John Neumeiers Schwanensee altert nicht

Illusionen wie Schwanensee, Ballett von John Neumeier  Staatsoper Hamburg, 11. Februar 2023

Alina Cojocaru, Alexandr Trusch und Madoka Sugai (Foto: RW)

Neumeier gelingt es mit seiner Choreographie, dem technisch-Artistischem des nach Marius Petipa und Lew Iwa­now getanzten Grand Pas de deux Sinn zu geben. Natalia erkennt während einer Privatvorstellung des weißen Schwanenaktes die Verschrobenheit des Königs und überrascht diesen beim Maskenball mit dem Auftritt in einem Schwanenkostüm. Die anschließenden hohen Sprünge und Drehungen des Königs sind Ausdruck eines freudigen Erstaunens und seiner beginnenden Zuneigung, die Prinzessin Natalia mit ihren schwierigen Fouettés und ihren Arabesken dankbar erwidert.

Illusionen wie Schwanensee

Ballett von John Neumeier mit Choreographien von Lew Iwanow und Marius Petipa

Musik von Peter I. Tschaikowsky

Wiederaufnahme an der Staatsoper Hamburg, 11. Februar 2023


von Dr. Ralf Wegner

Vor 5 Jahren sahen wir erstmals Alexandr Trusch und Ma­dokai Sugai in Neumeiers Schwanensee, auch Jacopo Bel­lussi und David Rodríguez waren damals schon als Graf Alexander sowie als Mann im Schatten dabei. Trusch fehl­te es noch an Präsenz für die Königsrolle, Sugai durchwanderte bei ihren mit mehr­fa­chen Drehungen gespickten Fouettés im Grand Pas de deux fast die halbe Bühne. Bellussi überraschte damals mit hohen Sprüngen und perfekten Doppeldrehungen, Rodríguez gab ein gelungenes Debüt.

Jacopo Bellussi begeisterte jetzt erneut als Graf Alexander zusammen mit Olivia Betteridge als liebenswerte Prinzessin Claire. Auch David Rodríguez erfüllte den Part des bedrohlichen, aber den König auch zum inne­ren Frieden führenden Mannes im Schatten mit Bravour. Vor allem geriet sein Schluss-Pas de deux mit Trusch zu einem der Höhepunkte der Aufführung.

 Alexandr Trusch tanzte den König technisch überzeugend. Darstellerisch ergriff er vor allem mit den leidensvollen, aber auch den fröhlichen und liebevollen Seiten dieser Partie. Was ihm nach wie vor fehlt, ist die überzeugende tänzerische Zeichnung des Herrischen, auch Aggressiven, wie es früher Max Mindinet oder Jiří Bubeníček auf die Bühne brachten. Seine beiden Pas de deux mit Madoka Sugai als Prinzessin Natalia gehörten allerdings zum besten, was dieses Ballett zu bieten hat. Die Verzweiflung und innere Abkehr von dem Weltlichen stellte Trusch am En­de schlüssig und ergreifend dar. Gleiches gilt für Madoka Su­gai, die nach einer letzten hoffnungsvollen Annäherung an den König mit Trauer, aber auch mit Einsicht in dessen Schicksal den Kerker verlässt. Im Grand Pas de deux gelan­gen ihre 32 Fouettés mit mehrfachen Zwischendrehungen hervorragend, ebenso die Sprünge und Drehungen von Trusch. Was mir bei Sugai ein wenig fehlte, war bei den anschließenden, nach rückwärts getanzten Arabesken das leichte Kippen nach hinten, welches Elisabeth Loscavios Darstellung in Neumeiers Schwanenseeverfilmung 2001 auszeichnete.

 

Neumeier gelingt es mit seiner Choreographie, dem Technisch-Artistischem des nach Marius Petipa und Lew Iwa­now getanzten Grand Pas de deux Sinn zu geben. Natalia erkennt während einer Privatvorstellung des weißen Schwa­nenaktes die Verschrobenheit des Königs und überrascht diesen beim Maskenball mit dem Auftritt in einem Schwa­nenkostüm. Die anschließenden hohen Sprünge und Drehungen des Königs sind Ausdruck eines freudigen Erstaunens und seiner beginnenden Zuneigung, die Prinzessin Natalia mit ihren schwierigen Fouettés und ihren komplexen Arabesken dankbar erwidert. Das drücken Alexandr Trusch und Madoka Sugai mit überzeugender darstellerischer Kraft aus.

Verbeugung vor dem applaudierendem Publikum: Jacopo Bellussi (Graf Alexander), Madoka Sugai (Prinzessin Natalia), Alexandr Trusch (Der König), John Neumeier (Choreographie), Nathan Brock (musikalische Leitung), Alina Cojocaru (Odette), David Rodríguez (Der Mann im Schatten), Patricia Friza (Die Königinmutter)

Perfekt und künstlerisch maßstabsetzend gelang der zwei­te Akt mit dem Auftritt von Alina Cojocaru als Schwanenprinzessin Odette. Für diesen weißen Schwanenakt waren die Kostüme neu angefertigt worden. Wie es heißt, habe es in Deutschland kaum noch praktisches Wissen über die Anfertigung der entsprechenden Tutus gegeben. Die Rekon­struktion der Kostüme habe sich über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren erstreckt, für das Schneidern eines einzigen Tutus seien rund 100 Arbeitsstunden erforderlich gewesen.

Besonders herzlichen Beifall erhielten, wie eigentlich immer in Schwanenseeaufführungen, die Trippelschritte der vier kleinen Schwäne (Oliva Betteridge, Yaiza Coll, Giorgia Giani und Ana Torrequebrada). Zu erwähnen sind auch die herausragenden Tänzerinnen der Quadrille im ersten und des Boleros im dritten Akt (Yaiza Coll, Xue Lin, Emilie Mazon) mit den männlichen Partnern Alessandro Frola, Matias Oberlin und Lizhong Wang. Weiterhin bestachen Artem Prokopchuk als Sprecher der mit artistischen Einlagen imponierenden Zimmerleute sowie Patricia Friza als Königinmutter und ihr sprungstarker Begleiter Karen Azat­yan als Prinz Leopold.

Schlussbild mit David Rodríguez und Alexandr Trusch (Foto: Kiran West)

Wovon handelt Neumeiers Schwanensee, formal bezieht sich der Choreograph auf die Leidensgeschichte des Bayerischen Königs Ludwig II. Im übertragenen Sinne geht es aber um die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens, hier als sich der Seele bemächtigender schwarzer Schatten dargestellt. Dem widersetzt sich der Gezeichnete, bis er endlich mit dem Unentrinnbaren Frieden schließt. Deshalb ist Neumeiers Schwanenseeversion so alterslos. Sie unterhält zudem mit einer bekannten Geschichte, verzichtet nicht auf die schwierigen klassischen Schrittkombinationen und fügt drei neue, großartige Pas de deux hinzu.

Der jubelnde Schlussbeifall schloss alle Beteiligten ein, be­sonders galt er John Neumeier, der vom Publikum mit stehenden Ovationen inmitten seines Ensembles gefeiert wur­de. Zahlreiche Blumensträuße flogen auf die Bühne.

Die musikalische Leitung hatte Nathan Brock, Daniel Cho spielte die Solovioline. Es war die 169. Vorstellung in den Bühnenbildern von Jürgen Rose, der auch die Kostüme entworfen hatte, seit der Premiere am 2. Mai 1976. Und es waren wohl, wie auch heute Abend, alle Vorstellungen ausverkauft gewesen.

Peter I. Tschaikowsky, Schwanensee, Deutsche Oper Berlin

Dornröschen, Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, 3. Februar 2023

Dona Nobis Pacem, Choreographische Episoden von John Neumeier, Staatsoper Hamburg, 4. Januar 2023

Ein Gedanke zu „Illusionen wie Schwanensee, Ballett von John Neumeier
Staatsoper Hamburg, 11. Februar 2023“

  1. Ich war in Schwanensee am Freitag, 17.02.2022, eine überwältigende Darbietung. Wir konnten uns am Ende gar nicht von den Plätzen erheben und saßen noch lange ergriffen da, auch andere Besucher. Berauschend so etwas zu erleben.

    Christel Blohm

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