© Matthias Creutziger
Opulenter und feierlicher lässt sich ein Weltklasse-Dirigent nicht verabschieden. Am Ende waren selbst Hartgesottene fix und fertig.
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 8 Es-Dur
Camilla Nylund, Sopran
Ricarda Merbeth, Sopran
Regula Mühlemann, Sopran
Štĕpánka Pučálková, Mezzosopran
Christa Mayer, Mezzosopran
David Butt Philip, Tenor
Michael Volle, Bariton
Georg Zeppenfeld, Bass
Sächsische Staatskapelle Dresden
Gustav Mahler Jugendorchester
Christian Thielemann, musikalische Leitung
Chor des Bayerischen Rundfunks (Einstudierung: Peter Dijkstra)
Sächsischer Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: André Kellinghaus)
Kinderchor der Semperoper Dresden (Einstudierung: Claudia Sebastian-Bertsch)
Semperoper, Dresden, 9. Juli 2024
von Kirsten Liese
Strahlend tritt Christian Thielemann, frisch zum Ehrendirigenten der Sächsischen Staatskapelle Dresden gekürt, an seinem allerletzten Abend als Chefdirigent vor sein Orchester. Es ist die pure Freude, die diesen Abend dominiert, unterstrichen von der geballten Energie der ausgewählten Musik.
Was an diesem Abend im Inneren des Dirigenten vor sich gehen mag, der im Laufe von 14 glanzvollen Jahren die Kapelle in den künstlerischen Zenit ihrer Geschichte führte, bis man ihm unter Angabe fadenscheiniger Begründungen den Stuhl vor die Tür stellte, weiß freilich nur er allein. Nach außen gibt er sich versöhnt. Und da Christian Thielemann bereits schon in wenigen Tagen in Berlin mit einem Open Air –Konzert seinen Einstand als neuer Generalmusikdirektor der Berliner Staatskapelle feiern wird – Abschied und Antritt mithin also dicht beieinander liegen – gibt es ohnehin weit mehr Anlass zum Feiern als zu Wehmut.
Ein bisschen ist es wie mit Wagners Ring: Im Ende wohnt der Anfang inne.
Die meisten Werke seiner Hausgötter Wagner und Strauss hat Thielemann mit der „Wunderharfe“ im Laufe seiner glanzvollen Ära erarbeitet, zuletzt in schier überwältigender Produktion Die Frau ohne Schatten, nicht zu vergessen die sinfonischen Zyklen von Beethoven, Brahms, Schumann und Bruckner. Was hätte er dem noch hinzufügen können, sagt er.
Nur Gustav Mahlers Achte, „Sinfonie der Tausend“, die er mit den Münchner Philharmonikern vor vielen Jahren erstmals gebracht hatte, fehlte noch unter den monumentalen sinfonischen Werken und stand vielleicht auch deshalb nun auf dem Programm der großen Abschiedssause.
Ich muss gestehen, dass diese die einzige unter allen Mahler-Sinfonien ist, mit der ich wenig anfangen kann. Insbesondere vom ersten Teil, dem mächtigen Hymnus „Veni, creator spiritus“ („Komm Schöpfer Geist“) fühle ich mich angesichts des permanenten Dauerfortissimos erschlagen. Wer wollte auch erwarten, dass sich im Spitzenregister auf dynamischer Höchststufe noch schöne Töne abliefern lassen? Selbst bei den mit großen, strapazierfähigen Stimmen gesegneten Sängern, die zu diesem feierlichen Ausstand aufgeboten wurden, ging da ohne ein gewisses Forcieren nichts mehr.
Was für ein Segen, wenn nach diesem gewaltigen Opus endlich der zweite Teil mit der Schluss-Szene aus Goethes Faust beginnt, knisternd leise zu Beginn mit Pizzicati in den tiefen Streichern, die atmosphärisch in die geheimnisvolle Wald-Atmosphäre einstimmen, bevor die Musik mit Soli von Holzbläsern allmählich lyrischer wird.
