Funkelnder Rohdiamant in der Hamburger Kammeroper: Anna Rabe, Sopran

Giuseppe Verdi, Rigoletto,  Hamburger Kammeroper

Foto: J. Flügel, Hamburger Kammeroper (c)
Hamburger Kammeroper, 21. September 2018
Giuseppe Verdi, Rigoletto

 von Birgit Kleinfeld

Ähnlich wie bei einem Hotel macht allein ein Vordach auf die Existenz des Allee-Theaters mitten zwischen Altbau-Wohnhäusern an der Max-Brauer-Allee 76 in Hamburg-Altona aufmerksam. Doch verstecken muss sich dieses Haus ganz sicher nicht. Es ist ein Kleinod, ein Garant für gute Qualität für ein geringes Budget.

Ein Beweis? Die Premiere von Giuseppe Verdis „Rigoletto“, die von den mehr als 200 Besuchern im ausverkauften Haus klatschend, jubelnd und trampelnd gefeiert wurde.

Hier wird mit ganzem Herzen und viel Herzblut musiziert, gesungen und gespielt. Und dies in anheimelnd altmodischer Atmosphäre, denn es gibt keine einheitlichen Sessel, sondern Stühle verschiedenster Art, die nur den roten Samt der Sitzfläche und die goldene Farbe der Rahmen gemeinsam haben.

Ja, es sind hier nur sechs Musiker statt ein großes Orchester. Ja, die Fassung die hier aufgeführt wird, ist auf Deutsch und mit Änderungen, die hier und da kurzen Dialogen wichen. Und ja, auf die berühmten Verdi-Chorszenen wird verzichtet. Dennoch: Sieben Darsteller meistern ihre Aufgabe mit Bravour und bieten ein eineindrucksvolles Musiktheatererlebnis mit Enthusiasmus.

Gewiss, die Großzahl der Darsteller würde zumindest stimmlich an großen Theatern vielleicht untergehen. Na und? Hier geben sie mit großem Erfolg ihr Bestes.

Allen voran Hausherr Marius Adam in der Titelrolle. Sein „Rigoletto“ kämpft und leidet, während er sich der Aufgabe stellt, eine Art Doppelleben zu führen: Hier der kriecherische Hofnarr, dort der (über)behütende Vater. Adam wirbelt über die kleine Bühne, sitzt wie in einem Traum gefangen mit einer Gilda-Puppe auf dem Schoß da, lacht hysterisch, geht bösartig auf die Diener des Herzogs los und bricht endlich über der Leiche seiner Tochter zusammen. Auch stimmlich bewältigt er den Part seinen Möglichkeiten entsprechend. Sein Bariton hat, malerisch ausgedrückt, vielleicht nicht das Feuer eines alten Cognacs, aber absolut die Wärme eines hochwertigen Weinbrands.

Gheorghe Vlad, optisch völlig dem Klischee eines Tenors entsprechend, verkörpert den Herzog von Mantua, den skrupellosen Verführer, nonchallant und charmant überheblich. Eigentlich ist ein Herzog nicht anders, als die Männer, die uns auch im wahren Leben begegnen können: auf dem Kiez oder auch in edlen Etablissements, welcher Art auch immer. Dass er all die Arien singen muss, die im Radio auf entsprechenden Sendern immer noch rauf und runter laufen, oft gesungen von jenen „Großen Dreien“, deren Namen jeder kennt, macht es Vlad nicht leichter…. Aber trotz Domingo & Co. überzeugt er stimmlich – und begeistert.

Robert Elibay-Hartog als schleimig großspuriger Marullo, Daniel Pohnert als Graf Ceprano und Stefan Hahn als Borsa und alle drei zusammen als „Chor“ haben nichts anderes als Lob verdient.

Ebenso auch Titus Witt, der neben dem Grafen Monterone auch den Sparafucile singt. Nein, er stellt ihn singend, spielend und tanzend dar. Omnipräsent scheint er die Fäden zu ziehen, erinnert auch vom Kostüm her an den Entertainer eines Kabaretts, der nonverbal immer wieder Kontakt zum Publikum aufnimmt. Ihm zur Seite Feline Knabe, die außer der Gilda alle weiblichen Rollen übernimmt. So auch Maddalena, die hier ganz offentsichtlich nicht die Schwester, sondern ehr das „Pferdchen“ ist, das der Mörder/Zuhälter Sparafucile im Stall hat. Knabe schlüpft in Rolle der ehebrecherischen, etwas verlotterten Gräfin Ceprano genau so leicht wie in die der korrupten Giovanna oder der verführerischen Maddalena. Ihre Stimme scheint rauer als sonst, was ihrer Darstellung und ihrem Gesang einen besonderen und passenden Charme verleiht.

