Un ballo in maschera © Herwig Prammer
…eben durfte man noch schmunzeln, im nächsten Moment verdichtet sich die Atmosphäre und das Lachen bleibt einem im Hals stecken.
Eben tanzen die Menschen einen fröhlichen Tanz, der einem Cancan ähnelt, im nächsten Moment ist jemand tot.
Freude und Leid sind ganz nah beieinander, dieses Spiel mit den Extremen macht die Inszenierung sehr dicht und kurzweilig.
Giuseppe Verdi
Un ballo in maschera
Musikalische Leitung: Gianandrea Noseda
Inszenierung: Adele Thomas
Choreografie: Emma Woods
Ausstattung: Hannah Clark
Choreinstudierung: Janko Kastelic
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Opernhaus Zürich, 28. Dezember 2024
von Kathrin Beyer
Die Demaskierung beginnt
Historisch geht jene Oper auf die Ermordung des schwedischen Königs Gustav lll. 1792 bei einem Maskenball zurück. Aufgrund von Zensurbestimmungen musste Verdi die Handlung verlegen.
Angesiedelt hat die Regisseurin Adele Thomas den Zürcher „Maskenball“ im Boston des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts. Gouverneurswahlen stehen an und Riccardo hat gute Chancen wiedergewählt zu werden. Schon der noch geschlossene Vorhang ist sehr wirkungsvoll. Zu sehen ist ein Wahlplakat mit Riccardos Konterfei, als jedoch die Musik einsetzt, wird aus dem Bild ein Totenkopf. Möglicherweise stehen die Chancen doch nicht so gut… Leider hat er sich in die Frau seines Freundes Renato verliebt. Und wieder einmal führt die eifersüchtige, hasserfüllte, rachedurstige menschliche Seele zu großem Leid, welches am Ende drei Leben zerstört.
Sowohl Verdis Musik als auch die Zürcher Inszenierung fluktuieren zwischen grotesker Komik und großer Tragik. Was für ein Gefühlskarussell!
Eben durfte man noch schmunzeln, im nächsten Moment verdichtet sich die Atmosphäre und das Lachen bleibt einem im Hals stecken. Eben tanzen die Menschen einen fröhlichen Tanz, der einem Cancan ähnelt, im nächsten Moment ist jemand tot.
Freude und Leid sind ganz nah beieinander, dieses Spiel mit den Extremen macht die Inszenierung sehr dicht und kurzweilig.
Es bleibt Raum, für eigene Spekulationen
Adele Thomas bleibt wohltuend nah am Ursprungswerk, stellt keine offensichtlichen Assoziationen zu aktuellen oder politischen Situationen her. Muss sie auch nicht, denn wenn die komischen Momente ganz grotesk werden, denke ich spontan an das, was uns möglicherweise bald aus Amerika erwartet. Sie macht Angebote, wie man sie auslegt, bleibt jedem überlassen.
Das Bühnenbild kommt ohne überschwänglich kitschige Momente aus, lenkt nicht ab und unterstreicht den jeweiligen Moment.
Die Kostüme zeichnen sich durch schlichte Eleganz aus. Männer tragen meist Fräcke oder Gehröcke, oft auch Zylinder, Frauen pastellfarbene Kleider der damaligen Mode.
Das Bühnenbild in Kombination mit den Kostümen ist sehr stimmungsvoll.
Die Sänger hier in Zürich sind Extraklasse
Charles Castronovo als Riccardo schafft es, dessen zwei Gesichter zu zeigen. Das joviale und Schwierigkeiten nicht sehen wollende Politikergesicht und das liebende, verantwortungsvolle, zärtliche Privatpersonengesicht. Sein Charakter erscheint ambivalent. Das Volk verehrt ihn als gütigen Herrscher, die beiden Verschwörer wollen seinen Tod, weil er des Einen Bruder ermordete und sich des Anderen Besitz aneignete. Wir sehen ihn zudem noch als liebenden Mann, der eine gewissenhafte Entscheidung trifft, um die Seele seiner Geliebten zu schützen. Meine Sympathie ist ihm sicher! Gesanglich bleiben keine Wünsche offen. Sein Tenor klingt wunderschön, klar, kraftvoll, leidenschaftlich und stark.
