Omer Meir Wellber © Rori Palazzo
Omer Meir Wellber erlaubt sich in Hamburg einen großartigen intellektuellen Spaß und lässt Sätze alter Meisterwerke einfach durch neue Kompositionen überschreiben. Selbst Beethoven und Tschaikowsky mussten schon dran glauben. Da gab es Gesprächsbedarf. Ich habe viele überraschende Antworten erhalten. Auch verraten wurden seine Lieblingsoper und die seiner Tochter.
Jörn Schmidt im Gespräch mit Omer Meir Wellber (Teil II)
klassik-begeistert: Wenn ich mich mit einem Farbeimer auf den Weg nach Paris mache, um Teile der Mona Lisa zu übermalen. Wie fänden Sie das?
Omer Meir Wellber: Solange Sie das nicht im Louvre machen, sondern auf einem Kunstdruck… Nur zu, Sie wären indes nicht der Erste und müssten sich an dem großartigen Marcel Duchamp messen lassen…
[Anmerkung Jörn Schmidt: Duchamp setzte einen schlichten Druck des berühmten Louvregemäldes Schnurrbart und Kinnbärtchen hinzu.]
klassik-begeistert: Hat Sie das zu den Überschreibungen inspiriert?
[Anmerkung Jörn Schmidt: In den Abonnementkonzerten des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg werden in der Spielzeit 25/26 große Meisterwerke teils überschrieben. So hat der Komponist und Pianist Sir Stephen Hough in Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 den Mittelsatz neu komponiert.]
Omer Meir Wellber: Allora… Nein… Aber wo Sie fragen, ich sehe tatsächlich eine Parallele. Duchamp hat sich einen Spaß erlaubt, einen provokativen Akt, und so ein neues und einzigartiges Kunstwerk geschaffen. So wie auch die Überschreibungen ein intellektueller Spaß sein sollen. Wir brauchen mehr anspruchsvolles Entertainment im Konzertsaal.
klassik-begeistert: Sind Sie da nicht ziemlich ins Risiko gegangen?
Omer Meir Wellber: Moderne Musik ist immer ein Risiko, weil sie gegen den Geschmack des Publikums ankämpfen muss. Das bekommen wir heute zu spüren und das war bei Pierre Boulez nicht anders als zu Zeiten der Zweiten Wiener Schule.

klassik-begeistert: Warum tun Sie sich das an?
Omer Meir Wellber: Die Idee ist, moderne Musik nicht gegen den Kontext, sondern im Kontext zu präsentieren. Um so, im Dialog mit der Vergangenheit, deren Akzeptanz zu erhöhen. Wichtig war mir dabei, den Komponisten Regeln aufzugeben wie Taktnummern und Harmonien. Damit unser ZeitSpiel intellektuell Tiefgang hat. Kein Spiel ohne Regeln…
klassik-begeistert: Gab’s das schon mal, oder haben Sie das Konzept der Überschreibungen erdacht?
Omer Meir Wellber: Meine Tochter hat mich auf diese Idee gebracht. Ihre Lieblingsoper ist Le Grand Macabre von György Ligeti. Natürlich kennt sie auch Beethoven, aber sie hört Ligeti in einem ganz anderen Kontext als ältere Generationen. Das hat mir gezeigt, wie sehr der Erfolg neuer musikalischer Syntax vom Kontext abhängt.
klassik-begeistert: Schaffen es einige der Überschreibungen ins Repertoire?
Omer Meir Wellber: Ja, aber erst nächste Spielzeit. Momentan liegen die Rechte exklusiv bei uns… mit einer Ausnahme, am 19. Februar 2026 spielen Stephen und ich das 3. Klavierkonzert von Beethoven in Birmingham. Ich leite das City of Birmingham Symphony Orchestra.
klassik-begeistert: In der Saison 26/27 sind keine weiteren Überschreibungen geplant, vermute ich. Weil Sie bereits eine andere revolutionäre Idee haben?
Omer Meir Wellber: Wir planen für das kommende Beethoven-Jahr etwas ganz Besonders… mehr möchte ich jetzt noch nicht verraten…
klassik-begeistert: Welche Oper würde sich für eine Überschreibung eignen?
Omer Meir Wellber: Da sprechen Sie einen großen Traum von mir an. Richard Wagners Opern sind Weltklasse, da sind wir uns alle einig. Aber der Text. Nun ja… Also werde ich eine großartige Oper überschreiben, aber anders als Sie jetzt denken. Ich werde Text und Handlung neu schreiben, es wird ein komplett neues Libretto geben. Sie können gespannt sein…
klassik-begeistert: Haben Sie eine Idee, warum Brahms, Bruckner und Mahler keine Oper hinterlassen haben?

Omer Meir Wellber: Zunächst gab es diese zwei Schulen, die Auseinandersetzung zwischen Wagner und Brahms. Das Brahms-Lager hatte den Anspruch, dass eine Komposition ihre Bedeutung aus sich selbst heraus bezieht, ohne außermusikalisches Programm. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Oper eines Strukturalisten wie Brahms geklungen hätte. Ebenso wie Bruckner auch Strukturalist war…
klassik-begeistert: Mahler wiederum…
Omer Meir Wellber: …war ein Mann des Theaters. Man kann das an seinen Sinfonien festmachen. Und er war zehn Jahre lang Hofoperndirektor in Wien, Kapellmeister am Hamburger Stadttheater. Kurzum, hier habe ich keine Antwort. Aber ich möchte Ihnen jetzt eine Frage stellen. Wie kann es sein, dass Schubert kein Klavierkonzert geschrieben hat?
klassik-begeistert: Ich habe keine Idee.
Omer Meir Wellber: Die Antwort gebe ich Ihnen dann in meiner dritten Hamburger Spielzeit…
klassik-begeistert: Hamburg hat nicht nur die Elbphilharmonie, sondern auch die wunderschöne Laeiszhalle. Sind dort Konzerte geplant?
Omer Meir Wellber: Ja, das ist geplant. Wir suchen aber noch ein passendes Konzept. Ich liebe die Laeiszhalle sehr und es ist schade, dass das Haus, insbesondere was das Repertoire betrifft, ein wenig im Schatten der Elbphilharmonie steht.

klassik-begeistert: Zurück zur Mona Lisa. Welchen Maler lieben Sie ganz besonders?
Omer Meir Wellber: Ich darf wirklich nur einen nennen? Mark Rothko… oder nein, schreiben Sie doch besser Marc Chagall. Seine Kunst ist reicher an Farben und Einflüssen… aber bitte Rothko nicht streichen…
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Den dritten und letzten Teil unseres Interviews mit Omer Meir Wellber lesen Sie Freitag, 8. November 2025, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.