Wild! Beißend aktuell! Gut! Henzes „Die Englische Katze“ in München

Hans Werner Henze, Die Englische Katze  Cuvilliés-Theater, München, 5. November 2025

Orchester und Ensemble beim Schlussapplaus mit der Dirigentin in schwarz in der Mitte © G. Schied

Henzes Die Englische Katze in München ist ein gesellschaftlich relevanter Beitrag. Ich fühle mich ertappt und aufgefordert. Musikalisch sowohl im Graben als auch auf der Bühne erlebe ich mich treffende Musik von hoher Qualität. Beißend aktuell erzielt der Abend in mir Wirkungstreffer! Magengrube out. Herz und Ohr entflammt. Bitte rein ins Repertoire!

Die Englische Katze
Eine Geschichte für Sänger und Instrumentalisten in zwei Akten (1983)
Komponist Hans Werner Henze

Libretto von Edward Bond, Deutsche Fassung: Ken Bartlett

Musikalische Leitung: Katharina Wincor
Bayerisches Staatsorchester

Inszenierung: Christiane Lutz
Bühne: Christian Andre Tabakoff
Kostüme: Dorothee Joisten
Licht: Benedikt Zehm
Dramaturgie: Olaf Roth

Cuvilliés-Theater, München, 5. November 2025

von Frank Heublein

An diesem Abend führt das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper die erste Premiere der Spielzeit auf mit Hans Werner Henzes Oper Die Englische Katze im Cuvilliés-Theater in München. Die Oper wurde in Schwetzingen 1983 uraufgeführt.

Menschen spielen und singen Katzen, die – bis auf Minette – moralisch verkommene üble Menschenangewohnheiten „auszeichnen“. Ich denke mir: so sieht das gerade aus bei uns auf der Welt. Das komödiantische satirische Drama legt wirkungsvoll menschliche Schattenseiten offen. Zitat gefällig? „Es zeigte sich, dass alle Peitschen so verbraucht waren, dass sie zum Totschlagen / nicht mehr reichten.“

Fulminant sind die Ensembleszenen. Denn die sind musikalisch ein kakophonisches Abdriften, die Einzelstimmen singen übereinander, durcheinander, ohne Rücksicht aufeinander. So zeigt der musikalische Ansatz, wie es um die vorgestellte Katzengesellschaft steht. Keiner hört zu, alle posaunen raus. Als beobachtender Zuhörer habe ich keine Chance, den gesungenen Text aufzunehmen. Ich werde überströmt vom Gesang und Musik, die oftmals im Marsch und atemlosem Tempo über mich hinwegfegt. Ich werde Teil des Stücks insofern, als das dieser Eindruck identisch zu meiner Wahrnehmung der globalen Wirklichkeit ist: ich habe vermeintlich nichts entgegenzusetzen.

Im dunklen Saal auf meinen Stuhl gebannt rauscht das Weltschlechte auf mich zu. Zwischendrin gibt mir Henze musikalisch Hoffnung. Etwa mit einer Pause, einem Piano, dem unmittelbar anschließenden gemächlichen Tonalen, dem wohligen Walzer.

Die Englische Katze, Ensemble © G. Schied

Im zweiten Akt wird es offensichtlicher lustig: der offene Schnürsenkel ist ein Zeichen Gottes. Schwarzkomisch: die Katzengesellschaft lauscht in Truppenstärke an der Tür Minettes, um ihren vermeintlichen Betrug aufzudecken. Skrupellos gemein: Lord Puff tut alles, um an die Kohle Toms alias Lord Fairports zu gelangen, Ermordung inklusive. Die komische Oper endet im Drama. Tom hat ein Express-Fahrstuhl-Schicksal. Von unten noch tiefer nach ganz oben und zack! wird er gemeuchelt. Die reine Minette, die einzige ehrbar moralisch ehrlich Agierende, kommt unter die rechtlichen Räder, quasi Kollateralschaden der Gier. Minette, die Reine, stirbt und keinen juckt es.

Fies entlarvend ist der Sangestext des Richters: „Doch unter meinem Vorsitz gibt’s keine / Befangenheit in einem Streit / ’s ist schon wahr, von Haus aus da fühle ich für eine Seite / mehr Sympathie. / Denn wir teilen die gleichen Prozente und Börsenpapier / In den gleichen Fabriken und Docks / Sprechen die gleichen Gebete auch / Flehn zu Gott, dass er unseren Anteil vermehrt“. Hans Werner Henzes Musik kontrastiert und bricht den Librettotext ironisch. In der Musik liegt Widerstand, Freiheit, chaotische Kraft, die sich dem textlichen moralischen Elend entgegenstellt. Musikalische Attacke bläst Henze zur Scheidungsszene. Eine Musikwolke, aus der ein Walzertakt entspringt. Jaulende Zupfer aller Streichinstrumente, wenn es mit Tom zu Ende geht.

Die Englische Katze, Ensemble © G. Schied

In moralisch empathischer Hinsicht sind Tom und Babette, die Schwester Minettes, keinen Deut besser als Lord Puff und seine schmierigen Vasallen. Im musikalischen Triostück von Babette, Minette und Tom nimmt Henze das Orchester zurück, die Stimmen dominieren. Letzterer stellt fest: Minette stirbt. Oha! Die Schwester sieht ihr ähnlich. Liebe ich halt Babette. Von Minette wird schnell vor dem Ableben ihr OK abgerufen. Babette sinkt liebend in Toms Arme. Ich wandele im Geiste Leonard Cohen ab: Lover, lover, lover don’t come back to me. Kann es sein, dass der Tod besser ist als diese Mitkatzen? Ja, kann.

