Bryn „Teufelskerl“ Terfel rockt die Elbphilharmonie

Hector Berlioz, La damnation de Faust, Sir Bryn Terfel, Malmö Symfoniorkester,  Elbphilharmonie Hamburg

Foto: Adam Barker (c)
Elbphilharmonie Hamburg
, 5. Juni 2018
Hector Berlioz, La damnation de Faust
Malmö Symfoniorkester
MDR Rundfunkchor Leipzig
Marc Soustrot
, Dirigent
Denis Comtet, Chorleitung
Sir Bryn Terfel, Méphistophélès
Sophie Koch, Marguerite
Paul Groves, Faust
Edwin Crossley-Mercer, Brander

von Sebastian Koik

In Goethes Faust erschaudert Gretchen in der Anwesenheit Mephistos. Wenn Gretchen bei Mephistos Auftritt glücklich lächelt, dann wird dieser Mephisto wahrscheinlich von Bryn Terfel dargestellt, wie am 5. Juni 2018 im Großen Saal der Elbphilharmonie.

Und: Wenn der Teufel oder das Böse solch’ gutes Personal hätte, hätte unsere Welt keine Chance! Glücklicherweise ist dieser Mephisto nur gespielt. Ja, Bösewichte spielt er besonders gern, der Sir Bryn Terfel!

Bryn Terfel ist der Mittelpunkt dieser konzertanten Aufführung der Berlioz-Oper „Fausts Verdammnis“. Er singt und spielt unglaublich lebendig, mit viel Charakter und reichem Ausdruck. Besser als er das an diesem Abend in Hamburg tut, kann man diese Rolle nicht singen und spielen! Das ist perfekt! Ganz groß! Weltklasse, die begeistert! Bryn Terfel singt mit viel Schmelz in seiner großen Stimme und meistert jeden Moment des Abends grandios gut. Sein Gesang ist nicht nur in jeder Situation und im gesamten Tonhöhen-Spektrum seiner Stimme höchst souverän, sondern klingt dabei wunderbar natürlich und authentisch.

Es ist enorm beeindruckend, wie dieser walisische Bassbariton von einem Moment zum nächsten aus schönsten Tiefen in feinste Höhen wechseln kann. Der Atem dieses Mephistopheles ist scheinbar ewig lang. Auch die Bühnenpräsenz des Sir Terfel fasziniert. Ständig schaut er hellwach und diabolisch. Diabolischer geht es nicht. Dabei erinnert er stark an einen der besten Schauspieler überhaupt und dem Meister in dieser Disziplin: An Jack Nicholson in seinen Wahnsinns-Rollen wie „Shining“ und „Einer flog übers Kuckucksnest“. Es ist ein ganz, ganz großes Vergnügen Terfel bei der Arbeit zu erleben!!

Zweites Highlight des Abends neben Terfel ist der wunderbare MDR Rundfunkchor Leipzig. Er kann wunderbar sanft, aber auch mächtig massiv klingen. Es gibt prächtige Tiefen beim Männerchor zu hören, herrlich klangschön, cremig und dicht. Nur bei seinem ersten Auftritt zu Beginn, in einer sehr schnellen und wirklich äußerst schwierigen Passage, fehlt es dem MDR Rundfunkchor etwas an Präzision, scheint er nicht ganz mit dem rasenden Tempo mitzukommen. Bei einigen wenigen sehr hohen Tönen klingen die Damen auch ganz leicht zittrig.

Doch das ist Kritik auf sehr hohem Niveau. Bis auf diese zwei winzigen Makel singt der Chor über den ganzen Abend sehr präzise und beglückt auch anspruchsvollste Zuhörer. Engelsgleich singt der Chor ganz zum Ende, wenn Gretchen in den Himmel erhoben wird. Himmlisch! Ganz genau so klingt es in Berlioz’ starker Komposition, dargeboten von den wunderbaren Leipzigern. Hier herrschen Licht, Ruhe und Frieden. Es ist eine wunderbarer Auftritt des MDR Rundfunkchors Leipzig.

