Irish National Opera begeistert mit einer sprühenden „Traviata“

Giuseppe Verdi, La Traviata  Irish National Opera, Gastspiel am Cork Opera House, 31. Mai 2024

Foto: (c) irishnationalopera.ie

Wie schon letztes Jahr mit einer geistreichen Variante von  Mozarts „Così fan tutte“ begeisterte dieses Jahr erneut die Irish National Opera bei ihrem Gastspiel in Cork mit einer originellen, spritzigen und zugleich bewegenden Inszenierung von „La Traviata“ – angesichts der eher kleinen Dimensionen dieser Bühne ein farbensprühendes Konzentrat.

Die Violetta Valéry der Amanda Woodbury betörte mit ihrer strahlenden und zugleich melodiösen Stimme die Sinne des Publikums. Ähnliches wäre über den wunderbaren Mario Chang als Alfredo zu sagen – doch leider versagte diesem Tenor mit seinem vollendeten Schmelz die Stimme, sodass ein Chorist am Rande der Bühne diese Rolle gesanglich synchronisieren musste (was er sehr gut tat), während Chang den Alfredo pantomimisch darstellte.

Giuseppe Verdi
La Traviata

Dirigent: Fergus Sheil
Orchester und Chor der Irish National Opera

Irish National Opera, Gastspiel am Cork Opera House, 31. Mai 2024

von Dr. Charles Ritterband

Wurde doch bereits die Uraufführung der „Traviata“ am La Fenice in Venedig im Jahr 1853 unter anderem wegen der für damalige Begriffe schockierenden Handlung zum Fiasco, so hatte diese Oper um die
Traviata, „die vom rechten Weg Abgekommene“, also eine „gefallene Frau“, selbstverständlich auch im erzkatholisch-supermoralistischen Irland einen schweren Stand.

Moralische Empörung im Irland des 19. Jahrhunderts

Die erste Vorstellung der „Traviata“ in England wurde am 24. Mai 1856 im (heute noch existierenden) „His Majesty’s Theatre“ in London gegeben.
Die Hauptrolle sang die 22-jährige, aus der Toscana stammende Sopranistin Marietta Piccolomini. Welche Ironie: Sie hatte auf der Bühne die ohne Zweifel berühmteste Prostituierte der Opernliteratur darzustellen und stammte selbst aus einer aristokratischen italienischen Familie, welche immerhin zwei Päpste hervorbrachte: Pius II und Pius III, sowie den Generaloberen (Oberhaupt) der Jesuiten, einen Bischof von Grosseto und einen Erzbischof von Siena…

Der Autor vor dem Opernhaus Cork, Irland © Dr. Charles Ritterband

Am 4. Oktober 1856 schrieb ein Pfarrer einen Leserbrief an die Zeitung „The Nation“ eine Suada über „diesen Inbegriff all dessen, was verrottet und grässlich in der Natur des Menschen ist, dessen Darstellung auf der Bühne samt allen Zutaten von Bühnenbild und Gesängen“.

„Wenn schon die protestantischen Zeitungen wie die englische „Times“ gegen dieses Stück Sturm laufen, können dann die Schützer der öffentlichen Moral im katholischen Irland stumm bleiben?“ Und in einem offenen Brief an den „Lord Lieutenant of Ireland“, den Vertreter der Krone in Irland: „My Lord“, „gebrauchen Sie Ihre vizekönigliche Autorität, um die öffentliche Moral der Bevölkerung von Dublin vor der ungeheuren Provokation gegen ihre christlichen und  moralischen Gefühle zu schützen“.

Doch die hochtalentierte Regisseurin der aktuellen irischen „Traviata“-Inszenierung, die aus London stammende Olivia Fuchs, nennt die einst so skandalträchtige Oper „ein intimes Drama über die Fragilität zwischenmenschlicher Beziehungen, des menschlichen Körpers, ja der menschlichen Existenz selbst“. Tuberkulose, im 19. Jahrhundert als „künstlerische Krankheit“ idealisiert, habe keineswegs zum „schönen Tod“ geführt, welchen Künstler ihrem Publikum vorgaukelten.

