dass sie erstmal vieles nicht ist: Sie ist nicht Paradestück für große Heldentenöre, sondern funktioniert über ihr Libretto. Sie ist nicht das große dramatische Abschiedswerk eines Komponisten, der direkt zuvor Aida und Otello komponiert hat. Sie ist eine Komödie, aber eigentlich gar nicht lustig. Falstaff selbst ist an sich keine komische Figur, sondern bitterernst in einer komischen Handlung gefangen.
Laurent Pelly hat sich kürzlich mit einer beißend komischen Candide an der Santa Fe Opera hervorgetan. Auch sein Falstaff sprüht vor ironischem Witz, ist aber vor allem sehr zugänglich. Diese authentische Verständlichkeit rührt von der fantastischen Personenregie her, die das Stück trägt. Alle Darstellerinnen und Darsteller spielen glaubwürdig und witzig, was ein Geschenk ist angesichts des anderorts lähmenden Regietheaters. Das Ensemble wirkt gut eingespielt, in keiner Minute kommt Langeweile auf.
Roberto De Candia gibt einen Falstaff wie von nebenan. „Nebenan“ meint dabei die örtliche Kneipe, in der er hofiert und die er mit liebevoller Selbstüberschätzung sein Haus nennt. Er kommt als etwas seniler alter Säufer daher, der durch seinen Charme trotzdem Sympathieträger bleibt. Diesmal ist er wirklich sehr dick geworden, was ihm noch mehr Charisma zum glaubhaften Sexappeal abverlangt. Stimmlich dagegen verlangt die Rolle nicht viel, hauptsächlich eine durchgehende Präsenz und eine flexible Führung. De Candias Bariton besitzt beides und stellt somit einen soliden Protagonisten auf die Bühne. Trotz seiner eigenen sticht er aber nicht unbedingt aus der allgemeinen Masse hervor, sondern bettet sich eher ein ins Geschehen. So ist er zwar der Initiator der Handlung, gerät aber schnell zum Spielball der anderen. Für das natürliche Verständnis dieser Rolle kann De Candia auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken. Durch die Arbeit mit zahlreichen Regisseuren sprüht seine Interpretation von innigem Humor, ohne zu übertreiben. Seine Solopartien wie der Monolog über die Ehre sind von dramatischem Feinsinn geprägt.
Die lustigen Weiber Windsors sind hier gutbürgerliche Glucken, allesamt im ordentlichen Kostüm in Pastell. Ihre Darstellung ist dadurch vor allem charmant und liebevoll, die ausgeheckten Gemeinheiten gegenüber Falstaff erscheinen als gut gemeinte Neckereien. Die promineteste ist natürlich Mrs. Alice Ford: Rebecca Evans ist eine abgeklärte Hausfrau, die bestimmt nicht ihre erste Intrige spinnt. Die Verlobung von Nanetta und Fenton managet sie nebenbei auch noch mit, da kann Ford noch so viel planen. Ihre gesamte Erscheinung spielt diesem Bild zu, zu dem auch ihr Sopran passt. In den Höhen ist sie etwas schrill, was den Eindruck der Figur nicht schmälert, was aus ästhetischen Gesichtspunkten aber nicht unbedingt notwendig wäre. Umso schöner sind dafür ihre Tiefen, die mit einer satten Energie ausgefüllt sind. Ihr Vibrato ist schönes Zierwerk, was sie bewusst einsetzen kann, manchmal also auch gekonnt weglässt.
Als ausführende Kraft vermittelt Mistress Quickly zwischen den Fronten und setzt den Plan in Gang. Daniela Barcellona ist die einzige wirkliche Komödiantin im Ensemble. Sie bedient sich eines herrlich körperlichen Humors, der besonders ihre Szenen mit Falstaff zum Genuss macht. Ihr Mezzo ist elegant und flexibel, ihre Tiefen voll und gesund.
Neben diesem starken Duo bleibt Maite Beaumont als Mrs. Meg Page eher unscheinbar. Mit ihrem leichten Mezzo passt sie sich gut in das Trio ein und spielt überzeugend.
Besonders schön ist das junge Liebespaar Nanetta und Fenton, gesungen von Ruth Iniesta und Joel Prieto. Mit ihren jugendlich glockenhellen Stimmen harmonieren die beiden perfekt und versprühen auch eine gehörige Portion erotischer Energie. Inieastas federleichter Sopran ist ein Highlight des Abends, als Fee im dritten Akt besticht sie besonders. Prietos Tenor ist sanft und mit einem schönen Schmelz versehen. Sein Solo im letzten Akt ist aufhellend und erhellend, im anschließenden Duett vereinen sich die beiden zu einem wunderschönen Paar.
Den großen bösen Gegenspieler Ford spielt Simone Piazzola mit souveräner Autorität und Kaltherzigkeit. Aber auch er hat die Fäden nicht in der Hand, ist dem Geschick der Weiber Windsors unterworfen. Am prominentesten kann er sich in seinem Ausbruch während des Gesprächs mit Falstaff beweisen. Seine Darstellung, mit der er kürzlich in dieser Rolle auch in der Berliner Staatsoper zu sehen war, ist ebenfalls solide, vielleicht an mancher Stelle etwas zu kalt. Sein Bariton ist etwas höher angesiedelt, was ihm einen schönen deklamatorischen Ausdruck verleiht.
Im Orchestergraben ist Daniele Rustioni mit Leidenschaft bei der Sache. Er fühlt den Witz der Musik und dreht sich immer wieder halb um zum Parkett, als wollte er sagen: „Habt ihr das auch gehört? Witzig, oder?“ Er steht als Strahlemann am Pult und lässt das Orchester tanzen, immer mit Leichtigkeit.
Der ganze Abend steht auf einem überaus hohen Niveau und bleibt trotz allem Ernst nahbar. Zu keiner Zeit fällt es ab in Richtung Klamauk, bleibt immer liebevoll und authentisch. Es ist ein Genuss, ein solches Talent gepaart mit Spielfreude zu sehen.
Gabriel Pech, 30. April 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at