Wie der an diesem Abend alles überstrahlende Terfel hat auch die Französin Sophie Koch eine sehr präsente Stimme und langen Atem. Am schönsten klingt sie in den sehr kräftigen, dichten und intensiven Höhen, die das Publikum erobern. In der mittleren und tieferen Lage wackelt sie gelegentlich etwas, doch die Mezzosopranistin macht ihre Sache insgesamt sehr gut.

Paul Groves als Titelfigur Faust macht an diesem Abend keine glückliche Figur. Nicht nur, dass er vom beeindruckenden Sir Bryn Terfel an die Wand gesungen und gespielt wird. Denn das dürfte vielen von Terfels Bühnenpartnern passieren. Auch unabhängig davon vermag er bei diesem Auftritt nicht zu überzeugen. Er trifft in den Höhen viele Töne nicht oder drückt sich von vornherein darum und singt vieles einfach tiefer. Aber nicht nur die Höhen, auch die Tiefen wirken bei Paul Groves beschnitten. Seine Gesangsdarbietung findet sehr gleichförmig und monoton in einem beschränkten Mittelbereich statt. Man vermisst sängerische Darstellung in der Wiedergabe seiner Noten und im Ausdruck. Es fehlt ihm nicht nur an korrekter Präsentation der ihm von Berlioz zugedachten Musik, sondern auch etwas an Glaubwürdigkeit in der Verkörperung seiner Gesangsrolle. Darstellerische Beweglichkeit in der Stimme fehlt dem Amerikaner bei diesem Auftritt sowieso.

Die kleine vierte Solistenrolle des Brander wird von Edwin Crossley-Mercer verkörpert. Seinem Bass fehlt es an diesem Abend leider etwas an Souveränität und Natürlichkeit. Er ist ein Bass ohne Raffinesse und ohne Autorität.

Das Malmö Symfoniorkester unter Marc Soustrot gehört sicher nicht zu den beeindruckendsten Gastorchestern, die bisher in der Elbphilharmonie aufgetreten sind. Vermag es auch mit keinem der drei großen Hamburger Orchester mitzuhalten, so ist die Leistung insgesamt doch sehr, sehr ordentlich. Der Spannungsbogen hält von Anfang bis Ende, nie wird es langweilig, nie verliert das Orchester seine Zuhörer. Die Dynamik ist stark. Das Orchester glänzt mit plötzlichen und sehr heftigen Ausbrüchen in Lautstärke und Intensität.

Und das Orchester steigert sich im Verlauf des Abends. Wunderschön, wie die Oboe und die Streicher zu Beginn des vierten Teils Frieden verströmen und wie herrlich zart das Orchester phasenweise musiziert. Ganz stark ist es, wie die Streicher am Ende einen hochpräzis-schnellen und mitreißenden Rhythmus vorgeben, der Faust spürbar fortreißt und in die Hölle trägt.

Überhaupt präsentieren sich die Streicher an diesem Abend als die stärkste Fraktion des Orchesters. Schön zeigt sich auch die Tuba-Posaunen-Abteilung. Sehr enttäuschend sind das träge und unentschlossene Becken, leider auch in renommierteren Orchestern oft eine Schwachstelle, und die häufiger unsauberen oder in den Fanfaren müden Hörner und Trompeten. Auch die Flöten könnten oft frischer und spritziger klingen. Immer wieder entzücken allerdings die Streicher mit knackig-präzisem Spiel voller Klangschönheit und Dramatik. Als regelmäßiger Elbphilharmonie-Besucher ist man ja auch schon sehr verwöhnt. Insgesamt ist das schon sehr solide, was das Malmö Symfoniorkester unter dem Franzosen Marc Soustrot hier zeigt.

Zu einem unvergesslichen Highlight in der langen Reihe musikalischer Höhepunkte der Extraklasse in diesem Musiktempel allerersten Ranges wird an diesem Abend der beglückend diabolische Auftritt des Sir Bryn Terfel. Ein Waliser entschied das diesjährige Champions-League-Finale und ein Waliser macht auch diesen Elbphilharmonie-Abend groß. Ob in der Elbphilharmonie oder vielleicht sogar auf der Bühne der Staatsoper Hamburg: Es wäre sehr schön, wenn man diesen begnadeten Vollblut-Sänger bald wieder in Hamburg erleben dürfte.

Sebastian Koik, 6. Juni 2018,
für klassik-begeistert.de

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