Der in Hamburg lebende Journalist und Publizist Harald N. Stazol liebt klassische Musik, Oper und Ballett. Er ist seit 2019 Autor für klassik-begeistert.de. Harald ist wie der Herausgeber Absolvent der Henri-Nannen-Schule (Journalistenschule mit Sitz in Hamburg). Beide waren zudem Kollegen beim Magazin STERN. Hier Haralds Bericht vom 18. März 2020.
Noch am Freitag, 20. März 2020, war es in der zweitgrößten deutschen Stadt mit mindestens 2 Millionen Bewohnern möglich, in Cafés die Zeit zu verbringen. Der Herausgeber, gebürtiger Hamburger, war so entsetzt über diesen Missstand, dass er am Donnerstag einen Aufruf an die beiden Hamburger BürgermeisterInnen geschrieben hatte. Dr. Peter Tschentscher (54, SPD), der 1. Bürgermeister, ist Mediziner…. Hamburgs Erster Mann war 2008 bis zu seiner Berufung als Senator im März 2011 Oberarzt im Zentrum für Diagnostik des renommierten Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die grüne Katharina Fegebank (43) ist Politologin, Anglizistin und Master of European Studies.
Am heutigen Samstag meldet DIE ZEIT Elbvertiefung: „Zur Eindämmung des Coronavirus ordnet der Hamburger Senat die Schließung aller Restaurants an. Ausnahmen gelten für Lieferdienste und Abholangebote. Darüber hinaus sind Ansammlungen von mehr als sechs Personen künftig untersagt. ‚Das gilt natürlich nicht für Familien‘, sagte Tschentscher. ‚Wir wollen niemanden einsperren. Gleichwohl wollen wir sicherstellen, dass wir im öffentlichen Raum Kontakte vermeiden.'“
von Harald N. Stazol
Noch steht das Tor zur Welt weit offen. Es sind Szenen entzückender Sorglosigkeit zu entdecken, an den beiden Alstern, über die der stillgelegte, schneeweiße Fernsehturm einen mahnenden Zeigefinger über die Stadt hält, die ein wenig außer Atem ist, aber sehr gelassen, höflich und distanziert, eben den Umständen entsprechend, den besonderen.
Es gibt in den Bussen kleine Menuette, man kreist umeinander, um die anderthalb Meter einzuhalten, eigentlich fährt der HVV jetzt umsonst, was gut ist für Menschen in Not – wir aber zahlen an den Automaten wacker weiter und halten das Ticket in die Höhe, wenn der Bus ankommt. Hut Falckenhagen in der feinen Innenstadt hat schon zugemacht, mein Juwelier hat noch auf und kauft Gold zu Höchstpreisen – zehn Plomben habe ich ja noch im Mund – soweit wird es aber nicht kommen.
Ich begleiche einige Rechnungen und fahre zu Edeka Boldt in Hoheluft, wo sie einen Korb haben, den ich zärtlich die „Ablaufecke“ nenne: Joghurte, Käse, Koteletts, Heringshäppchen, kalter Espresso, zu 99 Cent oder auch mal 2 Euro. Bei Niemerzein in Rotherbaum kann man für 2 Euro die Restscheiben des tollsten Aufschnittes genießen. Die tapferen Frauen bei Budnikowsky raten: „Nimm lieber noch nen Wein mehr mit, mien Jong!“ – und der neue Hamburger Abschiedsgruß ist: „Bleiben sie gesund!“
Hier bei mir, ein Haus weiter, stehen der Manager mit 12jähriger Tochter und Frau unter Quarantäne, sie waren beim Skifahren in Österreich. Ihre Rolläden sind hinabgelassen, ich biete ihnen meine DVD-Sammlung an, aber man streamt ja nur noch. Ich glaube noch an Hardware. Kerzen habe ich mir mitbringen lassen von Vanessa, ich höre zufällig, dass Budni erst am Montag wieder beliefert wird, da geht sie noch mal los.
Das feinste Fitnessstudio der Stadt, „Aspiria“, ein elegant-weißer Klotz in Winterhude, hat dicht – Jan, Vincents Vater, hat sich ein Rudergerät im Wohnzimmer aufstellen lassen, kein Witz!
Noch schnell zu Aldi geradelt, stiller, großer Andrang, die Brotregale sind leer, aber Fleisch gibt es noch – am Bemerkenswertesten allerdings, wie ruhig und respektvoll man sich wiederum nach vorne lässt oder am Laufband hilft. Eine ältere Dame, „Ich bin Jahrgang ´48, wissen Sie?“, man habe sich ja am Siemersplatz schon gesehen, nun wollen wir uns anlächeln, wenn ich mit meinem jetzt so krisensicheren Fahrrad die letzten Besorgungen mache.
Eine andere schiebt ihren Einkaufswagen vorsichtig, die Hände in Cellophan-Handschuhen. An der Apotheke steht, bei Symptomen werde man nach Klingel am Notfallschalter bedient, es gebe weder Mundschutz noch Desinfektionsmittel, man könne auch nicht mehr bestellen.
Ein, zwei Freunde habe ich gestern noch besucht, man weiß ja nicht, wann die nächste Gelegenheit kommt. Vielleicht gehe ich ja nachher nochmal an die Landungsbrücken. Nochmal Ahoi! sagen.
Harald N. Stazol, 19. März 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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