Herbert hört hin 2: Das hohe Niveau des Wiener Opernorchesters sollte wieder erreicht werden!

Herbert hört hin 2  klassik-begeistert.de, 30. Jänner 2025

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Irgendwie hat mir die gesanglich exzellente Aufführung von Mascagnis „Cavalleria“ und Leoncavallos „Bajazzo“ die Augen – und vor allem die Ohren – geöffnet.

von Herbert Hiess

Am Pult der Aufführung stand Nicola Luisotti, der erste Gastdirigent des Teatro Real in Madrid (Francesco Cilea, Adriana Lecouvreur Teatro Real, Madrid, 23. September 2024 – Klassik begeistert).

Die „Opernzwillinge“ in der phantastischen Regie Jean Pierre Ponnelles (Cavalleria rusticana/Pagliacci, Wiener Staatsoper, 22. Jänner 2025 – Klassik begeistert) wurden offenbar ganz ohne Proben aufgeführt bzw. mangelhaft einstudiert. In dieser letzten Aufführung der Serie gaben es viel zu viele Unsauberkeiten; ja fast „Schmisse“, die dann doch einige Fragen aufwerfen.

Wien rühmt sich nicht zu Unrecht, das „beste Opernorchester der Welt“ zu haben. Nun ist das Wiener Opernorchester so quasi die Urmutter der Wiener Philharmoniker. Und damit hat das Orchester einen gewaltigen Ruf zu verteidigen. Die Musiker sind (oder waren) es gewohnt, mit den besten und berühmtesten Dirigenten zusammen zu arbeiten.

Am Abend des 22. Jänner 2025 jedoch hatte man das Gefühl, bei den Damen und Herren Musikern eine unstudierte „Substitutenpartie“ (Anm.: Substituten ist in der Musikersprache sozusagen Ersatzpersonal) zu hören.

Cavalleria rusticana © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Offenbar waren die Musiker unzulänglich einstudiert und/oder nicht einwandfrei dirigiert – auf alle Fälle gab es, wie im Review schon zu lesen, viele Unsauberkeiten bzw. tatsächlich rhythmische und/oder spieltechnische Fehler. Dass  beide Opern noch dazu dann spannungslos und langweilig waren, steht auf einem anderen Blatt.
Nicola Luisotti hatte an diesem Abend eine unpräzise Schlagtechnik, wie man während der Aufführung beobachten musste.

So stellt sich nun die Frage, welchen Stellenwert das Orchester im Haus tatsächlich hat. Diese beiden italienischen Opern sind einerseits Repertoirewerke und andererseits rhythmisch und interpretatorisch enorm schwierig; sie stellen Dirigent und Musiker vor höchste Anforderungen.

So hätte man dem Ensemble ausreichend Proben gewähren müssen, um den hohen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden – noch dazu wo für die Karten Höchstpreise verlangt wurden.

Früher waren Herbert von Karajan und Karl Böhm Direktoren der Oper; in den 80ern kam dann die goldene Ära mit Lorin Maazel zustande und später dann die Direktion mit Claudio Abbado.

Vor allem unter Maazel war das Orchester auf einem bis heute unvergleichlichen Niveau; da gab es Aufführungen, von denen man heute noch redet. Maazel hatte einen ungeheuren Anspruch an die Musiker, die er mit straffen Probenplänen umsetzte. Da gab es vor Premieren sogar Proben für „Orchester A + Orchester B“, was bedeutet, dass auch Musiker, die in Folgeaufführungen auftraten, auf dem gleichen Niveau spielen konnten.

Auch unter Claudio Abbado wurde das Orchester sehr gefordert; konnte jedoch nicht am Erfolg der Ära Maazel anknüpfen.

Und danach begann eigentlich die „dirigentische Wüste“. Ioan Holender, ein Machtmensch durch und durch, war 18 Jahre von 1992 bis 2010 Wiener Operndirektor und führte zunehmend das Opernhaus auf ein Mittelmaß.

Natürlich gab es immer wieder positive Aufführungen – das generelle Niveau war jedoch leider nicht mehr entsprechend. Dann merkte Holender selbst die allgemeine Unzufriedenheit und ernannte von 2002 bis 2010
Seiji Ozawa zum Musikdirektor der Wiener Staatsoper. Der japanische Dirigent, der leider 2024 verstorben ist, war ein freundlicher und hervorragender Musiker – aber nicht DER Operndirigent per se. Die meisten seiner Produktionen wurden mehr oder weniger freundlich beklatscht; Ausnahmen waren die herausragenden Aufführungen der Tschaikowsky-Opern „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“.

Bogdan Roščić  © Lalo Jodlbauer

Nach Holender kam Dominique Meyer ans Ruder und dann als politischer „Zaubertrick“ Bogdan Roščić, der überraschenderweise seine Sache gar nicht so schlecht macht. Nun hat er geradezu das Glück, durch den Abgang aus Dresden Christian Thielemann fürs Haus zu gewinnen. Interessant wird auch das erstmalige Auftreten des vielversprechenden nordossetischen Dirigenten Tugan Sokhiev, der das Orchester sicher ordentlich fordern wird.

