Foto: © Michael Pöhn
Giuseppe Verdi, Macbeth
Wiener Staatsoper, 11. Mai 2019
James Conlon, Dirigent
Christian Räth, Regie
Gary McCann, Ausstattung
Nina Dunn, Video
Mark McCullough, Licht
Thomas Lang, Chorleitung
George Petean, Macbeth
Ferruccio Furlanetto, Banquo / Banco
Tatiana Serjan, Lady Macbeth
Jinxu Xiahou, Macduff
Lukhanyo Moyake, Malclom
Nikolaus Prause, Fleance
Ayk Martirossian, Spion
Fiona Jopson, Kammerfrau
von Jürgen Pathy
Drei Hauptrollen gibt es laut Giuseppe Verdi in seiner Oper „Macbeth“: Die Titelpartie, Lady Macbeth und die Hexen, die in der musikalischen Bearbeitung des gleichnamigen Dramas von William Shakespeare nicht wie im Original zu dritt erscheinen, sondern vom Chor verkörpert werden.
Sowohl der glänzend disponierte Staatsopernchor als auch die weiteren Hauptprotagonisten wissen an diesem Abend in der Wiener Staatsoper gewaltig zu überzeugen, liefern sensationelle Leistungen bis hin zur Weltklasse ab, und ernten letztendlich viel zu geringen Beifall.
Angeführt wird das Erfolgstrio von George Petean, 44, der in derselben Produktion im Jahr 2015 sein Rollendebüt als Macbeth feiern durfte. Damals noch als Retter in der Not, als Einspringer für Ludovic Tézier, um das „wichtigste Haus“ der Welt in der Neuproduktion von Christian Räth nicht im Stich zu lassen. Mittlerweile setzt der gebürtige Rumäne mit Wohnsitz in München in dieser Partie neue Maßstäbe.
Was Petean an diesem Abend aufs Parkett zaubert, verdient das Prädikat: einsame Weltklasse – da gibt’s einfach nichts auszusetzen!
Egal ob lyrisch zart oder heldenhaft durchschlagend, ob cremig-weiche Bögen oder mit Nachdruck gestaltete Fortissimi, mit seinem äußerst vielseitigen Bariton ist der Ausnahmekönner in der Lage, alle nur erdenklichen Emotionen des „Bösewichts“ zu gestalten. Feinste Nuancen, farbenprächtige Schattierungen und schwindelerregende Höhen – für Petean, der im Haus am Ring bereits 2001 debütierte, alles kein Problem.
Selbst Züge eines „Tenore di grazia“ zeigt Petean, der neben den dramatischen Partien das Belcanto-Fach noch beibehält, derart elegant, geschmeidig und fein entgleiten dem Ausnahmekönner die Worte aus seinem Mund. Da wundert’s auch keinen, dass er für seine Schluss-Arie, die er erhöht stehend von einer Stahlbetonplatte in den Saal posaunt, einige Zuschauer beinahe aus den Sitzen reißt und zu lautstarken Bravi animieren kann.
An seiner Seite ebenfalls einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt Tatiana Serjan als machtgierige Lady Macbeth, die ihren Gatten aufgrund ihrer erotischen Ausstrahlung gar zum Königsmord verführen kann. Die russische Sopranistin, die ihre Ausbildung am Konservatorium in St. Petersburg und in Turin genoss, verfügt vor allem über eines: schier endlos scheinende Kräfte!
Eine männerfressende Furie, wie sie im Buche steht. Ein richtiges Energiebündel, dessen durchdringende Darbietung und Überzeugungskraft sicherlich noch weitere Titelhelden in den Wahnsinn und in den Tod zu treiben vermögen werden. Dabei entgleitet ihre Stimme niemals ins Schrille, behält die Verdi-Spezialistin stets ihr wohlklingendes Mezzotimbre, dessen enorme Strahlkraft selbst die kargen Betonbunker, die das Bühnenbild prägen, mühelos erschüttern könnte.
Wenn man schon die Nadel im Heuhaufen suchen möchte, wäre es das unentwegte Vollgas, von dem die Drama-Queen nur viel zu selten heruntersteigt, wie zum Beispiel im allabendlichen Schlafgemach, in dem sie ihren Gatten mit zärtlich-intensiven Piani zum Mord an Banquo verführen kann.
Obwohl von Verdi so gefordert, der bei dieser Partie weniger auf der Suche gewesen war nach Schöngesang, sondern nach einer dramatischen Darbietung, die selbst vor hässlichen Tönen keinen Halt macht, wären diese differenzierteren Dynamiken und variierenden Farben des Öfteren eine Wohltat gewesen.
Egal – sei’s drum: Wenn Macht, Ausdauer und Energie einen zweiten Vornamen hätten, dann bestimmt den der russischen Sopranistin, deren Dienste als Verdi-Sängerin auch regelmäßig von Valery Gergiev in Anspruch genommen werden.
Und ein Vierter gesellt sich zum Erfolgstrio noch hinzu: Ferruccio Furlanetto, 69, der italienische Altmeister und Publikumsliebling, besticht ein weiteres Mal durch seine ungeheure Bühnenpräsenz, seine voluminöse Stimme und durch seine noch immer beeindruckende Agilität und feinfühlige Linienführung, mit der er dem Part des Heeresführers Banquo einen lyrischen Anstrich zu verpassen vermag.
Nicht ganz mithalten kann das Ensemblemitglied Jinxu Xiahou, 29, der als Macduff zwar sauber und brav intoniert, dessen Ah, la paterna mano jedoch schon intensiver, glanzvoller und mit mehr Inbrunst gesungen wurde. Lukhanyo Moyake, seit dieser Saison ebenfalls im ehrenwerten Ensemble des Hauses, sollte noch unbedingt an seiner Bühnenpräsenz und Ausstrahlung feilen.
Sehr geschmeidig hingegen und eine Wohltat für Herz, Seele und Ohr ist die Bassstimme des Armeniers Ayk Martirossian als Spion, der hinter seinen Sonnenbrillen und im strengen Gestapo-Ledermantel ein wenig aussieht wie der legendäre Dr. Kurt Ostbahn alias Willi Resetarits, der in Deutschland vermutlich weniger bekannt sein dürfte als in Österreich.
Zur wahrhaftigen Tragödie innerhalb des Dramas entfaltet sich der offensichtliche Konflikt zwischen Orchester, Sänger und dem Dirigenten James Conlon, 69, dessen energische Einsätze regelmäßig auf heftigen Widerstand zu stoßen scheinen. Obwohl optisch deutlich vernehmbar, reagieren Orchester und Sänger teilweise gefühlte Lichtjahre zu spät, ignorieren den Amerikaner und lassen ihn eiskalt im Regen stehen.
Weshalb der erfahrene Maestro, der nicht zum ersten Mal am Pult der Wiener Staatsoper steht und sich der Eigenheiten des Orchesters bewusst sein sollte, sich das Zepter im Laufe des Abends aus der Hand hat reißen lassen, bleibt das Mysterium dieser sonst durchweg erfolgreichen Repertoirevorstellung.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 12. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at