Ihr Rollendebüt gibt Erika Grimaldi als Amelia, ihres Zeichens Frau des Renato und Geliebte Riccardos. Wobei die Liebe zu letztem sehr stark, aber nicht körperlich ist. Zu gut Deutsch: Sie ist nicht fremdgegangen.
Man lernt Amalia als Frau kennen, die Seelenqualen leidet und die Seherin Ulrica anfleht, ihr ein Heilkraut zu empfehlen, welches sie ihre Liebe zu Riccardo vergessen lässt.
Ihr Sopran ist strahlend, klar und dramatisch, er dringt bis in die letzte Ecke des ausverkauften Opernhauses. Scheinbar mühelos setzt sie sich gegen Orchester und Chor durch.
Beide zusammen sind überwältigend. Ihre große gemeinsame Liebesszene im zweiten Akt ist ergreifend. Beide Stimmen harmonieren perfekt. Ihre Verzweiflung darüber, jemanden so heftig zu wollen, den man eigentlich nicht wollen darf, empfinde ich lebhaft. Was für ein magischer Moment!
Als Renato ist George Petean zu hören und sehen. Zunächst noch Riccardos bester Freund wird er später zum hasserfüllten Racheengel. Und wie er das wird! Es ist kein rasender Hass, es ist eine furchtbare, verzweifelte Feindseligkeit, eine Gemeinheit, die in ihm aufsteigt und ihn zum Mörder werden lässt. Auch er schafft es, sich mit seinem sauberen, dunklen, erdigen, kraftvollen Bariton in die Seele zu singen.
Agnieszka Rehlis gibt die Seherin Ulrica als kraftvolle, starke, geheimnisumwitterte Spiritualistin, die theatralisch ihre Kristallkugel befragt. Ulrica sagt Riccardo den Tod durch einen Freund voraus, das ist durchaus dramatisch und genauso klingt ihre Altstimme, die ich als extrem wandlungsfähig wahrnehme. Schrill und warnend, wenn nötig; sanft und warm und wohltönend, wenn es angebracht ist. Toll!
Die Hosenrolle des Oscar ist mit Katharina Konradi vortrefflich besetzt. Sie vermag die quirlige, etwas naive Pagenrolle glaubwürdig zu gestalten. In welcher Beziehung Oscar zu seinem Herrn Riccardo steht, bleibt unklar. In manchen Sequenzen hat es den Anschein, als könnten die beiden sich mehr bedeuten, als es für Arbeitgeber und – nehmer schicklich wäre. Wie schon erwähnt, es bleibt Raum für eigene Spekulationen.
Ihre sehr leichte, sehr klare Sopranstimme ist dennoch so stark, dass sie als einzige Frauenstimme im Männerchor gut hörbar ist, ohne schrill zu werden. Meine Bewunderung dafür!
Überhaupt strahlt ihre Stimme jene Leichtigkeit aus, mit der Oscar
(zunächst) durchs Leben geht.
Alle anderen Gesangsrollen waren ebenfalls ausgezeichnet besetzt.
Der Chor der Oper Zürich hat an diesem Abend viel zu tun, es gibt einige grandiose Chorgesänge, die atemberaubend intensiv sind. Ein Hoch auf diese exzellente Chorleistung!
Die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Gianandrea Noseda komplettiert die grandiose musikalische Gesamtleistung. Der Spagat zwischen den Extremen, komisch, tragisch, dramatisch, traurig und seelenvoll, ist bestens gelungen.
Schon während der Aufführung gibt es häufigen Zwischenapplaus.
Noch bevor alle Masken endgültig gefallen sind, noch während der letzten Musiktakte, brandet stürmischer Beifall auf.
Nach der furiosen Schlussszene hätte ich mir einen Moment der Stille und Besinnung gewünscht; so wurde ich recht schnell und unsanft aus meinem Überschwang der Gefühle in die reale Welt zurückgeholt.
Aber das ist Jammern auf höchstem Niveau.
Kathrin Beyer, 29.Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Opernhaus Zürich, 30. November 2024