Foto: (c) Pedro Malinowski
Das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen setzt bei der Inszenierung der Verdi-Oper „Nabucco“ auf Transposition und psychologische Aufarbeitung. Großartige Besetzung, herausragender Opernchor.
Musiktheater im Revier (MiR) – Gelsenkirchen
Giuseppe Verdi, Nabucco, Premiere am 16. Juni 2018
von Barbara Seppi
Ein sitzender Offizier, die Uniform wage an die sowjetische rote Armee erinnernd, zwei spielende Mädchen im Streit um einen Teddybären, eine Kreidelinie markiert Territorien – wären da nicht die mächtigen Fanfaren und die unverwechselbaren dramatisch-romantischen Klänge von Giuseppe Verdi, niemand hätte am Samstag im Musiktheater im Revier beim stummen Szenenbild zur Ouvertüre an „Nabucco“ gedacht.
Sonja Trebes setzt bei der Inszenierung der Verdi-Oper auf erstaunliche Vielschichtigkeit. Zum einen stellt sie die Hass-Liebe-Beziehung der Schwestern Fenena und Abigaille, verankert in der Kindheit, in den Fokus. Die kleinen Mädchen tauchen als Traumbilder durchgängig in der Oper auf, erinnern vor allem Abigaille schmerzlich daran, wie alles begann: die Zurückweisung, die Traurigkeit, das Gefühl der zweiten Wahl. Von Yamina Maamar absolut authentisch gespielt, ihren glänzenden Arien immer eine melancholische Komponente hinzufügend. Sie ist der Star des Abends.
Der babylonische König Nabucco, ein fantastischer Bastiaan Everink, könnte jeglicher Diktator des 20. Jahrhunderts sein, das besiegte und gefangene Volk der Hebräer ein jedes Volk der Neuzeit. Und doch, wenn Zaccaria, der Hohepriester des Tempels in Jerusalem, singt „Lass nicht zu, dass Dein Volk Beute eines Wahnsinnigen wird“, kommen beim Anblick des Opernchores, gekleidet wie die Verfolgten und Deportierten der 1940er Jahre, unweigerlich die Erinnerungen an die deutsche Geschichte.
Der Opernchor des Musiktheaters im Revier besticht durch einen imposanten Klangkörper und starken choreographischen Ausdruck. Eben noch die Hände nach Hoffnung reckend, verwandelt er sich in eine blutrünstige Menge, die aufgestachelt den Tod des Ismaele fordert. Die Besetzung ist hier mit Martin Homrich perfekt, stimmlich überzeugend, durch seinen bärtigen Rotschopf an einen Wikinger erinnernd, die Pluralität der Gedanken wiederherstellend: menschliche Abgründe, die Gefahr der Radikalisierung und Verfolgung lauern überall.
Dieser „Nabucco“ fasziniert in jedem einzelnen Bild, die musikalische Qualität ist herausragend, die Neue Philharmonie Westfalen unter dem italienischen Dirigenten Giuliano Betta ist in absoluter Verdi-Laune. Der Abend reißt mit, ob in den mephistophelischen Gelagen am Hofe Babylons unter dem Zepter des Oberpriesters des Baal oder den Geisteswirren des Königs, einsam wandernd als kranker Obdachloser. Und der berühmte Gefangenenchor? Nicht pompös, sondern leicht und schwebend, wie der kosende Gedanke der Hoffnung auf das Gute, der bei allem Bösen nicht zerstört werden kann.
Barbara Seppi, 18. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Nabucco Bastiaan Everink
Abigaille Yamina Maamar
Fenena Anke Sieloff
Ismaele Martin Homrich
Zaccaria Luciano Batinic
Oberpriester Dong-Won Seo
Abdallo Tobias Glagau
Rahel Shixuan Wie
Opern-und Extrachor des MiR
Neue Philharmonie Westfalen
Musikalische Leitung Giuliano Betta
Inszenierung Sonja Trebes
Bühne Dirk Becker
Kostüm Britta Leonhardt
Choreinstudierung Alexander Eberle
Dramaturgie Anna Grundmeier
Licht Patrick Fuchs
Termine:
- Juni 2018 19.30 Uhr
- Juni 2018 19.30 Uhr
- Juni 2018 19.30 Uhr
- Juli 2018 18.00 Uhr
Wiederaufnahme in der Spielzeit 2018/19 ab 16. September 2018.
Tickets unter www.musiktheater-im-Revier.de
Einfach nur zum Weinen schön.
G. Stoesslein