Hilary Hahn © Dana van Leeuwen
Das National Symphony Orchestra mit Chefdirigent Gianandrea Noseda und der Geigerin Hilary Hahn in Köln
Alban Berg (1885-1935) – Drei Stücke aus der Lyrischen Suite
Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) – Violinkonzert D-Dur op. 35
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) – Sinfonie Nr. 5 d-Moll, op. 47
Hilary Hahn, Violine
National Symphony Orchestra (Washington, D.C.)
Gianandrea Noseda, Dirigent
Kölner Philharmonie, 24. Februar 2024
von Brian Cooper, Bonn
„They love Gianandrea!“, ruft mir die Dame vom Vorstand des National Symphony Orchestra (NSO) beim Applaus zu. Zwischen Orchester und Chefdirigent spürt man in der Tat eine gute Chemie. Und Gianandrea Noseda, der italienische Maestro, hat gerade seinen Vertrag am Kennedy Center in Washington, D.C., verlängert.
Los geht es mit Alban Berg, der drei Sätze aus seiner Lyrischen Suite – ursprünglich für Streichquartett – für Streichorchester bearbeitete. Glücklicherweise konnte ich die Berg-Skepsis, die ich leider hege, eine Viertelstunde lang ablegen, denn Streichquartett wie Streichorchester waren für meine Liebe zur klassischen Musik prägend.
Und Liebe ist das richtige Stichwort: Schon der erste Satz ist mit Andante amoroso überschrieben. Bergs Liebe zu Hanna Fuchs, Franz Werfels Schwester, zeigt sich in versteckten Anspielungen und Tonfolgen (HF – AB), die man mitnichten alle erkennen muss, um zu merken, dass es ziemlich leidenschaftlich zugeht. Vor allem im ersten und dritten Satz nahm einen der dichte Streicherklang des NSO gefangen, und im Mittelsatz – viel pp, viel sul ponticello – fühlte ich mich an ein anderes Meisterwerk für Streichorchester erinnert – Bartóks Divertimento.
Etliche der großen Violinkonzerte – Brahms, Beethoven, Tschaikowsky – stehen in D-Dur, so auch das viel zu selten gespielte Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold, dessen einzige Sinfonie immerhin in Fis-Dur steht. Es hat ungemein viel Charme, doch weil Korngold auch Filmkomponist war, hat man gern auf sein Werk herabgeschaut („mehr Korn als Gold“). Kein Geringerer als Jascha Heifetz spielte 1947 die Uraufführung des op. 35 und nahm es im Januar 1953 für RCA auf.
Hilary Hahn spielte das Werk leidenschaftlich, gesanglich, kompromisslos und mit geradezu süchtig machendem Geigenklang: oft dicht am Steg und stets in regem Blickkontakt mit Noseda. Beide zeigten, dass das Werk viel von dem hat, was die Kritiker Korngolds eher nicht haben: Humor.
Die Sinnlichkeit des ersten Satzes wird abgelöst von Zauberklängen im langsamen Satz: Die Kombination von Harfe und Vibraphon betört. Schöne Details waren auch in Fagotten und Englischhorn zu vernehmen. Der dritte Satz, von der Solistin im Vorfeld als „quasi Rock ’n’ Roll“ betitelt, ist für mich mehr Folk oder Country, am ehesten aber eine Art amerikanische Bauernhochzeit, vielleicht in den Appalachen. Es ist kein Hammer an Themenvielfalt, aber das eingängige Thema wird so oft und so originell variiert, dass es einem ein Lächeln ins Gesicht bringt. Großer Jubel.
Hahns Bühnenpräsenz ist beeindruckend. Spielt sie mal nicht, was in diesem Werk nicht oft vorkommt, wiegt sie Kopf und Körper ein wenig, ist ganz in der Musik, und Solistin wie Orchester zaubern überzeugenden Schönklang aufs Parkett.
Wenn Schostakowitsch hingegen „schön“ klingt, dann macht ein Dirigent etwas falsch. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, zu denen der langsame Satz der Fünften zumindest stellenweise zählt. „Die schöpferische Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechte Kritik“ führten Noseda und das NSO nach der Pause beeindruckend auf.
Die vielleicht berühmteste Anekdote zu dieser Sinfonie bezieht sich auf das plakative D-Dur-Finale. In Solomon Wolkows Memoiren, die als umstritten gelten, steht dazu diese kolportierte Aussage des Komponisten: „Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. […] So als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: Jubeln sollt ihr! Jubeln sollt ihr! […] Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“
Noseda dirigierte aus der Taschenpartitur, die er beim stürmischen Applaus kurz küsste. In jedem Takt spürt man seine tiefe Affinität zum Werk des Russen: die Ruhe, Tiefe, ja gravitas, des ersten Satzes; das stampfende marcato von Celli und Bässen im zweiten Satz, der ein makabrer Walzer ist; der Schönklang und die Verzweiflungsausbrüche des Largo; und dann eben das grandios gespielte Finale.
Für uns musikbegeisterte Europäer ist diese Saison eine ganz besondere, denn die US-Orchester geben sich die Klinke in die Hand. Das NSO mag vielleicht nicht den ganz edlen Schliff der großen Spitzenorchester des Landes haben – immerhin haben wir in der laufenden Spielzeit schon Chicago, Philadelphia und Boston hören dürfen. Aber es ist eben auch eine richtig gute Formation.
Noseda hörte ich Ende 2019 mit dem LSO in Köln. Es war so gut, dass ich um ein Haar tags darauf Tschaikowskys Fünfte in Dortmund gehört hätte, wäre nicht der verFLIXte TRAIN in Düsseldorf zusammengebrochen. So nun also die Fünfte des DSCH in Köln. Es war eine gelungene Aufführung, die nur ein Fazit zuließ: Das ist Musik, die alle Anständigen ergreift und alle Unanständigen verhöhnt. Gut, dass nicht jene Idioten die Oberhand haben, die wegen eines mörderischen Diktators gleich alles Russische verbieten wollen.
Hilary Hahn spielte übrigens gleich zwei Zugaben: den langsamen Satz aus Bachs E-Dur-Partita BWV 1006 und „Shards of Light“ des anwesenden Composer-in-Residence am Kennedy Center, Carlos Simon, dessen Four Black American Dances mit den Bostonern schwer beeindruckt hatten. Das Orchester gab Simons Meditation in Grace zu, eine Weiterführung des Klassikers Amazing Grace, durch und durch Musik im US-amerikanischen Idiom, ganz in der Tradition der großen Komponisten Copland, Ives und Barber, dessen Violinkonzert das Kölner Publikum im April mit einer weiteren großen Geigerin unserer Tage, Janine Jansen, hören kann. Hoffentlich sind die zahlreichen Lungenleidenden, die an diesem Abend besser zuhause geblieben wären, bis dahin auskuriert.
Dr. Brian Cooper, 25. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gürzenich-Orchester Köln, Programm Nordwind Kölner Philharmonie, 5. Februar 2024
„Julia Fischer und Tschaikowski“ Kölner Philharmonie, 26. Januar 2024