KmfSylt, Künstlerischer Leiter Claude Frochaux mit Pianistin Irina Zahharenkova © Fred Roschki
Das Kammermusikfest Sylt geht in seine 12. Edition, es findet inselweit vom 27. Juli bis 1. August 2024 statt. Der Künstlerische Leiter des Festivals, Cellist Claude Frochaux, erklärt unter anderem, wie man Menschen und Künstler für Sylt begeistern kann. Und was er von Sylt hält.
Interviews zum Kammermusikfest Sylt 2024 – Teil 1
Jörn Schmidt im Gespräch mit Claude Frochaux
klassik-begeistert: Zunächst möchte ich Ihnen herzlich danken. Mit dem Kammermusikfest Sylt bringen Sie unzählige klassische Konzerte auf die Insel, Ihre Festspiele sind längstens etabliert. Ein solcher Erfolg ist in den letzten Jahren nur noch Kampen Jazz by Till Brönner gelungen, aber eben in einem anderen Genre. Das ist eine richtig gute Sache, für unsere Gäste, ganz besonders aber auch für Einheimische. Wie kam es zu der schönen Idee?
Claude Frochaux: Als Gast bei vielen Kammermusik-Festivals und überhaupt als passionierter Programmplaner habe ich schon immer den großen Wunsch gehabt, ein eigenes Festival zu gründen. Und die Insel mit ihrer einzigartigen Natur und ihrer doch sehr künstlerischen Geschichte schien mir sofort das perfekte Szenario und der ideale Ort für ein Kammermusik-Festival zu sein.
klassik-begeistert: Wie hoch ist der Anteil der Einheimischen, die die Konzerte besuchen?
Claude Frochaux: Natürlich ist Sylt gerade im Sommer ein sehr touristischer Ort und wir haben nicht wenige Gäste, die mittlerweile ihren Urlaub nach den Festivaltagen buchen. Aber jedes Jahr werden es auch mehr Insulaner*innen, sodass man sagen kann, dass wir bei ca. 50/50 angekommen sind. Das freut uns sehr, weil wir immer an ein Fest für die ganze Insel gedacht haben – und nicht ein Fest, das „nur“ für Touristen konzipiert ist.
klassik-begeistert: Warum eigentlich ausgerechnet Sylt, ist jenseits all des Glamours Platz für Hochkultur? Oder ist das Musikfest gar elitär?
Claude Frochaux: Die Verbindung mit Sylt kam eigentlich durch die Familie meines Mannes Malte Ruths zustande. Prompt bei meinem ersten Besuch – vor nunmehr 14 Jahren! – kam ganz wie von selbst die Idee auf, etwas auf der Insel zu starten; So war aus einer Laune heraus das Kammermusikfest geboren. So unerfahren, wie wir am Anfang waren, war das Festival eher ein großes Familienfest. Aber Jahr für Jahr haben wir immer mehr Partner auf der Insel gewonnen und das Festival hat sich entwickelt; vor allem in den letzten Jahren mit einem Tempo, dass es manchmal sogar schwierig macht, der Entwicklung zu folgen – wie ein Kind das schnell wächst, ohne dass man es merkt! Das Publikums-Wachstum zeigt aber auch, dass es überhaupt keine elitäre Veranstaltung ist, was auch seit der ersten Stunde unser großer Wille gewesen war; Und dass Hochkultur in der Tat viel mehr Menschen erreichen kann als man denken würde, wenn sie ganz offen und nahbar angeboten wird.
klassik-begeistert: Letztes Jahr war der finnische Pianist und Dirigent Olli Mustonen Composer in Residence, für mich der bisherige Höhepunkt. Wer war noch zu Gast, und vor allem: Welche Künstlerresidenz haben Sie dieses Jahr auf die Beine gestellt?
Claude Frochaux: Letztes Jahr war das Programm ja komplett nordisch inspiriert. Passend zu dem Programm waren daher vor allem Künstler*innen aus Skandinavien eingeladen. Dieses Jahr ist das Ensemble, wie sonst immer auch, sehr international gemischt.
Bei meinen ersten Programmentwürfen für das diesjährige Festival hatte ich das Flötenstück „Aer“ von Helena Winkelman geplant. Das ist wiederum Teil eines Zyklus, der von den vier Elementen Empedokles’ inspiriert ist. Als ich erfahren habe, dass sie das vierte Stück noch nicht geschrieben hat, kam die Idee wie von selbst, Helena nach genau diesem Auftragswerk zu fragen. Die Entscheidung, den ganzen Zyklus zu präsentieren, hat dann mehr Aufmerksamkeit auf sie im Festival gelenkt. Von dort aus war der Weg dann nicht mehr weit, dass sie die natürliche Wahl als Composer in Residence ist und passend zur Dramaturgie des Festivals einige andere Stücken von ihr zusätzlich hinzuzufügen.
klassik-begeistert: Dieses Jahr wurden gleich drei Auftragswerke vergeben. Rekordverdächtig? Wie lang war der Vorlauf?