In den folgenden Szenen mit verteilten Rollen offenbart sich endlich, warum dieses Werk den Luxus der prominenten Besetzung lohnt. Als schwebender Pater ecstaticus besingt Michael Volle das Wesen der Liebe in all ihrem Glück und Leid, dem „siedenden Schmerz in der Brust“ und „schäumender Gotteslust“, textverständlich und mit wunderbarer sonorer Tongebung. Und als Pater profundus setzt Georg Zeppenfeld mit denselben Qualitäten die Dichtung fort, in der sich die menschlichen Triebe in der ungestümen Natur widerspiegeln, den fließenden Bächen am Ende des Abgrunds.
Zwischen solchen Soli gehört die Bühne der trefflichen Chor-Phalanx von Bayerischem Rundfunk und Sächsischer Staatsoper sowie dem Kinderchor, der als „Chor seliger Knaben“ passend aus der Höhe vom ersten Rang aus singt. Als Doctor Marianus entzückt sich Tenor David Butt Philip über die Liebe als „höchste Herrscherin der Welt“, der mir hier seitens seiner deutlich schlankeren Stimmführung ohne enges Vibrato deutlich besser gefällt als unlängst im Wiener Lohengrin, wo er den Titelhelden sang.
Als Magna Peccatrix erinnert Camilla Nylund mit ihrem strahlend-schönen sanften Sopran an Christus’ Passion als größter Sünde des Evangeliums. Ricarda Merbeths herberem Sopran bleiben die Zeilen des Gretchens überlassen.
Als dankbare Interpretinnen der tieferen Frauensoli erweisen sich mit ihrem warmen, schlanken schönen Mezzostimmen die Tschechin Štĕpánka Pučálková und die von Christian Thielemann für ihre enorme Vielseitigkeit gerühmte Christa Mayer.
Wo aber bleibt nur die als dritte Sopransolistin angekündigte Regula Mühlemann, die mit allen übrigen gar nicht auf der Bühne der Semperoper in Erscheinung getreten ist?
Ihr ist am Ende ein wahrer Luxus-Auftritt der Mater gloriosa hoch aus einer Loge vorbehalten: „Komm! Hebe dich zu höhern Sphären; Wenn er dich ahnet, folgt er nach“ singt sie, als die Sinfonie schon fast zum Ende gekommen ist. Es sind nur diese beiden Verse, aber die zergehen der wunderbaren Sängerin auf der Zunge, werden für uns Hörende dank der überirdischen Schönheit von Mühlemanns luzidem, engelsgleichen Sopran zu einer wahren Offenbarung.
Und Christian Thielemann? Er meistert die Herausforderungen dieses groß dimensionierten, prallen Monstrums wie es nicht besser geht, organisiert die wahnwitzigen Klangmassen mit unzähligen Mitwirkenden, darunter auch eine Blechbläsertruppe unter dem Dach, hält alles aufs Genaueste zusammen, dynamisiert, gibt der Wucht Raum, exponiert die kurzen kammermusikalischen Gespinste, die unverhofft hier und da aufscheinen, sei es in Gestalt eines virtuosen Bratschen- oder auch Cello-Solos.
Am Ende sind selbst Hartgesottene fix und fertig. Opulenter und feierlicher lässt sich ein Weltklasse-Dirigent nicht verabschieden. Der Beifall will nicht enden, die Zäsur stimmt viele traurig. Und doch mag man den Saal auch mit einer gewissen Vorfreude auf die nun fast nahtlos beginnende neue Ära in Berlin verlassen.
In wenigen Tagen dirigiert Thielemann bereits Strauss’ Alpensinfonie vor einem noch größeren Publikum unter freiem Himmel auf dem Bebelplatz. Und das Beste daran: Der Eintritt ist sogar frei.
Kirsten Liese, 11. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at