Holly Hyun Choe © Melf Holm
Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals in der Lübecker Musik- und Kongresshalle
Richard Wagner, „Vorspiel und Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“
Anton Bruckner, Symphonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 (3. Fassung, 1889)
Holly Hyun Choe, Dirigentin
Schleswig-Holstein Festival Orchester
Musik- und Kongresshalle, Lübeck, 13. Juli 2024
von Dr. Andreas Ströbl
SHMF-Intendant Christian Kuhnt hatte es noch in seiner launigen Ansprache vor dem Konzert am 13. Juli in der Lübecker Musik- und Kongresshalle gesagt: „Handys aus und Ohren auf“, aber diese Ohren waren teils taub an diesem eher kühlen Sommerabend. Dazu später mehr – um so wärmer und leidenschaftlicher war das, was das musikalische Programm des Abends bot.
Nach einem kurzen meditativen Moment absoluter Konzentration gibt es zuerst „Vorspiel und Liebestod“ aus Wagners „Tristan und Isolde“ und das junge Orchester mit Mitwirkenden aus 30 Nationen überrascht durch ausgesprochen reifen, schwelgerischen Wagner-Klang voller Seelentiefe – zweifellos Hügel-tauglich!
Die südkoreanische Dirigentin Holly Hyun Choe leitet das mit konzentrierter Spielfreude agierende Schleswig-Holstein Festival Orchester souverän und setzt die Arme weit ausholend, aber niemals exaltiert ein. Ihre freudige Mimik springt ständig über auf die Musikerinnen und Musiker, die ihr Lächeln mit frohen Gesichtern erwidern; allesamt spielen ausgesprochen exakt, ohne sich in akademische Kühle zu verlieren, ganz im Gegenteil. Mit Hingabe machen die jungen Menschen den ganzen Seelenschmerz und all die Sehnsucht erlebbar, die in dieser Musik zu höchstem Ausdruck gelangt. Die angesprochene Exaktheit führt aber dazu, dass all die instrumentalen Feinheiten, die beispielsweise im Bayreuther Mischklang unterzugehen drohen, hier deutlich hervorstechen – Wagner ging es ja um jede einzelne Note. Auch von der Dynamik und dem Tempo her ist das eine exzellente, makellose Leistung.
Anton Bruckners 3. Symphonie teilte das Schicksal so viele Werke des Meisters; er arbeitete sie mehrfach um und so gerieten die ursprünglich, zumal in der Erstfassung, noch deutlich erkennbaren Wagner-Zitate zunehmend ins Nebulöse, schließlich nur noch Ahnbare. Bruckner selbst sprach von „Verbesserungen“ und wollte dann von den früheren Fassungen nichts mehr wissen. Von 1873 bis 1889 dauerte die Genese der Wagner gewidmeten „Dritten“ zum endgültigen, auch am 13. Juli in Lübeck gespielten Ergebnis.
Das Markante an dieser Symphonie sind die aneinandergereihten Motive bzw. deren Variationen, die durch Generalpausen voneinander getrennt sind.
Die geheimnisvolle Stimmung des ersten Satzes, aus der sich bald eine wundervolle, ja aufbrausende Rhythmik entwickelt, gibt das Orchester großartig wieder, Steigerungen in Tempo und Dynamik geraten mitreißend; das fanfarenartige Thema der Trompete gelingt einwandfrei. Die Dirigentin ist aufmerksam und zugewandt, sie feuert den Klangkörper an; ihre Einsätze sind ausgesprochen differenziert und genau – bei diesem Werk mit seinen schroffen Abbrüchen ist das auch absolut notwendig.
Trotz der Dominanz der Streicher in der Besetzung strahlt das Blech klar hervor, das Schlagwerk setzt dunkle Akzente. In einer der Fermaten beleidigt eines der nicht ausgeschalteten Daddelgeräte mit albernem Hahnengeschrei alle Mitwirkenden und das Publikum. Wie dumm, ignorant und respektlos kann man eigentlich sein? Man sollte solchen Leuten das Ding auf der Stuhlkante zerbrechen.
Nach dem Eingangssatz wird erstmal die schöne Stimmung zerklatscht. Das wiederholt sich auch nach dem folgenden Adagio, erst nach dem Scherzo beginnen die tumben Leute (eine Minderheit, aber eine zahlreiche) zu begreifen, dass solches Gebaren der Musik schadet. Holly Hyun Choe hat dennoch souverän die Lage im Griff.
Ihr jungen Dirigentinnen und Dirigenten – traut Euch, Handzeichen zu geben, mit freundlichem Gesicht! Die „Generation Fernsehshow“ wird es sonst nie lernen, wie man Musik, Mitwirkende und das restliche Publikum, das mitunter viel Geld für die Karten bezahlt hat, würdigt.
Der zweite, beschaulichere Satz mit dem zitierten „Tristan“-Sehnsuchtsmotiv fährt auf ruhigerem Fahrwasser, geht dann aber zu forscherem Schritt über, ja, strebt auf und jubiliert, wiederum mit charakteristischer Fermatenstruktur.
Das Scherzo hingegen kann eine alpenländische Herkunft nicht verleugnen; die Musik spricht oberösterreichischen Dialekt und die tänzerischen Abschnitte dieses Satzes bringt die Dirigentin selbst zum tänzelnden, energischen Dirigat – es ist eine Freude, ihr und dem Orchester zuzusehen, Lächeln huscht immer wieder über die Gesichter. Der, man muss es mal so sagen, Spaß, unter, nein mit ihr zu musizieren, ist ganz offensichtlich.
Im energiegeladenen Finalsatz blühen zauberhafte Lichtmomente voller Lebensfreude auf, vom Volkstümlichen geht es schnell ins Dramatische, aber der aufstrebende, optimistische Duktus hält alles im Hellen. Das einführende Trompetenthema schließt den Kreis und mit Goldglanz gewordenem Klang endet das Werk.
Jubelnder Beifall gilt einem jugendfrischen Orchester und einer sympathischen, begabten Dirigentin, die den Mitwirkenden die Kunst der asiatischen Verbeugung nach allen Richtungen hin beibringt. Die wird man hoffentlich noch oft sehen!
Dr. Andreas Ströbl, 14. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ich war auch in dem wunderbaren Konzert, habe das ärgerliche Handyklingeln nicht gehört. Ich denke, dass vor allem ältere Herrschaften Probleme mit dem Ausschalten haben.
Was den Beifall zwischen den Sätzen von Bruckner #3 angeht, sagte mir Kent Nagano einmal nach einem (Bruckner #8) Konzert in der Reithalle des Landgestüts Redefin beim MV-Festival, dass er sich nicht darüber aufrege, denn es sei offensichtlich ein neues Publikum gekommen, und das Konzert habe diesem wohl gefallen. Das ist auch öfters in der Elbphilharmonie der Fall, und die Klassik braucht auch Zuwachs bei den Besuchern! Wir sollten gelassen sein.
J. Capriolo