Christiane Lutz, die Ehefrau von Jonas Kaufmann, geht mit dem "Rigoletto" spielerisch und souverän um

Giuseppe Verdi, Rigoletto  Glyndebourne Opera Touring Company, 27. November 2019

Glyndebourne’s „Rigoletto“ in Hollywood – als Charlie Chaplin

Foto: wikipedia.de (c)
Glyndebourne Opera Touring Company
, 27. November 2019
Giuseppe Verdi, Rigoletto

von Charles E. Ritterband

„Rigoletto“ als packendes und musikalisch höchst attraktives Rohmaterial fordert die Phantasie der Regisseure geradezu heraus – nur Regisseure wie der hoch begabte David McVicar können es wagen, einen völlig werktreuen, in der Original-Epoche angesiedelten „Rigoletto“ mit historischen Kostümen auf die Bühne zu stellen und dennoch eine zeitlose, atemberaubende Inszenierung zu schaffen. Der Versuchung, „Rigoletto“ in einen  völlig anderen Kontext zu versetzen, ist auch die deutsche Regisseurin Christiane Lutz erlegen. Ihr Konzept ist höchst originell und eigenwillig –und gut durchdacht. Bis auf einen kleinen Schnitzer allerdings.

Die Regisseurin, als Ehefrau von Jonas Kaufmann, ist wohl mit dem Genre Oper gewissermaßen von Haus aus bestens vertraut; sie geht mit dem Stoff spielerisch und zugleich souverän um. Lutz versetzt ihren „Rigoletto“ in den roten Backstein-Bau (Anklänge an ein italienisches Kastell der Renaissance-Zeit?) eines Hollywood-Studios der 1920er-Jahre. Und was läge näher, als aus dem lüsternen, frauenverschlingenden Herzog einen skrupellosen Filmproduzenten namens „Duke“ (Anspielungen an Jetzt-Zeit und die obligate #meetoo-Aktualität sind keineswegs zufällig) und aus seinem Hofnarren den berühmtesten aller Clowns zu machen: Charlie Chaplin. Sogar seine berühmte Nummer mit der Leiter wird hier zitiert und als kleine Slapstick-Einlage nachgespielt.

Lutz unternimmt es, eine der offenen Fragen im „Rigoletto“ zu beantworten – nämlich jene die Rigoletto selbst seiner eigenen Tochter nicht beantworten will: Jene nach ihrer familiären Herkunft. Wer war ihre Mutter? Woher kommt sie selbst? Nun, hier schwängert der allmächtige Filmproduzent alias „The Duke“ eine bildhübsche afroamerikanische Nebendarstellerin. Ein Baby wird geboren und mitten auf der Bühne placiert, sie klettert auf ein Podest und stürzt sich hinab, vielmehr schwebt in Slow Motion zu Boden – so elegant wie Selbstmord nur selten begangen wird. Rigoletto-Chaplin nimmt das Baby an sich: Zwischentitel „17 Jahre später“.

Ja, und natürlich ist es Gilda, die, wir haben es verstanden, gar nicht seine Tochter sondern seine Ziehtochter ist – und der Herzog, der leibliche Vater, begeht ohne es zu wissen, Inzest an seiner Tochter. Blöd nur, dass die Regisseurin zuvor die spöttische Bemerkung der Höflinge, Rigoletto habe eine Geliebte, stehen ließ. Das kann chronologisch nicht aufgehen, denn dieser Satz müsste auf später verschoben werden. Lutz entpuppt sich außerdem als Meisterin der Verwirrung, indem sie – der Originalität mit Chaplin als Rigoletto nicht genug – gleich drei Chaplins auftreten lässt, zwei davon als pantomimische Verkörperung „vorher“ und „nachher“ oder so ähnlich. Wir haben es nicht kapiert. Die Sache wurde nicht besser dadurch, dass ausgerechnet in dieser Inszenierung der Sänger des Rigoletto indisponiert war, sodass ein pantomimischer Darsteller dessen Rolle übernahm, während die Gesangspartie am Rand der Bühne vom englischen Bassbariton Michael Druiett gesungen wurde, der bereits als Wotan im „Ring“ für Aufsehen gesorgt hatte. Der pantomimische Chaplin, lippensynchronisiert vom Sänger in der Kulisse und sekundiert von einem weiteren, weißhaarigen Pantomimen – das steigerte die Verwirrung unweigerlich zum perfekten Chaos, obwohl Druiett seine Sache durchaus gut machte: ein männlich-kraftvoller Bassbariton, mit warmer Stimme und prachtvollen, präzisen Tiefen.

Die Stars des Abends waren jedoch die wunderbare Gilda der südafrikanischen Sopranistin Vuvu Mpofu, die dieser Rolle mit schlichter Klarheit und sanftem Wohlklang die ganze Feinheit, Präzision und Innigkeit verlieh, welche man sich nur wünschen kann. Als kongenialer Partner stand ihr der Herzog des aus Genua stammenden Tenors Matteo Lippi, der diese Rolle kraftvoll und zugleich subtil, mit allem wünschenswerten tenoralen Schmelz ausfüllte. Der russische Sänger Oleg Budaratskiy überzeugte als professioneller Mörder Sparafucile mit einem tiefen, sonoren Bass und als seine Schwester Maddalena die Britin Madeleine Shaw in ihrem Glyndebourne-Debut, die sich vor allem als komödiantisches Talent outete. Das berühmte Quartett im letzten Akt gedieh mit höchster Musikalität und feiner Linienführung zum unbestrittenen Höhepunkt des Abends.

Dr. Charles E. Ritterband, 3. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Inszenierung: Christiane Lutz
Dirigent: Jonathan Bloxham
Bühnenbild: Christian Tabakoff
Kostüme: Natascha Maraval
Rigoletto: Michael Druiett
Gilda: Vuvu Mpofu
Herzog von Mantua: Matteo Lippi
Sparafucile: Oleg Budaratskiy
Maddalena: Madeleine Shaw
Glyndebourne Chor und Tour Orchestra

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