Wahnsinnige Melodien, Dramatik, Zärtlichkeit: "La Traviata" im Haus am Ring, die Oper aller Opern

Giuseppe Verdi, La Traviata,  Wiener Staatsoper, 29. Januar 2019
Foto: Ekaterina Siurina als Violetta Valéry
und Sorin Coliban als Baron Douphol © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wiener Staatsoper, 29. Januar 2019
Giuseppe Verdi, La Traviata

Wer das Wesen der Oper verstehen will, der muss „La Traviata“ des italienischen Jahrtausendkomponisten Giuseppe Verdi hören und sehen. „La Traviata“ ist Oper pur. Liebe, Lust, Leidenschaft. Eine tolle Geschichte. Wahnsinnige Melodien, Dramatik, Zärtlichkeit. Eine Wahnsinns-Instrumentierung. Italianità pur. Verdi at its best.

Wer die Möglichkeit hat, diese Mega-Oper in der Wiener Staatsoper zu hören, sollte sich diese Chance nicht entgehen lassen. Ob Opern-Anfänger oder Opern-Opa: „La Traviata“ ist immer gut. Und wird in Wien immer sehr gut geboten. Manchmal auch hervorragend, herausragend.

Dieser Abend ist ein sehr guter, kein herausragender Opern-Abend. Dafür sind zwei der drei Hauptrollen nur knapp sehr gut – eine Hauptrolle ist herausragend.

Knapp sehr gut ist der albanische Tenor Saimir Pirgu in der Rolle des Alfredo Germont. Eine anspruchsvolle, eine schwierige, ja eine etwas undankbare Rolle. Pirgu hat die Rolle im Haus am Ring schon gesungen. Trotzdem beginnt er verhalten, ja fast hat man den Eindruck, er ist nicht sofort voll bei der Sache, nicht 1-A-Sahne-mäßig eingesungen. Mit Bühnenpräsenz und Eleganz erobert Saimir Pirgu ab dem 2. Bild das Publikum. Sein Tenor hat einen schönen, klaren Klang und einen herrlichen Charme.  Er ist ein sehr guter Tenor, hat aber keine Stimme, die einen vollends aus den Schuhen haut.

Mit großer Spannung erwartete klassik-begeistert.de an diesem Abend die russische Sopranistin Ekaterina Siurina als Violetta Valéry, der Kurtisane. Am 26. November 2016 war der Herausgeber verzaubert von der lettischen Sopranistin Marina Rebeka gewesen. Was für ein Auftritt, damals. „Amazing“, wie die Amerikaner sagen. Das war teilweise zum Weinen schön! Das war Hingabe pur, das war „devotion“, das waren Herz und Seele im Gesang.

Die Sopranistin aus Riga, Tochter einer Lettin und eines Weißrussen, war die Schwarzmarktpreise an jenem Abend allemal wert. Sie bot an jenem Abend ein außergewöhnliches Hörerlebnis. Die Klangfülle in der Höhe und in der Tiefe war umwerfend, die Koloraturen saßen, das Piano schwebte, die Höhe strahlte. Voll, satt, beglückend – ja, der Gesang von Marina Rebeka machte wirklich glücklich. Sie war Weltklasse und wird in dieser Rolle nur noch übertroffen von Anna Netrebko, der Übersängerin aus Russland, und Anja Harteros, der Übersängerin aus Nordrhein-Westfalen.

Wie Marina Rebeka kurz vor dem Tod der Violetta im vierten Akt sang: „Himmel spende Du Trost der Gefallenen. Ach, alles ist vorbei“ – das war an Intensität und Vollkommenheit nicht zu übertreffen. Auch dafür bekam die Lettin damals zu Recht den meisten Beifall und die meisten „Brava!“ des Abends.

Die Sängerin DIESES Abends, die Russin Ekaterina Siurina, konnte leider nicht in diese großen Fußstapfen treten. Auch sie war knapp sehr gut. Aber halt nicht herausragend, nicht Weltklasse. Am Anfang war sie nur sehr schwach und zaghaft zu hören. Das war zu wenig! Das war zwar sehr schlank und kultiviert, aber mit zu wenig Verve und Hingabe vorgetragen. Frau Siurina hatte die Partie zuletzt im November 2015 mit der Canadian Opera Company im Four Seasons Centre in Toronto gesungen. Sie muss noch ein wenig in diese wunderbare Rolle hineinwachsen.