Sopran Seonwoo Lee singt die Minette. Sie hat die schwerste Partie des Abends. Ihre Arie im ersten Akt ist voller Oktavsprünge. Das Lamento Solo singt sie im zweiten Akt voller Inbrunst und Verzehrung und nur scheinbar entspannt hochkonzentriert nimmt sie die anspruchsvollen Koloraturen mit Bravour. In ihrer Sterbeszene lässt sie stimmlich leuchtend hell ein letztes Mal ihre edle Anständigkeit aufscheinen. Orchestriert in einem Gegensatz von dunklem Xylophon- und Streicherklang.

Die Englische Katze Minette – Seonwoo Lee und Tom – Armand Rabot © G. Schied

Bass Armand Rabot gibt seinem Tom starke energetische Präsenz und Dynamik. Wenn er singt, ist er und damit ich ganz im Moment und zuweilen in einem glücklichen dazu. Gerade als Lord Fairpoint erkannt auf seinem persönlichen Höhepunkt, singt er „Fortuna aber nährt den nicht / Der arm mit seinen Sorgen ringt / Doch den der Silberlöffel bringt“. Für die Reichen gibt’s das „Glück“ oben drauf. All seine angeblichen Vergehen werden zu Bagatellen abgetan, siehe oben die richterliche „gleiche Prozente“ Einstellung.

Tenor Michael Butler singt den Lord Puff entschlossen, snobistisch, hochnäsig, der Rolle entsprechend dünkelhaft von oben herab. Ekelig gut. Für ihn Skrupellosen zählt allein das Geld. Kennzeichnend und beängstigend aktuell: „Wer Rechtes will, darf dabei auch / Ein wenig Unrecht tun / Wie sonst könnt’ Gutes siegen / Wo doch die Bösen niemals ruhn?“. Die Frage bohrt sich in mich ein: will ich in einer solchen Welt leben oder dagegen ankämpfen? Aber wie?

Dirigentin Katharina Wincor steht erstmals am Pult bei der Bayerischen Staatsoper und ich hoffe auf viele weitere Male, denn: sie hält famos die Spannung im Orchestergraben und darüber hinaus. Üppig, kakophon, abrupt ins sanft Tonale übergehend. Das Schlagwerk trennt viele Szenen und sorgt zuweilen für Jahrmarktsfeeling. Bei der Hochzeitsszene am Ende des ersten Aktes geht es Schrammelschräg in Walzerklang über. Henzes Musik ist zu jedem Zeitpunkt für eine Überraschung gut. Ich halte meine Ohren jederzeit gespitzt. Abwechslungsreich quillt der orchestrale Ton stets brillant aus den kleine-Cuvilliés-Graben-Nähten. So viele Musiker habe ich in diesem Graben selten gesehen. Bis an die zum Zuschauerraum offenen Seitenrändern sind sie platziert. Zudem sind in den beiden vordersten Parkettlogen Teile des umfangreichen Schlagwerks platziert. Im Graben sind neben Streichern, Blech- und Holzbläsern Flügel, Celesta, Hausorgel und ein Schlagwerkteil vertreten, auf der rechten Graben-Außenbahn steht eine Zither.

Christiane Lutz’ Inszenierung entwickelt Raumkonzepte, die in der Dynamik der Handlung funktionieren. Ich darf und kann mich auf musikalische Wucht die Gegensätze konzentrieren, die Henze musikalisch zwischen Gesang und Orchester aufbaut. Die Inszenierung funktioniert für mich. Froh bin ich, dass bei den Kostümen auf Katzisierung verzichtet wird. Zu stark ist Webbers Cats da in mir drin, Henzes Englische Katze ist so viel schärfer, da wirkte Katzengeschminke auf mich wie Kleister. Ein Amuse-Gueule gibt es beim Schlussapplaus. Paarweise wird rumgekatzt beim zweiten Vorhang.

Henzes Die Englische Katze in München ist ein gesellschaftlich relevanter Beitrag. Ich fühle mich ertappt und aufgefordert. Musikalisch sowohl im Graben als auch auf der Bühne erlebe ich treffende Musik von hoher Qualität. Beißend aktuell erzielt der Abend in mir Wirkungstreffer! Magengrube out. Herz und Ohr entflammt. Bitte rein ins Repertoire!

Frank Heublein, 6. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung

Lord Puff   Michael Butler
Arnold   Daniel Vening
Mr. Jones / Der Richter / Mr. Fawn   Zhe Liu
Tom   Armand Rabot
Peter   Samuel Stopford
Mr. Keen / Der Verteidiger / Der Pfarrer   Dafydd Jones
Minette    Seonwoo Lee
Babette   Lucy Altus
Louise   Iana Aivazian
Miss Crisp   Elene Gvritishvili
Mrs. Gomfit   Nontobeko Bhengu
Lady Toodle   Jess Dandy
Mr. Plunkett / Der Staatsanwalt   Bruno Khouri
Betty, eine Geschworene   Meg Brilleslyper

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