Was ist mit Anja Harteros’ Stimme los?

Giuseppe Verdi, La forza del destino  Bayerische Staatsoper, 26. September 2021

Publikumsliebling war mit Abstand die Sopranistin Anja Harteros, die in der Rolle der Donna Leonora in weiten Teilen zu überzeugen wusste. Ich bin ein großer Fan von Anja Harteros, sie ist eine Ausnahmekünstlerin, die mir schon viele schöne, sinnliche und berauschende Opernabende geschenkt hat. Nicht aber an diesem Abend. Auch nicht als Isolde in Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ während der diesjährigen Münchner Opernfestspiele.

Bayerische Staatsoper, 26. September 2021
Giuseppe Verdi, La forza del destino

© Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper – Nationaltheater

von Andreas Schmidt

Passend zum Wahlsonntag in Deutschland erklang an diesem Abend Verdis „Macht des Schicksals“ im Nationaltheater zu München. Die Besucher schenkten der Aufführung dieses viel zu selten gespielten Meisterwerkes des norditalienischen Jahrtausendkomponisten sehr viel Applaus – obgleich wahre Begeisterung dann doch noch etwas euphorischer aussieht.

klassik-begeistert.de-Autorin Dr. Petra Spelzhaus wird hier am Donnerstag
eine ausführliche Kritik zur nächsten Aufführung schreiben, vorab von mir soviel:

Publikumsliebling war mit Abstand die Sopranistin Anja Harteros, die in der Rolle der Donna Leonora in weiten Teilen zu überzeugen wusste. Ich bin ein großer Fan von Anja Harteros, sie ist eine Ausnahmekünstlerin, die mir schon viele schöne, sinnliche und berauschende Opernabende geschenkt hat. Nicht aber an diesem Abend. Auch nicht als Isolde in Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ während der diesjährigen Münchner Opernfestspiele.

Frau Harteros’ Stimme hat sich seit Corona verändert. Das Weiche, das wunderbar Frauliche ist ihrer Stimme abhanden gekommen. Im höchsten Register erklingen zahlreiche Töne mittlerweile gepresst, metallisch, schrill und kalt. Möglicherweise hat auch die intensive Beschäftigung mit der unendlich schweren Isolden-Partie zu einer Stimmenveränderung geführt. In die richtige Richtung, liebe Frau Harteros, haben Sie sich stimmlich für meine Ohren nicht entwickelt. Es wurde mir an diesem Endseptemberabend nicht einmal warm ums Herz, als ich ihre Stimme in Deutschlands bestem Opernhaus hörte, eine Stimme, die ich einst als Jahrhundertstimme beschrieb.

Wie gesagt: In weiten Teilen waren Sie sehr gut, aber die Magie einer Anja Harteros sieht anders aus. Ich habe Sie etwa als Tosca in Berlin gehört und vor Glück geweint. Von Isolde sollten Sie definitiv die Finger lassen, die bringt Ihnen kein Glück.

© Andreas Schmidt

Ich möchte noch vier Sänger erwähnen:

Mika Kares aus Finnland (Padre Guardiano), der beste Sänger des Abends. Was für ein edler, erlesener Bass. Eine so wunderbare Väterlichkeit voller Virilität macht diesen jungen Mann zu einem der ganz großen Bässe unserer Zeit.

Den Edel-Bariton George Petean aus Rumänien (Don Carlo di Vargas), ich habe ihn schon so bärenstark in der Wiener Staatsoper gehört. An diesem Abend zollt ihm das Münchner Publikum den zweitgrößten Applaus. Von mir gibt es nur die Note 3, da Herr Petean an diesem Abend mit viel zu viel Druck und viel zu viel Vibrato gesungen hat. Wahrer Wohlklang hört sich anders an.

Unterm Strich enttäuschte auch der italienische Tenor Stefano La Colla als Don Alvaro – La Colla ist im norditalienischen Turin geboren. Er bot im mittleren und im unteren höheren Register wirklich zahlreiche wunderbar-einfühlsame Passagen, sehr schön geführt – allein, für die Kernkompetenz, für die ein Tenor engagiert wird, fehlte ihm alles: Er versemmelte dutzende Töne im High-End-Bereich, wir sprechen hier von Abweichungen von einem viertel bis mehr als einem halben Ton. Das ist für Musikfreunde, die ein Instrument spielen, singen oder sich professionell mit der Materie beschäftigen, nicht besonders angenehm und tut wachen Ohren weh.

Treffen beim Italiener Trattoria da Enzo, Wexstraße 34 in Hamburg-Neustadt: klassik-begeistert.de-Herausgeber Andreas Schmidt, der italienische Bariton Ambrogio Maestri und Entlebucher Sennhündin Juli, 20. Januar 2020

Im vierten Akt kam dann noch ein Genie auf die Bühne: Ambrogio Maestri.
Dieser Bariton aus Italien ist eine Klasse für sich – jedes Opernhaus darf sich glücklich schätzen, diesen beleibten und beliebten Mann engagieren zu dürfen. In seiner Rolle als Fra Melitone machte er mit seinem voll-voluminösen, teilweise auch ironischen Mega-Bariton deutlich, dass Verdi in vielen Passagen schon den Falstaff angelegt hatte – den zufälligerweise niemand auf diesem Planeten besser singen kann als er: Maestri.

Andreas Schmidt, 27. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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