Fremdenhass stürzt die Hauptprotagonisten der Oper “Manru” von Paderewski in den Tod

Ignacy Jan Paderewski, Manru  Nancy, Opéra national de Lorraine, 14. Mai 2023

Foto: Manru  ® Jean Louis Fernandez

Die “Opéra national de Lorraine, Nancy” übernimmt die Produktion der “Bühnen Halle der Oper “Manru” des polnischen Komponisten und Pianisten Ignacy Jan Paderewski. Zum ersten Mal wird in Frankreich die deutsche Version gespielt, wie am 9. Mai 1901 bei der Welturaufführung in Dresden.

Nancy, Opéra national de Lorraine, 14. Mai 2023

Ignacy Jan Paderewski
MANRU
Oper in drei Akten

Musikalische Leitung, Marta Gardolińska
Inszenierung, Katharina Kastening

hnenbild und Kostüme, Gideon Davey

Orchester und Chor der “Opéra national de Lorraine”

Manru         Thomas Blondelle
Ulana           Gemma Summerfield
Urok             Gyula Nagy
Asa               Lucie Peyramaure
Hedwige    Janis Kelly    

 von Jean-Nico Schambourg

Die Geschichte der Oper handelt vom Zigeuner Manru, der sein Volk verlassen hat um Ulana, ein Dorfmädchen, zu heiraten. Beide haben ein Kind. Er ist sesshaft geworden und arbeitet als Schmied. Aber er wird nicht akzeptiert von den Dorfbewohnern, die in ihm nur den abscheulichen Zigeuner sehen. Auch seine Frau Ulana ist von ihren Freunden und sogar von ihrer Mutter verstoßen worden. Nur Urok, der Ulana selbst begehrt, steht anscheinend zu ihnen. Manru sehnt sich immer mehr nach seiner früheren Freiheit. Aber sein Pflichtgefühl gegenüber Ulana und seinem Kind hält ihn davon ab, wegzuziehen. Ulana verabreicht Manru heimlich einen Liebestrank,den sie von Urok erhalten hat. Aber am nächsten Morgen zieht es Manru trotzdem zu den vorbeiziehenden Zigeuner, wo er Asa, seine erste Liebe, wiederfindet. Nach einigem Hin und Her entscheidet er sich dafür, mit seinem Volke weiterzuziehen. Ulana bringt sich aus Verzweiflung um. Urok rächt sie und ersticht Manru.

“Manru” ist die einzige Oper, die Ignacy Jan Paderewski komponiert hat. Sie wird manchmal als “polnische Carmen” bezeichnet. Im Gegensatz zur Titelfigur der Oper von Bizet ist es hier die männliche Titelfigur, die sich nach Freiheit sehnt. Der andauernde Zwiespalt zwischen Wunsch nach Freiheit und Pflichtgefühl seiner Frau und seinem Kinde gegenüber erinnert aber eher an die Gefühlslage des Don José, der zwischen Pflicht und Liebe zögert. Für Carmen zählt stets nur die Freiheit. Natürlich denkt man wegen des Liebestranks auch an die Opern “L’elisir d’amore” von Donizetti, sowie an “Tristan und Isolde” von Richard Wagner. Allerdings ist hier die Wirkung des Zaubertranks nicht von Erfolg gekrönt.

Die Musik, die Paderewski zu dieser Oper geschrieben hat, ist angenehm anzuhören. Der Einfluss italienischer (Puccini), französischer (u.a. Gounod, Saint-Saëns), ost-europäischer (Tschaikowski und Dvořák) Oper, aber auch von Richard Wagner ist nicht zu überhören. Sie bindet aber auch volkstümliche polnische Musik und Zigeunerweisen ein.

Die Oper von Nancy hat mit Artur Banaszkiewicz speziell für diese Weisen einen Violinisten engagiert. Sein Spielen voller Charme verfehlt nicht sein Ziel, weder beim Publikum, noch beim Hauptprotagonisten der Oper. Es erscheint fast, dass es mehr die Zigeunermusik ist als das wiedererwachte Feuer für Asa, die Manru schließlich dazu bewegt, sich den Zigeunern wieder anzuschließen. Vielleicht fehlt es der Partitur jedoch an Ecken und Kanten, besonders wenn man bedenkt, dass ein zentrales Thema der Geschichte der Fremdenhass ist. Die Musik fließt jedoch stets angenehm dahin.

