Omer Meir Wellber: „In Hamburg hat mein Tag 26 Stunden“, Teil I

Interview: Jörn Schmidt im Gespräch mit Omer Meir Wellber (Teil I)  Hamburgische Staatsoper, 6. November 2025

Omer Meir Wellber © Lukas Beck

Omer Meir Wellber ist neuer Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper.  Der Start war fulminant mit Bruckner 7 und Richard Strauss’ Salome. Wir haben in der Elbphilharmonie über Angst (Teil I), Risiko (Teil II) und Liebe (Teil III) gesprochen. Weitere Themen waren Rotwein, Jerry Seinfeld und der beste Witz ever.

Jörn Schmidt im Gespräch mit Omer Meir Wellber (Teil I)

klassik-begeistert: Als persönlicher Assistent von Daniel Barenboim mussten Sie feststellen, dass Barenboims Tag 27 Stunden hat, Ihrer indes nur 24 Stunden. War das der Auslöser der Ihnen gerne mal nachgesagten Hyperaktivität?

Omer Meir Wellber: Ich, hyperaktiv? Das ist ja ein feiner Einstieg in unser Gespräch [grinst freundlich].  Aber es stimmt, mein Vater hat mir immer gesagt: Steh’ früher auf, dann ist Dein Tag länger…

klassik-begeistert:  Wie viele Stunden hat Ihr Tag in Hamburg?

Omer Meir Wellber: 26 Stunden. Wenn ich Ihre Frage philosophisch verstehen darf: Eine Stunde ist und bleibt immer eine Stunde. Die Frage ist nur, wie viel packt man in eine Stunde.  Wenn ich so rechne, komme ich momentan auf zwei zusätzliche Stunden.

klassik-begeistert:  Im Alter wird das Dirigierfenster kleiner, nur bei Ihnen nicht. Sie sind auch am Pult ständig unter Strom?

Omer Meir Wellber: Wenn Sie sich Videos ansehen, wie ich mit 28 Jahren dirigiert habe… dann würde ich meinen, Sie irren sich [Anm. Jörn Schmidt: Am Tag nach unserem Gespräch ist Maestro Wellber 44 Jahre alt jung geworden]. 

OMW bei den Proben von Così fan tutte, Hamburg 202324 © Daniel Dittus

klassik-begeistert: Muss man als Dirigent sein wie Don Giovanni? Ein Verführer, der kontrolliert und manipuliert…

Omer Meir Wellber: Absolut. Wobei ich manipulieren bitte im Sinne von motivieren verstanden wissen möchte.

klassik-begeistert: Bei Don Giovanni ging das bekanntlich nicht gut aus?

Omer Meir Wellber: Sehen Sie, es gibt doch einen Unterschied zwischen Dirigent und Don Giovanni… eine weitere Parallele ist indes, dass Mozart Don Giovanni keine einzige richtige Arie zugewiesen hat. Und das, obwohl Don Giovanni die Handlung lenkt, gar Motor der  Gesellschaft ist. Auf so eine revolutionäre Idee muss man erstmal kommen…

klassik-begeistert: Wie klingt Hamburg?

Omer Meir Wellber: Nach Wind und Wasser… jetzt gerade höre ich viel fallendes Laub. Das ist ein wunderbarer Klang.

Omer Meir Wellber © Rori Palazzo

klassik-begeistert: Soll sich dies, also der Klang Hamburgs, auch im Orchester widerspiegeln, gleich einem existentialistischen Klangideal?

Omer Meir Wellber: Ich liebe den deutschen Klang. Auch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg  steht in dieser Tradition, auch wenn der Klang die letzten Jahrzehnte internationaler geworden ist.

klassik-begeistert: Ist das ein negativer Aspekt der Globalisierung?

Omer Meir Wellber: Nur was den Klang betrifft. Die Spielkultur dagegen hat profitiert.

klassik-begeistert: Nun gilt es, dieses Erbe, den deutschen Klang zu schärfen?