Karnevalsszene als Fiebertraum – Krankenbett als „Damoklessschwert“

Fuchs machte in ihrer Inszenierung das Beste aus den engen Verhältnissen der Bühne im Opernhaus von Cork: Sie ließ im hinteren Teil des Bühnenbildes eine „Bühne auf der Bühne“ errichten, auf der sich symbolträchtig ein Teil der Handlung abspielt – nicht nur die „spanische“ Folklore im dritten Akt sondern vor allem auch die berühmte Karnevalszene im vierten, dem „Sterbeakt“: dicht und knallbunt kostümiert drängen sich die Karnevalsnarren auf dem Podium hinter dem Spitalsbett der sterbenden Violetta Valéry – und es wird hier klarer als in vielen anderen Inszenierungen, dass sich die Karnevalszene nicht real vor ihrem Fenster, sondern in ihrem Fiebertraum abspielt.

Das eiserne Spitalbett kommt – wie ja auch in vielen anderen Inszenierungen – bereits am Anfang, während der Ouvertüre auf die Bühne und die ganze Oper wird somit zur Rückblende; nur hängt es hier während der ganzen Handlung mit bedrohlichem Schatten über dem Geschehen – das klassische Damoklesschwert.

Foto: (c) irishnationalopera.ie

In einem unterscheidet sich allerdings diese Inszenierung von allen anderen „Traviata“-Produktionen: Man erwartet jeweils im ersten Akt, beim großen Empfang der Violetta Valéry für ihre Gäste (Liebhaber?), dass sich hier die elegante Pariser Oberschicht im Smoking und langer Abendtoilette zum so berühmten „Brindisi“ versammelt – doch hier sind es die kleinen Leute, die Mittelschicht, in bunter, wenig eleganter Kleidung: ein neuer, alternativer sozialer Approach.

Schöne Stimmen

Die amerikanische, aus Kentucky stammende Sopranistin Amanda Woodbury als Violetta Valéry ist ein Weltstar – unter anderem an der New Yorker Met zu hören und zu sehen. Ihre „Traviata“ ist in der Tat Weltklasse: stimmliche Strahlkraft, Wärme gepaart mit Stärke und doch Subtilität, berührendes, in allen Szenen stimmiges und nie übertriebenes Spiel.

Dass wir den in Guatemala geborenen Tenor Mario Chang als Alfredo nur bis circa in die Hälfte des ersten Aktes hören durften, bis ihm, der sich tapfer durchschlug, endgültig die Stimme versagte, war ein Jammer – für uns, aber zweifellos auch für ihn selbst. Selten einen Tenor in dieser Rolle gehört, der den Alfredo mit so viel sanftem Schmelz und Feingefühl angeht, mit so viel Wohlklang.

Foto: (c) irishnationalopera.ie

Es musste ein Chorist einspringen, der dann die Rolle vom Bühnenrand her gesanglich synchronisierte, während Chang stumm und pantomimisch den Alfredo weiter mimte. Der dritte herausragende Sänger war der gebürtige Koreaner Leon Kim als Giorgio Germont, ein lyrischer Bariton mit feinem, sonorem Timbre.

Foto: (c) irishnationalopera.ie

Richard McGrath koordinierte souverän den Chor der irischen Nationaloper und Fergus Sheil leitete mit Verve das Orchester der irischen Nationaloper.

Ein gelungener Abend – trotz eines großen Wermutstropfens.

Schlussapplaus © Dr. Charles Ritterband

Dr. Charles E.  Ritterband, 31. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Regie: Olivia Fuchs
Bühnenbild und Kostüme: Katie Davenport
Chöre: Richard McGrath

Besetzung:

Violetta Valéry: Amanda Woodbury
Alfredo Germont: Mario Chang

Giorgio Germont: Leon Kim
Flora Bervoix: Aebh Kelly
Baron Douphol: Brendan Collins

Wolfgang Amadeus Mozart,  Così fan tutte Irish National Opera im Opernhaus Cork, 2. Juni 2023

Blackwater Valley Opera Festival, Giuseppe Verdi, Macbeth Lismore Castle, Südosten Irland, 31. Mai 2023

Giuseppe Verdi, La Traviata, Teatro La Fenice, Venedig, 10. September 2023

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