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® Jean Louis Fernandez

Die Inszenierung stammt von Katharina Kastening, die für diese Produktion mit den “Bühnen Halle” 2022 den Preis “Perspektive FAUST” erhielt. Die Themen Fremdenhass und Rassismus sind heute aktueller denn je. Dies zeigt auch die Inszenierung, die zeitlos ist, auch wenn die Kostüme der heutigen Zeit entstammen. Kastening zeichnet Manru als Ausgestoßenen. Das Misstrauen gegenüber dem Anderssein, sowohl bei den Dorfbewohnern gegenüber dem Zigeuner Manru, als auch bei dessen Volk gegenüber dem Heimkehrer Manru, steht im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

Das Bühnenbild von Gideon Davey besteht aus einer Drehbühne, die eine durchsichtige Wand in zwei Wände teilt. Sie steht für die Idee der Inszenierung, dass zwei Gesellschaften sich zwar anschauen, aber sie sehen sich nicht. Das Haus von Manru und Ulana, beschmiert mit fremdenfeindlichen Parolen, ist aus Plexiglas, als Zeichen der Härte, der Kälte. Die andere Seite der Bühne ist leer, nur Boden, als Zeichen der Natur.

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® Jean Louis Fernandez

Die Titelrolle wird gesungen von Thomas Blondelle, der mit kräftiger Tenorstimme die Wut, aber auch die Verzweiflung von Manru total überzeugend über die Rampe bringt. Mühelos erklingt seine Stimme über den vollen Orchester- und Chorklang.

Gemma Summerfield verleiht der Ulana, die in der musikalischen Charakterisierung von Paderewski ein wenig eintönig ist, ihre warme Sopranstimme, die besonders in den zärtlichen Momenten mit ihrem Kinde wohlklingend erscheint. Aber auch in den dramatischen Momenten weiß sie zu überzeugen. Es sei erwähnt, daß bei der Uraufführung die Rolle der Ulana gesungen wurde von Annie Krull, zwei Jahre später die erste Elektra von Richard Strauss.

Gyula Nagy singt einen überzogenen Urok und gibt ein exzellentes Rollenportrait. Nicht nur szenisch springt er auf der Bühne wie ein Kasperl umher. Auch sein Gesang passt wunderbar zu seinem Auftreten, das den Zuschauer schwanken läßt zwischen Amüsement für seine Clownerie und Ekel vor seiner Falschheit.

Lucie Peyramaure als Asa, die Zigeunerin, läßt natürlich mit ihrem feurigen Mezzosopran die Gedanken zu Carmen fliegen. Kein Wunder, dass die Liebe von Manru zu ihr wieder erglüht bei ihrem warmen Gesang.

Janis Kelly gibt eine kaltherzige Mutter, sowie vom Komponisten erwünscht. Die kleineren Rollen, sowie Chor und Kinderchor runden den Erfolg des Abends ab.

Das Orchester spielt unter der Leitung von Marta Gardolińska, Chefdirigentin der “Opéra national de Lorraine”. Als Polin ist ihr, laut eigenen Aussagen, diese Oper ans Herz gewachsen. Das hört man, läßt sie doch das Orchester mit warmen Klang und viel Engagement die romantische Musik von Paderewski spielen. Der schon vorher erwähnte Zigeuner-Violonist Artur Banaszkiewicz fügt sich mit seinem Spiel nahtlos in das “klassische” Musizieren ein.

Auch wenn Paderewskis Oper verständlicherweise kaum den Weg in das gängige Opernrepertoire finden wird, so muss man die Oper aus Nancy auf jeden Fall für diese Produktion beglückwünschen, da sie sowohl musikalisch, wie auch szenisch voll überzeugen kann.

Jean-Nico Schambourg, 15. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Camille Saint-Saëns, HENRY VIII, Oper in vier Akten und sechs Bildern Brüssel, La Monnaie, 11. Mai 2023 PREMIERE

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