Aber auch für Ekaterina Siurina gilt wie für Saimir Pirgu: Sie wurde im Laufe des Abends immer besser. Sie sang immer befreiter, beseelter und inniger. Ganz wunderbar gelang ihr die Arie „Adio del passato“ im dritten Akt. Das war mit Herz und Hingabe vorgetragen! An die Sangeskunst ihrer Landsfrau Anna Netrebko, etwa bei den Salzburger Festspielen 2005, reicht es nicht heran.

Für das Publikum und auch für klassik-begeistert.de der professionellste, präsenteste und angenehmste Sänger an diesem Abend war der Bassbariton Ludovic Tézier als Vater Giorgio Germont. Erst als er auf die Bühne kam, hatte diese Oper wirkliche Klasse. Erst als er auf die Bühne kam, wachten die beiden anderen Hauptprotagonisten förmlich auf, richteten sich an Téziers vollem, profunden und nuancenreichen Bariton auf und wurden besser. Wunderbar das weich-zarte bis streng-väterliche Timbre dieses Ausnahme-Sängers.

Eine sogenannte Nebenrolle sei hier sehr lobend erwähnt: Der wunderbare Bass des Wiener Ensemblemitglieds Sorin Coliban. Wahnsinn, was der Rumäne in seiner ja nicht allzu langen Sing-Zeit als Baron Douphol an Präsenz, Engagement, männlicher Stimmkunst und stimmlicher Nachhaltigkeit in das Rund warf. Dafür bekam er nach der Aufführung verdientermaßen Bravo-Rufe.

Auch vom Dirigenten Marco Armiliato bekam er ein anerkennendes Schulterklopfen auf der Bühne. Und auch der Genuese war ein Held des schönen Abends: Dieser gut gelaunte, charismatische Stabführer kennt die gut zweistündige Oper in- und auswendig. Er dirigierte ohne Partitur, sang weite Stellen mit den Lippen leise mit und gab immer wieder – für das auffallend junge Orchester sowie die Sänger – präzise und animierende Einsätze. Dieser Signore Armiliato ist Italianità pur – Meister Verdi wird im Himmel sicher seine große Freude haben, wenn er ihn hört… auch an den feinen, gepflegten Geigensoli des Konzertmeisters.

Am 1. Februar und am 4. Februar 2019 gibt es noch die Möglichkeit, Ludovic Tézier & Co. zu erleben – Tickets gibt es noch sehr begrenzt bei der Wiener Staatsoper, bei Agenturen wie Jirsa und auf dem Schwarzmarkt. (Teils sehr gute) Stehplätze für drei und vier Euro am Spieltag sind immer eine gute Alternative. Wer in Wien ist, sollte sich dieses Hör- und Seherlebnis nicht entgehen lassen.

Andreas Schmidt, 30. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de

Ein Gedanke zu „Giuseppe Verdi, La Traviata,
Wiener Staatsoper, 29. Januar 2019“

  1. Von der Inszenierung bin ich sehr enttäuscht, nur gut das die Musik noch an die Verdi Oper erinnert. Das Bühnenbild hat mit Verdis Oper nichts zu tun. Aber vielleicht sollte man daran denken, das es ja noch schlimmer hätte kommen können, nämlich das Bühnenbild der Hamburger Reeperbahn zu verwenden. Verdis Oper spielt in Paris und hat als Grundlage den Roman von Viktor Hugo. Warum muss diese wunderbare Oper so zerstört werden. Mir ist es unbegreiflich, dass die Wiener Staatsoper sich für so eine Inszenierung hergibt. Es vermittelt den Eindruck, das die finanziellen Mittel gerade für die Hauptinterpreten gereicht hat und weder für ein ordentliches Bühnenbild noch für Bühnenarbeiter Geld zur Verfügung steht. Es lohnt sich nicht für so eine Aufführung mehrere Hundert Kilometer zu fahren. Das ist in jeder Kleinstadt zu finden, leider. Armes Wien! Arme Wiener Staatsoper!!!
    Marlies Gerlach

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