Der Bach, die Müllerin und der Tod: Goerne und Trifonov führen uns in die Transzendenz

Goerne und Trifonov, Franz Schubert, Die schöne Müllerin  Musikverein Wien, 26. November 2025

Daniil Trifonov und Matthias Goerne © Julia Wesely

Nach der “Winterreise” nun “Die schöne Müllerin” – von Zuversicht über jubelnde Liebe, harte Enttäuschung und tiefe Melancholie bis in den sanften Tod reicht der Bogen dieser Liederfolge. Goerne und Trifonov beweisen wieder ihre überragende Kunst der Interpretation.

Franz Schubert
Die schöne Müllerin, D 795

Liederzyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller

Matthias Goerne   Bariton
Daniil Trifonov   Klavier

Musikverein Wien, 26. November 2025

von Dr. Rudi Frühwirth

Der Schubert-Schwerpunkt im Großen Musikvereinssaal wurde mit dem Liederzyklus Die schöne Müllerin  fortgesetzt. Es war wieder ein großer, zutiefst berührender Abend mit Matthias Goerne und Daniil Trifonov. Der Zyklus beginnt unschuldig heiter, steigert sich zum Jubel der gewonnen Liebe und endet mit der Katastrophe der wieder verlorenen Liebe. Der selbstgewählte Tod des Erzählers wird als sanfter, verzichtender Übergang in die Transzendenz verklärt.

Die zwanzig Lieder fordern den Interpreten ein großes Maß an Einfühlungsgabe und Anpassungsvermögen ab. Die Strophen der Gedichte hat Schubert ja keineswegs nur mit schematischen Wiederholungen vertont, sondern oft äußerst erfindungsreich variiert. Und gerade dort, wo der Text dieselben Noten vorschreibt, ist es die Aufgabe der Interpreten, zu jeder Strophe den rechten musikalischen Ausdruck zu finden.

Das zeigt sich schon im ersten Lied, Das Wandern. Trifonov versteht es, das ruhelose Fließen des Wassers, das Drehen der Räder, das Mahlen der Steine lautmalerisch hörbar zu machen, Goerne zeigt seine Kunst der Phrasierung. Im folgenden Lied, Wohin?, sind die Wellen des rauschenden Bächleins deutlich zu vernehmen. Mit einem starken Beginn lockt Trifonov in Am Feierabend den Sänger aus der Reserve, Goerne zeigt, dass er durchaus zu kraftvollen Ausbrüchen imstande ist.

Der Neugierige weicht von den Liedern des Zyklus am meisten vom konventionellen Strophenlied ab; das Sinnen des Müllers über die Wörtchen “Ja” und “Nein” ist fast ein Rezitativ, von Goerne nachdenklich gesungen, von Trifonov ganz zart begleitet. In Ungeduld brilliert Goerne mit erstaunlicher Beweglichkeit und feiner Abstufung der Stimme in den vier Strophen, großartig unterstützt von der Klavierbegleitung.

Den Morgengruß singt Goerne sehr langsam und durchgehend piano, Trifonov findet wie immer den echten Schubertton, nachsinnend und klar artikuliert, mit sparsamen Gebrauch des Pedals. Das nächste Lied, Des Müllers Blumen, finde ich in der Fassung für tiefe Stimme etwas problematisch, da die Klavierbegleitung sich durchgehend in der mittleren Lage bewegt, und selbst Trifonov sie nicht zum Leuchten bringen konnte. Im Tränenregen zeigte sich aber gleich wieder, welche Glockentöne er dem Steinway mit seiner unvergleichlichen Anschlagskultur entlocken kann. Eine berückendere Begleitung von Goernes subtilem Gesang kann ich mir kaum vorstellen.

Daniil Trifonov und Matthias Goerne © Caroline Portes de Bon

In folgenden Mein! vermisste ich den Glanz einer Tenorstimme am meisten, auch weil Goerne an den Höhepunkten leichte Intonationsschwierigkeiten hatte. Die selige Ruhe der beiden folgenden Lieder wird jäh unterbrochen durch das Auftauchen des Jägers, der die fragile Welt des Müllers zum Einsturz bringt. Der mächtige stimmliche Ausbruch Goernes war ungeheuer beeindruckend. Das ohne Pause angeschlossene Lied Eifersucht und Stolz zeigt die beginnende, hilflose Verzweiflung des  Müllers, der dann in Die liebe Farbe in tiefe Melancholie versinkt, von Schubert so genial durch die das Lied durchziehende Dur-Moll-Ambiguität versinnbildlicht. Diese setzt sich in Die böse Farbe fort, in der Goerne und Trifonov die Resignation und die Vorbereitung zum Abschiednehmen ganz ergreifend zum Ausdruck brachten.

Den Abschied von der Welt, den Übergang in ein transzendentes Jenseits, hat Schubert in den letzten drei Gedichten des Zyklus unfassbar schön in Musik gesetzt. Wenn in Trockne Blumen die tiefe Trauer unvermittelt in ein zuversichtliches Dur umschlägt, weil der Winter vorbei und der Mai gekommen ist, steigen unweigerlich die Tränen auf. In Der Müller und der Bach, durchgehend im zartesten piano geführt, kann Goerne seine vollendete Legatotechnik entfalten. Des Baches Wiegenlied, dieser sanft versöhnliche Abschluss, wird mit seiner wunderbar vieldeutigen letzten Strophe zu einem erschütternden und doch befreienden Meisterwerk. Der Tod verliert alles Schreckliche; er wird zum Schlaf, in dem man vom Leben, von Freud und Leid für immer ausruhen darf. Das Licht der Erkenntnis leuchtet auf, der Schleier fällt, der Himmel öffnet sich zu einem stillen Nirwana.

Goernes Gesang erreichte dabei eine ruhige Intensität, die tief berührte, und kam – zusammen mit Trifonovs unglaublich subtiler Begleitung – einer idealen Interpretation bemerkenswert nahe. Nach der nochmals langsamer vorgetragenen letzten Strophe verlosch die Musik ins Nichts: ein Moment, den man nicht vergisst.

Nach einer ergriffenen stillen Pause brach heftiger Beifall hervor – der Dank für eine Darbietung, die Schuberts Genie wahrhaft gerecht wurde, und der Sänger und Pianist in gleichem Maße ihre unverkennbare Handschrift verliehen. Man könnte sogar sagen, dass Trifonov mehr als ein kongenialer Partner war: Durch seine erstaunliche Klangkultur hob er Goernes Gesang nochmals in eine höhere Sphäre. Umso größer ist nun meine Vorfreude auf den dritten Abend mit der Sonate D 894 und dem Schwanengesang.

Dr. Rudi Frühwirth, 27. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Matthias Goerne, Bariton, Daniil, Trifonov Klavier Musikverein Wien, Großer Saal, 24. November 2025

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Musikverein Wien, 21. November 2025 

Wiener Philharmoniker, Christian Thielemann Musikverein Wien, Goldener Saal, 2. November 2025

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