Claude Frochaux: Der Vorlauf war gar nicht so lang eigentlich, circa ein Jahr. Rekordverdächtig ist das sicherlich, da es eine Premiere mehr gibt als im letzten Jahr, in dem zwei Uraufführungen von Olli Mustonen auf dem Programm standen. Es war ursprünglich aber längst nicht so geplant. Es sind eher spontane Ideen gewesen – und oft sind es die ungeplanten Ideen, die sich letztendlich als die besten Intuitionen herausstellen.
klassik-begeistert: Das zwölfte Kammermusikfest steht unter dem Motto Horoskop, gab es entsprechende Vorgaben für die Kompositionen?
Claude Frochaux: Bei Helena habe ich eine schon existierende Idee in gewisser Weise „genutzt“: Ihren Zyklus konnte ich mir sehr gut vorstellen im diesjährigen Festival, in dem die vier Elemente den Hintergrund zu vier der Festival-Tage bilden.
Mit Kate Moore und Vlad Maistorovici wollte ich schon seit Längerem einmal zusammenarbeiten und beeinflusst von ihren Werken habe ich mir etwas gewünscht:
Von Kate ein Stück mit einer besonderen Besetzung: tiefe Streicher und Harfe – und eine Verbindung zu einem der Wasser-Tierkreiszeichen – und so komponierte sie ein musikalisches Palindrom zwischen zwei Melodien, perfekt symmetrisch unter der Himmelkonstellation des Krebses.
Von Vlad eine Komposition, die das alte katalanische Volkslied „Song of the birds“ als primäre Inspiration hat. Und das nicht nur, weil wir Cellisten diese Melodie lieben, sondern auch, weil ich gerne eine Verknüpfung zum Thema Tradition, Heimat und Freiheit für ein Programm suchte – Pablo Casals begann mit dem „Song of the birds“ seit seinem Exil ab 1939 jedes seiner Konzerte , wodurch es ein Symbol für das Streben nach Frieden und Freiheit wurde.
Tatsächlich drei spannende Auftragswerke, die jeweils eine ganz unterschiedliche und individuelle musikalische Sprache nach Sylt bringen!
klassik-begeistert: Gibt es Pläne, ein ausgewachsenes Kammerorchester nach Sylt einzuladen? Das ist mit einigem Aufwand verbunden, aber das wäre doch mega?
Claude Frochaux: Das würde ich mir tatsächlich liebend gerne als Ziel vornehmen, weil es zweifelsohne bereichernd wäre und ich schon länger einige Ideen dazu habe. Es ist allerdings eine Frage der Finanzierung, denn auch wenn das Festival und sein Potenzial ungeduldig sind, zu wachsen, muss man doch leider auch immer ein Auge auf das Budget werfen.
klassik-begeistert: Wie lotst man Weltstars wie Olli Mustonen auf eine kleine nordfriesische Insel?
Claude Frochaux: Die Musikwelt ist sicherlich sehr groß, aber dennoch viel vernetzter, als man vielleicht denken mag. Wegen des Programms hatte ich direkt daran gedacht, Olli als Composer in Residence einzuladen. Und dass er gekommen ist, hat auch mit genau dieser Vernetzung zu tun: Es spricht sich unter Musiker*innen herum, wo es lebendige und künstlerisch interessante Festivals gibt.
klassik-begeistert: Spielt dabei eine Rolle, dass Thomas Mann, Otto Klemperer, Friedrich Hollaender, Max Frisch, Peter Suhrkamp und Carl Zuckmayer gerne auf der Insel zu Gast waren?
Claude Frochaux: Das spricht genau das reiche künstlerische Erbe an, das die Insel hat! Genau das ist es, was wir am Leben halten wollen und wozu wir unseren Beitrag leisten wollen.
klassik-begeistert: Manch einer mag Sylt gar nicht. Schlechtes Wetter, Schickimicki usf. Jüngst dann die Diskussionen um rechtsextreme Parolen und Wohlstandsverwahrlosung. Was entgegen Sie?
Claude Frochaux: Ich leide wahrhaftig bei diesem Bild, das Sylt überregional weithin hat und das genau jenes ist, das Sie beschreiben. Mit dem Festival zeigen wir die anderen Facetten der Insel, die doch sehr lebendig und vielseitig ist: die vielen Leute, die kulturinteressiert sind, die Sylt mit dem Fahrrad erkunden und die die Insel lieben als Symbol der unverfälscht wundervollen Natur. Und selbst die Sonne scheint sogar öfters mal über der Insel!
klassik-begeistert: Haben Sie einen Lieblingsort auf Sylt?
Claude Frochaux: Der kilometerlange weiße Strand. So banal und unoriginell das klingen mag…
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 12. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Zweiten und letzten Teil unseres Interviews zum Kammermusikfest Sylt lesen Sie Sonntag, 14. Juli 2024 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.