Omer Meir Wellber: Ja. Gleichzeitig fordere ich von meinen Musikern, sich in diesen Prozess einzubringen. Mir zu zeigen, was ihre Schule ist, und wie sich in unseren Klang einbringen möchten. So kann in Hamburg etwas ganz Besonderes entstehen.

klassik-begeistert:  Am 22. und 23. Januar 2026 dirigieren Sie im Gewandhaus Leipzig ein spannendes Programm. Avodath Hakodesh für Bariton, Chor und Orchester von Ernest Bloch, vor der Pause die 1. Sinfonie von Paul Ben-Haim. Dort, in Leipzig, pflegt man das deutsche Klangideal besonders ausgeprägt…

Omer Meir Wellber © Luca Pezzani

Omer Meir Wellber: Ich liebe das Gewandhausorchester wie mein eigenes Orchester, wie ich auch sehr gerne mit der Staatskapelle Dresden arbeite. Schon beim ersten meiner vielen Dirigate in Dresden habe ich unmittelbar ein deutsches Pianissimo und ein deutsche Fortissimo vom Orchester bekommen. Das ist wunderbar, deren Klangkultur liegt mir definitiv im Blut.

klassik-begeistert: Ben-Haim vereint europäische, israelische und arabische Traditionen,  geistliche und weltliche Musik. Auch Volksmusik. Was ist der rote Faden, der über Crossover hinausgeht und die Stile in einer eigenen Klangsprache zusammenführt?

Omer Meir Wellber: Fragen Sie sich: Wie hätte Mahler komponiert, wenn er in Israel gelebt hätte? Mit all den mediterranen Einflüssen und der Wüste. Das ist der Schlüssel zu Ben-Haims Klangsprache… Seine Musik ist kein Crossover, sondern eher ein Clash, ein Zusammenstoß der Kulturen. Mit unglaublicher Technik, ein Million-Dollar-Sound wie bei Wagner. Pan op. 17 für Sopran & Orchester ist ein unglaubliches Werk, ich habe es mit dem BBC Philharmonic Orchestra eingespielt.

klassik-begeistert: Wie hielt es Ben-Haim mit Mahlers Untergangsvisionen? 

Omer Meir Wellber: Ich bin mir sicher, dass Ben-Haim auch viele der aktuellen Entwicklungen in der Region vorausgeahnt hat. Aber so wie man Mahlers Visionen vom Untergang erst nach dem Ersten Weltkrieg als solche wahrgenommen hat, wurde auch Ben-Haim zu Lebzeiten nicht verstanden.

Konzert der Dresdner Musikfestspiele mit der Filarmonica Arturo Toscanini unter dem Dirigenten Omer Meir Wellber und mit Pianistem Mikhail Pletnev im Kulturpalast © Oliver Killig

klassik-begeistert: Wie so oft… Ich möchte zu weniger schweren Ängsten kommen. Ihr  phantastisches Mozart-Buch „Die Angst, das Risiko und die Liebe  – Momente mit Mozart“ beschäftigt sich mit Ängsten. Ist bekannt, ob Mozart Lampenfieber hatte?

Omer Meir Wellber: Eigentlich nicht… jedenfalls habe ich in Mozarts Briefen bislang keinen solchen Hinweis gefunden…

klassik-begeistert:  Eine gewisse Anspannung vor einem Konzert ist sicherlich von Vorteil, das schärft die Konzentration. Aber was ist, wenn sich mal ein Anflug von Angst dazu gesellt?

Omer Meir Wellber: Ein gepflegtes Glas guten Rotweins ist eine feine Sache. Das könnte auch helfen, wenn Sie als Autor  mal vor einem leeren Blatt Papier sitzen und die Deadline tickt…

klassik-begeistert: Und Jüdischer Humor, der nimmt so manchem Sachverhalt seinen Schrecken?

Omer Meir Wellber: Humor hilft immer, auch in anderen Situationen. Sie wissen sicher, wie Sigmund Freud dazu stand: „Im Scherz darf man bekanntlich sogar die Wahrheit sagen.“ Auch die Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg kennen bereits meinen Humor…

klassik-begeistert: Als ich in den 80er Jahren Seinfeld im TV gesehen habe, da habe ich gedacht: Jüdischen  Humor, den mag ich. Aber wenn ich Jüdischen Witz definieren sollte, was ihn auszeichnet. Da gelingt mir nicht so recht. Bitte helfen Sie mir…

Omer Meir Wellber: Ich möchte statt dessen einen jüdischen Witz erzählen. Recht bekannt, aber für mich immer noch der beste Witz:  Die Lehrerin  fragt den kleinen Mojshe im Matheunterricht: „Wie viel macht 2 + 2?“  Mojshe: „Beim Kaufen oder beim Verkaufen?“

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 6. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 2/3 unseres Interviews mit Omer Meir Wellber  lesen Sie
Freitag, 7. November 2025, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.

Auf den Punkt 74: Ambur Braid und Omer Meir Wellber Hamburgische Staatsoper, 12. Oktober 2025

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Omer Meir Wellber, Dirigent Elbphilharmonie, Hamburg, 15. September 2025

SHMF Omer Meir Wellber, Leitung und Akkordeon Kiel, Petruskirche, 10. Juli 2025 

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