Dann ist da noch Anna Rabe als Gilda. Sie ist der Rohdiamant, der zwischen den Bergkristallen, wie hochwertig sie auch sein mögen, hervorleuchtet. Schon ihre ersten Töne entzücken, ihre Arie „Holder Name“ löst die eine wunderbar wohlige Gänsehaut aus. Die Stimme der gerade 22 Jahre alten Sopranistin, die  unter anderem von Luciana Serra unterrichtet wird, hat schon jetzt eine Weichheit und Möglichkeit zur Modelation sowie eine strahlend klare Sicherheit in den Höhen. Alles scheint ihr leichtzufallen, ihr zuzufliegen, auch ihr Spiel berührt und ist bei aller der Rolle entsprechenden Kindlichkeit schon jetzt von einer Reife, die deutlich macht, das diese junge Frau weiß und fühlt, was sie spielt.

Verzweifelt bemüht sie sich, den Vater, der nur Augen für die Puppe hat, die der Tochter aufs Haar gleicht, auf sich aufmerksam machen, zeigt unschuldige Verliebtheit und lässt die Verzweiflung spüren, die sie beherrscht, wenn sie  gefesselt und geknebelt vor den Herzog gebracht wird – den Mann, für den sie sich letztlich völlig bewusst opfert.

Mag der erste Gedanke auch sein, dass Anna Rabe ein wahrer Glücksgriff für die Hamburger Kammeroper ist, so ist dies auch sicher vice versa der Fall. Viel zu oft werden vielversprechende Talente zu früh in für sie noch zu großen Häusern an für sie noch zu große Aufgaben geführt. Und dann?

Anna Rabe ist noch nicht einmal ein viertel Jahrhundert alt. Wer weiß, wo wir sie erleben dürfen, wenn sie die 30 erreicht hat. Kurz: Sie hat noch alle Zeit der Welt zu reifen. Hier, an der Hamburger Kammeroper.

Etwas, das die Vorstellungen dieses Hauses noch besonders macht,  sind die Produktionen an sich: die Regie, das Bühnenbild, die Kostüme. Verantwortlich zeichnen hierfür Roman Hovenbitzer (Regie) und Anna Siegrot (Bühne/Kostüme), denen eine sehr Im Hier und Heute bezogene Inszenierung gelungen ist, die deutlich mit Themen, wie Sexualpratiken, Drogen und auch (Macht)missbrauch umgeht, ohne dabei allzu plakativ zu sein. Was dafür sorgt, dass die Oberflächlichkeit der Welt des Herzogs und die Scheinwelt, die Rigoletto für Gilda aufgebaut hat, um so mehr berühren und ohne erhobenen Zeigefinger die Frage in den Raum werfen: Ist das dort auf der Bühne nicht irgendwie auch das wahre Leben? Hovenbitzer bedient sich optischer Effekte wie Schattenspielen, handwerklich solide, ohne viel technischen Aufwand. Auch sie unterstützen die ergreifende Wirkung.

Last but not least sorgen Ettore Prandi,der auch für die musikalische Überarbeitung verantwortlich ist, und seine Musiker André Böttcher(Geige), Lucas Schwengebecher (Bratsche), Annika Stolze(Cello), Christoph Schmitz (Bass), Volker Kraus(Oboe) und Sonja Kraus(Klarinette) dafür, dass man spürt: Auch eine kleine Live-Besetzung ist besser als Orchesterklang vom Tonband.

Auch als Gastschreiberin für klassik-begeistert.de kann ich nur mit den Worten enden, die ich auch gerne in meinem Stammblog „Das Opernmagazin“ benutze: Wer kann, sollte sich selbst überzeugen, ob auch er Gefallen finden kann an einer Produktion, die umständehalber anders ist.

Birgit Kleinfeld, 22. September 2018, für
klassik-beigeistert.de

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