Ansonsten wird es schwierig, ordentliche Dirigenten zu finden. Es gibt  noch ein paar interessante Namen wie Riccardo Chailly, Semyon Bychkov, Jakub Hrůša und andere.

Und natürlich sollen auch jüngere Maestri gefördert werden; nur müssen die tatsächlich dem hohen Niveau des Hauses (und des Orchesters) gerecht werden.

Und auch die Spielenden im Orchestergraben müssen ordentlich einstudiert werden; es ist nicht selbstredend, dass ein lange nicht mehr gespieltes Werk wie „Cavalleria“ und „Bajazzo“ so einfach gespielt wird. Da muss ein hervorragender Dirigent sauber einstudieren – solche Unsauberkeiten und Fehler (wie z.B. beim Eingangschor der „Cavalleria“) dürfen einfach nicht passieren.

Wie oben gesagt, das Orchester (und letztlich auch das Haus) haben einen Ruf zu verteidigen.

Und rückblickend an viele Sternstunden – DAS Niveau sollte wieder erreicht werden!

HH hört weiter.

Herbert Hiess, 30. Jänner 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

KW Herbert hört 1 klassik-begeistert.de, 6. Januar 2025

5 Gedanken zu „Herbert hört hin 2
klassik-begeistert.de, 30. Jänner 2025“

  1. Großen Teilen Ihrer Ausführungen kann, ja muss ich zustimmen.
    Wie viel das Orchester und der Chor für die Cav/Pag-Serie geprobt haben, kann ich nicht sagen. Wohl aber bin ich darüber informiert, dass in oft unverantwortlicher Quote Substitute im Orchester sitzen. Nichts gegen externe Musiker, diese sind bestimmt qualifiziert, doch ein Orchester ist ein Organismus, dem man nicht beliebig „fremde“ Teile einpflanzen kann.
    Wo ist also das Problem? Es sind nach meinem Dafürhalten die Wiener Philharmoniker, die wohl schalten und walten dürfen, wie es für den Verein passt. Musikdirektoren werden vergrault, Tourneen während der Spielzeit anberaumt und für das jährliche Gelddruck-Event Neujahrskonzert die Dirigenten längst nach Klassik-Marktwert anstatt der Fähigkeit für das Genre ausgesucht.
    Ich fürchte, die Staatsopern-Intendanz ist da, wenn schon nicht machtlos so doch bescheiden einflussreich.
    Zudem hat die WSO während Cav/Pag die Neuproduktion er Zauberflöte erarbeitet und die neue Norma steht auch vor der Tür.
    Vielleicht ist es angebracht, den Blick zurück nicht zu sehr verklärend zu tun, denn die genannten Dirigenten waren auch nicht jeden Abend im Haus; da gab es ganz bestimmt auch mittelmäßige bis schlechte Orchesterleistung. Es wird immer von den Gastdirigaten von Thielemann geschwärmt; sind da die Original-Musiker auf einmal da oder führt Thielemann das Orchester so gut?
    Übrigens; die zweite Serie der Zauberflöte dirigiert Ádám Fischer; da darf mit erfreulichem Musizieren gerechnet werden.

    W. Becker

    1. Was sie zusammenschreiben ist schon wieder fast lustig!!! Substituten im Orchester hat es immer gegeben, ebenso Gastspiele und auch Premieren, auch mittelmäßige bis mäßige Dirigenten, jedoch war man meist bemüht, bei Aufführungen, deren Besetzung am Papier zumindest großartig klangen, einen entsprechenden Dirigenten zu finden! Das war diesmal leider nicht der Fall und dann kam dazu, dass die Aufführung leider nicht der Ankündigung gerecht wurde, vor allem der Bajazzo! SORRY!!!

      Karl Bauer

  2. Endlich einmal eine Kritik von einem HÖRENDEN Menschen!!! Meist wird ja die Kritik auf Sänger, eventuell noch Szene reduziert. Ich fand die Cavalleria musikalisch so schrecklich, dass ich in der Sekundenpause vor dem Intermezzo den Zuschauerraum verlassen habe!!! Und dieses Werk habe ich in meiner 65 jährigen Operngeschichte bei Gott oft gehört!!!

    Karl Bauer

    1. Lieber Herr Bauer,

      könnten Sie bitte genauer erklären, was Sie „musikalisch so schrecklich“ fanden…

      Herzlich,

      Andreas Schmidt, Herausgeber

  3. Herr Andreas Schmidt,
    Es tut mir leid, wenn Sie nicht hören können, dass z.B. das Orchester und der Chor, gleich zu Beginn, so überhaupt nicht „zusammen“ waren, dass die nötige Spannung so gar nicht aufkommen wollte und – ich bin der Letzte, der mit der Stoppuhr eine Aufführung verfolgt, aber 10 Minuten plus bei Cavalleria und insgesamt gute 15 Minuten ist nicht gerade prickelnd. Auch Knappertsbusch, den ich noch erleben und hören durfte, war langsam in seinem Dirigat, aber mit welcher Spannung!!!!
    Es gibt natürlich Menschen, die derartiges nicht hören können oder wollen, aber denen entgehen auch die Schönheiten!

    Karl Bauer

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