Wiederum bietet auch Schubert-Liebhabern diese Hörbiographie neue, interessante Einsichten in ein kurzes aber bewegtes Künstlerleben. Wärmstens empfohlen, gerade jetzt im kühlen Herbst.
Hör-CD-Rezension:
Schubert – Eine Hörbiographie von Jörg Handstein
von Dr. Andreas Ströbl
Vor exakt 200 Jahren, nämlich im Herbst des Jahres 1823, komponierte Franz Schubert seinen ersten Liederzyklus, „Die schöne Müllerin“. Zu der Zeit lag er im Krankenhaus und wurde sehr wahrscheinlich wegen Syphilis stationär behandelt; die moderne Schubert-Forschung ist sich da ziemlich sicher. Aber gerade bei Geschlechtskrankheiten hüllen sich die Quellen des 19. Jahrhunderts in verschämte Diskretion. Die Behandlung mit Quecksilbersalbe spricht allerdings dafür – eine lebensgefährliche Methode, die heutigen Medizinern wahre Schauer über den Rücken laufen lässt.
Wo er sich angesteckt hatte, verbirgt sich noch mehr im Dunklen – womöglich hatte er sich die damals nicht wirklich therapierbare Krankheit in einem der zahlreichen Wiener Bordelle geholt. Man mag sich das heute kaum mehr vorstellen: Ein sensibler, höchstbegabter junger Mann am Klavier, voll tiefsten Empfindens und vor allem mit einer musikalischen unerschöpflichen Erfindungsgabe beschenkt – und da gibt es keine liebende Frau an seiner Seite? Heute lägen ihm wahrscheinlich die schönsten jungen Damen der besten Gesellschaft als glühende Verehrerinnen zu Füßen, ungeachtet seines eigenen Aussehens. Wobei Schubert alles andere als unattraktiv war, aber er erinnerte mit seinen kurzen Beinen und den braunen Locken offenbar an einen kleinen Pilz, weswegen ihn seine Freunde liebevoll „Schwammerl“ nannten.
Das ist das eine. Das andere ist, dass es, wie bei so vielen Kunstschaffenden der frühen Jahrhunderte, der heutigen Rezipientenschaft schwer zu glauben fällt, dass diesem genialen Klangschöpfer der angemessene Erfolg zu Lebzeiten versagt blieb. Dabei kennt heute jedes Kind, das selbst im fernen Korea zu musizieren anfängt, seine Melodien. Was stand dem Bahnbrecher der musikalischen Romantik, der mit seinen rund 600 Liedern eine ganze Gattung zur Vollendung gebracht hat, im Wege?
Zugang zu möglichen Antworten auf diese Fragen bietet unter vielem anderem die bereits vor drei Jahren erschienene Hörbiographie von Jörg Handstein, „Schubert – Die Liebe liebt das Wandern“, aus der Reihe „BR Klassik“, die hier noch einmal besonders empfohlen wird.
Ein erneutes Mal gelingt es den Machern dieser gelungenen Reihe, nicht nur einem Komponistenleben mit all seinen teils zu Herzen gehenden Aspekten einen Zugang zu verschaffen, sondern durch gut ausgewählte Musikbeispiele das Genie dieses bereits mit 31 Jahren gestorbenen Musikers begreifbar zu machen. Die etwas abgegriffene Wendung „zu jung verstorben“ trifft bei Franz Schubert schmerzlich zu. Wie denn die beiden Sätze der wunderbaren „Unvollendeten“ geklungen hätten und ob er sie überhaupt noch geschrieben hätte, bleibt aufgrund seines Todes 1828 offen – er folgte seinem viel älteren Idol Beethoven bereits ein Jahr später. Eine Ahnung dessen, was möglich gewesen wäre, vermittelt das „Symphonische Fragment in D-Dur D 936a“. Diese Tonsprache weist schon weit ins spätere 19. Jahrhundert hinein und entwirft eine Weite, die man eher von skandinavischen Spätromantikern kennt; die charakteristische Schubert’sche Melancholie wird hier um die Dimension einer Verklärtheit erweitert, deren Reife mitunter an den späten Mahler gemahnt.
