Die Inszenierung ist bewegungsarm und spartanisch – Pretty Yende beeindruckt als Violetta

Giuseppe Verdis „La Traviata“,  Hamburgische Staatsoper, 14. Dezember 2021

Foto: Pretty Yende © 2021/Hans Jörg Michel

Zum vorletzten Mal in diesem Jahr steht in der Staatsoper Hamburg Giuseppe Verdis „La Traviata“ auf dem Programm. Das von Alexandre Dumas d.J. Roman „Die Kameliendame“ inspirierte Werk war zu damaligen Zeiten skandalöser Stoff, gilt heute jedoch selbstredend als Meisterwerk. In einer musikalisch durchgängig überzeugenden Aufführung sticht insbesondere Pretty Yende in der Hauptrolle hervor.

von David Nagel

Für ihre Interpretation als Edelkurtisane Violetta Valéry wurde die Südafrikanerin Pretty Yende bereits zuvor andernorts gefeiert und am heutigen Abend in Hamburg beweist sie einmal mehr eindrucksvoll, warum dies so ist. Die schwierige und umfangreiche Rolle der von der Männerwelt umschwärmten Dame meistert die 36-jährige scheinbar mühelos und mit viel Charisma und Leidenschaft. Hohe Töne und knifflige Koloraturen („Sempre Libera“) stellen für sie offensichtlich keine Probleme dar und werden, ohne dass es je forciert wirken würde mit Leichtigkeit, Klangschönheit und grandioser Forte/Piano-Dynamik performt, dass es eine wahre Freude ist. Das Publikum lauscht ihr gebannt, man könnte im Zuschauerraum mitunter eine Stecknadel fallen hören. Mit ihrer Ausstrahlung schafft es Pretty Yende auch schauspielerisch zu überzeugen, obwohl die bewegungsarme und spartanische Inszenierung von Johannes Erath diesbezüglich eher wenig hergibt.

Was die Nummer mit den Autoscootern soll, warum im Hintergrund immer mal wieder jemand grübelnd auf einer Kiste sitzt oder eine wie eine Balletttänzerin gekleidete Dame mit einem Schirm bewaffnet langsam über die Bühne schreitet, kann ich mir  nicht wirklich erklären. Auch wirkt es etwas seltsam, dass zum Beispiel als von dem Brief Violettas an ihren Geliebten Alfredo die Rede ist und dieser ihn niedergeschlagen vorträgt, sich Violetta selbst noch auf der Bühne befindet – für Nichtkenner der Oper wirkt dies sicherlich verwirrend und ist dramaturgisch eher unglücklich.

Wenigstens handelt es sich hier um kein Over-the-Top-Regietheater, das vom eigentlichen Werk ablenken oder gar störend wirken würde. Im Gegenteil: Die Bühne ist zumeist relativ leer, sodass der Fokus auf den Sängern liegt und man vor allem die musikalische Seite uneingeschränkt genießen kann. Die Möglichkeit zum Genuss wird erfreulicherweise zu jeder Sekunde geboten, denn obgleich Pretty Yende alles überragt, sind auch bei den anderen Rollen keine Schwächen auszumachen: Dmytro Popov ist ganz ausgezeichnet als Alfredo Germont, er gibt den Lover Violettas mit guter Diktion, Power und Emotion und die Chemie zwischen ihm und Pretty Yende scheint zu stimmen. Ebenso liefert Andrzej Dobber als dessen Vater Giorgio eine absolut souveräne Leistung und weiß deutlich mehr zu gefallen als vor etwa zwei Monaten als Scarpia in „Tosca“ – wenngleich er dort auch gegen ein wesentlich größeres Orchester ansingen musste.

Die Nebenrollen mit der sehr guten Kristina Stanek als Flora Bervoix, Renate Spingler als Annina oder Bernhard Hansky als Barone Douphol sind gut besetzt, mit Peter Galliard als Gastone ist außerdem ein Sänger dabei, den man gut und gerne als eine Institution an der Staatsoper bezeichnen darf, solange wie er hier schon zum Ensemble gehört. Das Dirigat unter Alexander Joel ist feinfühlig, mit dem richtigen Gespür für Dynamik, und gibt den Sängern den entsprechenden Raum für ihre Partien.

Es kommt nicht von ungefähr und ist völlig angebracht, dass das Publikum am Ende begeistert ist und die Darbietung mit vielen „Bravo“-Rufen honoriert. Wer sich „La Traviata“ noch in dieser Spielzeit live zu Gemüt führen möchte, kann dies noch am 16. Dezember tun. Die nächsten Aufführungen stehen erst wieder im März  2022, sobald der neue Spielplan fertig ist, am Programm – dann allerdings in stark veränderter Besetzung.

David Nagel, 15. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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