Foto: Dr. Petra Spelzhaus (Trompete) und Barbara Hauter (Kontrabass)
von Barbara Hauter
Meine Liebe zur Musik ist eine Tragikomödie.
Warum nur musste ich mir ausgerechnet den Kontrabass als Instrument aussuchen? Ich messe ganze ein Meter sechzig, mein Tieftöner überragt mich um glatte zwanzig Zentimeter. Wenn ich damit zweiwöchentlich quer durch München zu meinem Bassmeister reise, habe ich alle Lacher auf meiner Seite. Ich wuchte mir meinen Attila (so heißt der Gute) auf den Rücken, von hinten sieht man ein blau verpacktes Monstrum und zwei Füßchen – nämlich meine – herausragen. So wanke ich zur Tram.
Zwanzig Minuten dauert die Fahrt zum Hauptbahnhof, so lange kann ich mit Attila auf dem Rücken nicht stehen und die Bremsmanöver der Tramfahrer ausgleichen, der Beste ist keine Blockflöte. Also muss der Bass auf den Boden, blockiert damit eben mal drei Sitzreihen. Als zusätzliche Fitnessübung habe ich auch noch Drops dabei. Meine 13-jährige Havaneserdame. Sie bleibt nicht mehr allein, muss also mit zum Unterricht. Ihre rosa Hundeleine verwickelt sich regelmäßig in den Bass-Stachel und wir drei – Attila, der Hund und ich – drehen uns tanzend im Kreis, um wieder frei zu kommen.
Im Hauptbahnhof wartet die nächste Herausforderung: die Rolltreppe. Anders kommt man nicht zur U-Bahn. Erst einmal muss der Hund auf den Arm. Mit Bass bücken und wieder aufrichten ist ein gutes Kraft- und Gleichgewichtstraining. Wenn ich dann auf die metallernen Treppenstufen trete, sie sich entfalten und mich zwei Etagen tiefer tragen sollen, bleibt der Bass auf der höheren Stufe hängen und schubst mich mitsamt Drops unsanft in die Tiefe. Kein Wunder also, dass ich erschöpft beim Unterricht ankomme und die Noten vor meinen Augen tanzen. Zumindest rede ich mir ein, dass mein – vom Lehrer deutlich kritisiertes – langsames Lerntempo daher rührt. Und nicht etwa von zu wenig üben.
Wie immer bei scheinbar unsinnigen Entscheidungen hat es etwas mit Liebe zu tun oder besser damit, einen potentiellen Partner beeindrucken zu wollen. Meine Herzallerliebste hatte sich einen Bassmann an ihrer Seite gewünscht. Mann zu werden entspricht nicht meinen Neigungen, aber Bass – der müsste sich doch erlernen lassen. So dachte ich zumindest. Zudem fand ich das wuchtige Streichinstrument rein körperlich sehr attraktiv, seinen satten Klang seelenerwärmend. Bassisten – zumindest die in Jazzbands – sind zudem die coolen Hutträger im Hintergrund.
Eine knall-orangene Kopfbedeckung besitze ich inzwischen. Doch mit dem lässigen Rumhängen in Jazzkombos hapert es noch. Langsam begreife ich, dass der Bass in der Band nicht nur Background-Deko ist. Der Tieftöner gibt den Ton an: die Tonart, den Rhythmus, das Tempo. Alle anderen Bandmitglieder hängen an seinem Tropf. Verspielen ist nicht. Und: Der Bass tönt immer, es gibt keine Pause für ihn. Während Trompete und Saxophon an der Bühnenrampe stehen und entspannt auf ihre Einsätze warten, ackert die Bassistin durch. Nonstop. Das ist mächtig anstrengend.
Aber so ist es mit der Liebe: Wo sie hinfällt, da gedeiht sie, wenn man sie ein wenig pflegt. Die Pflege ist unser sonntägliches Zusammenspiel. Die beste Lebensgefährtin von allen improvisiert auf ihrer güldenen Trompete zu meinen einfachen Basslinien von „Blue Bossa“ oder „Autumn Leaves“. Im Zusammenspiel entsteht etwas Neues, ein Sound zum Hineinkuscheln – und ein Gemeinschaftserlebnis. Unsere Herzschläge synchronisieren sich. Ich fühle mich wohlig warm. So müssen schon die ersten Menschen empfunden haben, die gemeinsam gesungen und getrommelt haben. Ich bin beglückt. Mehr davon bitte. Doch davor hat der Herr das Üben gesetzt. Ich werde also auch nächsten Montag Attila auf meinen Rücken schnallen und die München-Tour mit ihm machen. Es lohnt sich.
Barbara Hauter, 17. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Barbara Hauter, Jahrgang 1964, wohnhaft in München, ist eine Vollblut-Journalistin. Getreu ihrem Motto „Ein Journalist kann über alles schreiben“ schloss sie drei Magisterstudiengänge ab. Sie verdiente sich ihre Sporen in der Tagespresse, Funk und Fernsehen, schrieb in Magazinen über Tauchen, Fotografie oder Medizinthemen. Ihre Tätigkeit als Chefredakteurin der Zeitschrift „Das Tier“ stellte einen vorläufigen Höhepunkt dar. Und doch war alles nur das Vorspiel für ihr Engagement als Autorin beim Blog „Klassik begeistert“. Die spätberufene Kontrabassistin sieht sich in ihren Rezensionen des Musiktheaters und Balletts als Stimme des Volkes. In der jeden zweiten Donnerstag erscheinenden Kolumne „Hauters Hauspost“ erfreut sie die Leserschaft gerne mit Episoden über ihre ambivalente Liebe zur Musik.