Handstein malt mit klug ausgewählten und gut recherchierten Quellen ein Bild des frühen 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der napoleonischen Kriege, der Restauration mit ihrer Zensur und Unterdrückung persönlicher und vor allem künstlerischer Freiheiten und all den Träumen davon, was möglich wäre, wenn man die Menschen nur ließe. Man kann hier auch nachvollziehen, wie sich manche Leute durch diese Zeit lavierten, sich zugleich der Zensur unterwarfen und doch versuchten, diese subversiv zu unterwandern. „Biedermeier“ hieß eben auch Unfreiheit und Zurückgeworfensein ins Private, wenn man sein Leben nicht auf den Barrikaden riskieren wollte.
Udo Wachtveitl ist auch in dieser Produktion der Sprecher; die von ihm in seiner charmanten und sensiblen Art vorgetragenen Texte bringen in zuweilen lockerer Weise durch eingestreute moderne Wendungen und diverse Anglizismen den heutigen Hörern eine Zeit näher, die sprachlich in vielen Gesichtspunkten gerade in offiziellen Dokumenten zuweilen etwas gestelzt daherkommt. Mehr solcher Modernismen hätten es aber auch nicht sein dürfen, denn Zeitkolorit entsteht auch durch sprachliche Unmittelbarkeit – da darf man den Hörern auch zutrauen, dass sie sich Stück für Stück akustisch einfühlen.
Robert Stadlober ist wie Wachtveitl gerade dem deutschen und österreichischen Fernsehpublikum durch zahlreiche Filme bekannt; er spricht mit Wienerischem Akzent Franz Schubert. Wenn es die Zitate erfordern, wienert er auch richtig los, was einen wunderbaren Schmäh-Hörspaß bereitet.
Weitere Zitate sprechen Thomas Albus, Christian Baumann, Thomas Birnstiel, Beate Himmelstoß, Florian von Manteuffel, Johannes Silberschneider und Hans-Jürgen Stockerl.
Redaktion und Regie oblag Bernhard Neuhoff, für Tonregie und Technik waren Michael Krogmann und Daniela Röder verantwortlich.
Wie in allen anderen Hörbiographien gibt es auch hier ein Musikstück in ganzer Länge, nämlich die „Große C-Dur-Symphonie“ (D 944), nach dem aktuellen Forschungsstand als Schuberts 8. Symphonie geführt.
Herbert Blomstedt leitet das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit erfreulich frischem Tempo – gerade den Beginn des ersten Satzes hat man schon reichlich langweilig bis pathetisch gehört; die Satzbezeichnung „Allegro ma non troppo“ nimmt der Dirigent sehr ernst. Diesen fast zackigen Ansatz trägt er auch in den zweiten Satz, „Andante con moto“, nicht ohne dessen anmutig-lyrische Elemente zu überrennen. Das Scherzo, „Allegro vivace“ samt Trio, kommt ebenfalls ausgesprochen lebhaft daher, wobei hier (wie auch in den anderen Sätzen) die vielfaltige Instrumentierung berücksichtigt wird und die feinen Passagen neben den eher großspurig-selbstbewussten Abschnitten zu ihrem Recht kommen. Im Finalsatz, „Allegro vivace“, dominiert eine freudvolle Stimmung, die in glänzender Feierlichkeit mit innehaltenden wehmütigen bis sekundenweise dramatischen Anklängen und dem charakteristischen Gruß an Beethoven, ans Ziel kommt. Schubert ganz ohne Pathos, dafür mit forscher Dynamik – eine gute Wahl, die einen schönen Gegenpol zu all den Schattenseiten im Leben des Komponisten herstellt.
Wiederum bietet auch Schubert-Liebhabern diese Hörbiographie neue, interessante Einsichten in ein kurzes aber bewegtes Künstlerleben. Wärmstens empfohlen, gerade jetzt im kühlen Herbst.
Dr. Andreas Ströbl, 20. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
4 CDs
BR-KLASSIK 900927
Erhältlich im Handel und im BR-Shop
Hör-CD Rezension: Mahler – Welt und Traum. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein