Jan Vogler © Timor Raz
Jan Vogler gibt am 8. März 2025 in der Elbphilharmonie alle sechs Solosuiten für Violoncello von Johann Sebastian Bach. Es wäre aber äußerst ungehörig, den Träger des Verdienstordens 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland auf sein Cello zu reduzieren. Nicht zuletzt ist Jan Vogler Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Und hat auch eine klare Meinung zu gesellschaftspolitischen Fragen.
Jörn Schmidt im Gespräch mit Jan Vogler – Teil 3
klassik-begeistert: Sie sind Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Ein wichtiges Projekt ist Richard Wagners Ring des Nibelungen, historisch informiert aufgeführt mit Ihrem Dresdner Festspielorchester und dem Concerto Köln. Sind Sie Wagnerianer?
Jan Vogler: Ring-Wagnerianer bin ich, möchte ich antworten. Und Tristan-Wagnerianer. Auch noch Parsifal-Wagnerianer. Um Wagner gar nicht zu mögen, muss man ohnehin eine sehr spezielle ästhetische Prägung haben…Beim Ring trifft eine faszinierende Geschichte auf absolut geniale Musik. Das wiederum kann man nicht von jeder Wagner-Oper sagen. Wenn man so will, habe ich einen sehr eklektischen Geschmack.
klassik-begeistert: Wagner und Schumann mochten sich nicht sonderlich, während Sie ein großer Schumann-Fan sind. Darüber hilft nur Ihr eklektischer Geschmack hinweg?
Jan Vogler: Schumann hat in Briefen schlecht über Wagner geschrieben. Aber ja, ich mag beide sehr. Weil die Qualität stimmt.
klassik-begeistert: Geht Ihr Eklektizismus so weit, dass Sie eigentlich alles hören, solange gut gemacht?
Jan Vogler: Ja, ich kann mich auch für Eric Clapton begeistern. Oder für ein Song von Queen. Freddie Mercury ist großartig. So wie Mozart mit Harnoncourt, Radu Lupu mit Schubert und Scarlatti mit Martha Argerich.
klassik-begeistert: Ihren Dresdner Ring dirigiert Kent Nagano. Haben Sie Ambitionen, gelegentlich zu dirigieren?
Jan Vogler: Nein, ich habe kein Talent. Das hätte mir auch mein Vater zugerufen. Mein Cello ist mein musikalisches Lebensprojekt. Und mein gesellschaftlicher Beitrag, das sind die Festivals, für die ich mich engagiere. Der reisende Solist, der nur Musik spielt, aber die Gesellschaft nicht mehr im Blick hat, ist eigentlich eine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts.
klassik-begeistert: Und davor?
Jan Vogler: Gerade Cellisten haben sich früher unglaublich viel um die Gesellschaft gekümmert. Nehmen Sie nur Bernhard Romberg, Friedrich Grützmacher und Karl Juljewitsch Dawidow. Die haben unterrichtet, Konzertgesellschaften gegründet, komponiert und Celloschulen herausgegeben.
klassik-begeistert: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Kent Nagano?
Jan Vogler: Kent hat das Wagner-Projekt gegründet, ich habe das von Anfang an mit großem Interesse verfolgt. Wir haben dann unsere Kräfte gebündelt. Kent hat sein Team von Wissenschaftlern eingebracht. Die wissenschaftliche Begleitung der Aufführungen ist eine Besonderheit unseres Wagner-Projekts. Und natürlich hat Kent wie immer akribisch geprobt.
klassik-begeistert: Und Sie hatten auch einiges zu bieten, das großartige Festspielorchester zum Beispiel?
Jan Vogler: Dank des Dresdner Festspielorchesters steht Kent Nagano jetzt ein perfektes Wagner-Orchester zur Verfügung. Von der Größe her, aber auch unter allen anderen Aspekten harmonieren unser Originalklang-Orchester und das Concerto Köln wunderbar. Und bitte unterschätzen Sie unsere Infrastruktur nicht. Wir konnten ein renommiertes Festival beitragen mit gut eingespielten Strukturen.
klassik-begeistert: Bei Wagner scheint viel von Bach auf. Funktioniert das auch umgekehrt? Wenn Sie sich längere Zeit mit Wagner beschäftigt haben, ändert sich dabei Ihr Blick auf Bach?
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Jan Vogler: Nein, Bach ist wie eine Einbahnstraße. Bach hat meinen Blick auf alles beeinflusst, was danach kam. Und trotz seines Einflusses auf alle anderen, auf Wagner, Brahms und Rachmaninow beispielsweise – Bach steht immer für sich alleine. Das macht Bach so besonders.
klassik-begeistert: Was macht Bach sonst noch einzigartig?
Jan Vogler: Die Einfachheit seiner Musik, die nie platt, sondern genial ist. Und Bachs Ordnung in dem Sinne, dass sich seine Musik, die musikalische Harmonie, aus der Ordnung der Natur und deren göttlichen Ursprung ableitet. Das hat für mich etwas Reinigendes. Bachs Musik hilft auch, die eigenen Gedanken zu ordnen. Nach unserem Gespräch, am Ende eines langen Arbeitstages, gehe ich nach Hause und spiele erstmal ein wenig Bach…
klassik-begeistert: Der Cello-Suiten-Zyklus, ist das also Bach für Einsteiger?
Jan Vogler: Das ist eine ganz wichtige Botschaft dieses Interviews. Die Cello-Suiten funktionieren für den Zuschauer ohne Vorkenntnis. Die feinsinnige Einfachheit der Komposition, die zu einer höheren Ordnung führt, gibt jedem Konzertbesucher etwas mit auf den Weg. Insoweit kann man die Cello-Suiten, anders als die Sonaten und Partiten für Violine Solo, als populär bezeichnen.
klassik-begeistert: Es gibt viele Publikationen zu Wagners Antisemitismus. Texte zu antijudaischen Botschaften in Bachs Passionen sind vergleichsweise selten. Sollte dazu mehr geforscht werden?
Jan Vogler: Ja, unbedingt. Antisemitismus lodert leider immer noch überall auf. Forschung zur Vergangenheit des Antisemitismus trägt dazu bei, Gegenwart und Zukunft besser zu machen. Daher ist ein wichtiger Punkt unseres Dresdner Wagner-Projekts die kritische Ausleuchtung von Wagners gesellschaftspolitischer Einstellung, unter anderem seines Antisemitismus.
klassik-begeistert: Manch einer könnte jetzt denken, dann lass’ uns doch besser den Text der Passionen ändern. Die Wutchöre zum Beispiel. Schließlich hat man bereits in Opern wie Verdis Il ballo in maschera Änderungen rassistischer Textstellen vorgenommen. Riccardo Muti sieht darin einen Irrweg. Wie halten Sie es damit?
Jan Vogler: Im Grunde sehe ich das so wie Riccardo Muti. Und wie die New Yorker Englischlehrerin meiner Tochter, die Mark Twain stets im Original lesen lässt. Auch wenn The Adventures of Huckleberry Finn Wörter enthält, die man heute nicht mehr gerne ausspricht. Man muss und kann daraus, aus der Vergangenheit, lernen. Also bitte nicht die Sprache ändern.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 18. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at